
Einst waren sie Symbol des Aufbruchs in die Moderne. Heute sind viele Bahnhöfe im Land marode, Gebäude verfallen oder stehen leer. Woher dieser Abschwung kommt und wie Bahn und Politik ihm begegnen wollen - ein Überblick.
Vom Holzunterstand zur Kathedrale der Moderne
Bahnhöfe sind oft das erste, das Reisende von einer Stadt sehen. Und zugleich ein Spiegel ihrer Zeit. In rund 200 Jahren Eisenbahngeschichte haben sie sich grundlegend gewandelt. Aus anfänglich einfachen Holzunterständen wurden – mit der wachsenden Bedeutung des Schienenverkehrs – im 19. und frühen 20. Jahrhundert stadtbildprägende, imposante Empfangsgebäude. Die Eisenbahn wurde zum Symbol des technischen Fortschritts - und mit ihr der Bahnhof.
„Der Bahnhof stellte einen ganz neuen Bautypus dar“, sagt Architektin und Kunsthistorikerin Sabine Brinitzer. Die Bahnhofsarchitektur war geprägt vom Historismus jener Zeit, orientierte sich etwa am Stil der Renaissance, und inspiriert von Schloss- und Sakralbauten. Hohe, lichtdurchflutete Hallen und Dachkonstruktionen aus Stahl und Glas brachten ihnen die Bezeichnung "Kathedralen der Moderne" ein.
Aufstieg des Autos und die Bahn in der Krise
Bis heute gelten Bahnhöfe als Visitenkarte einer Stadt. Für Karsten Kammler, Bahnhofsmanager in Halle, sind sie eine „total komplexe Schnittstelle“. Eine "Begegnungsstätte", der Ort, an dem Reisen beginnen oder enden. Doch mit dem Siegeszug des Autos Mitte des 20. Jahrhunderts verlor der Schienenverkehr als Transportmittel an Bedeutung. Viele Städte wurden autogerecht umgebaut. Und für die Bahn – und ihre Bahnhöfe – ging es bergab.
Mittlerweile sind zahlreiche Bahnhöfe in Deutschland in die Jahre gekommen. Viele Gebäude sind verfallen oder verwaist, vor allem auf dem Land. In einem Zustandsbericht DB-Tochter InfraGO von 2024 erreichen die rund 5.400 Personenbahnhöfe der Deutschen Bahn im Schnitt die Schulnote drei. Etwa ein Drittel der untersuchten Bahnhofsanlagen – dazu zählen etwa Bahnsteige, Unterführungen, Rolltreppen oder Aufzüge – ist sogar mit schlecht, mangelhaft und ungenügend bewertet.
Das Problem mit der Finanzierung
Der schlechte Zustand vieler Bahnhöfe in Deutschland hat mit ihrer wackeligen Finanzlage zu tun. Und die wiederum hängt auch mit dem Bundesschienenwegeausbaugesetz von 1993 zusammen. Das Gesetz sah vor, dass zwar alle für den Bahnbetrieb technisch relevanten Anlagen mit Bundesmitteln erhalten werden sollen. Also zum Beispiel Bahnsteige und die Wege zu den Zügen. Nicht aber andere Teile des Bahnhofs wie etwa Wartehallen.
In der Folge mussten die Betreiber den Erhalt dieser Empfangsgebäude über Mieteinnahmen finanzieren. Gerade kleine und ländliche Bahnhöfe mit wenig Verkaufsfläche gerieten unter „einen enormen wirtschaftlichen Druck“, sagt Andreas Geißler vom Lobbyverband "Allianz pro Schiene". Die Deutsche Bahn hat deshalb seit der Jahrtausendwende den Großteil ihrer rund 3.000 Empfangsgebäude verkauft. Heute ist nur noch etwa ein Viertel im Besitz des bundeseigenen Konzerns. Doch auch für die neuen Eigentümer, meist private Käufer oder Kommunen, blieb die Finanzierung schwierig. Viele Bahnhöfe verfielen oder verwaisten.
Späte Kurskorrektur von Bahn und Politik
Mittlerweile bemühen sich Bahn und Politik um eine Kurskorrektur. So hat der Konzern 2022 einen Verkaufsstopp verkündet. Dazu kommt: Es gibt mehr Geld vom Bund. Denn seit einer Gesetzesnovelle im Jahr 2024 werden auch die Empfangsgebäude in der Förderung berücksichtigt. Das behebe die "Fehlanreize" zum Verkauf, bewertet das Verkehrsbündnis "Allianz pro Schiene". „Aber“, sagt Geißler, „diese Korrektur kommt sehr, sehr spät.“ Und die Herausforderungen bleiben groß. Denn viele alte Bahnhofsgebäude sind für heutige Maßstäben überdimensioniert.
Bei der Deutschen Bahn zeigt man sich trotzdem optimistisch. Die neue Finanzierungsregelung eröffne "ganz neue Spielräume" für die Modernisierung der Bahnhöfe, so Ralf Thieme, der bei InfraGO als Vorstand für die Personenbahnhöfe zuständig ist. Der Plan: Mit einer Sanierungsinitiative will die DB alte Stationen nach einheitlichen Qualitätsstandards zu sogenannten Zukunftsbahnhöfen umgestalten. Hundert solcher Bahnhofssanierungen sind für 2025 geplant, etwas mehr waren es eigenen Angaben zufolge im Jahr zuvor.
Doch es gibt auch skeptische Stimmen. Stephan Wilhelm, Geschäftsführer der Agentur "BahnStadt", die Modernisierungen und Umbauten von Bahnhöfen begleitet, warnt davor, sich in überambitionierten Plänen zu verlieren. Bei vielen Bahnhöfen gehe es erst einmal darum, die Basisfunktionen sicherzustellen. Etwa eine sichere Bahnsteigkante und beheizte Warteräume im Winter. Danach könne man über die Kür nachdenken.
Konzepte gegen Verfall und Leerstand
Ein Beispiel für neue Nutzungskonzepte im Kampf gegen verwaiste Bahnhöfe ist Haltern am See. Im Rahmen des Programms "Schöner Ankommen in NRW" entwickelte die Kommune gemeinsam mit einem Planungsbüro der landeseigenen Entwicklungsgesellschaft NRW Urban und der Deutschen Bahn Konzepte für eine Neunutzung der leerstehenden Flächen. Als „Bahnhof der Vereine“ soll der Bahnhof, der sich noch im Eigentum der DB befindet, künftig Sportgruppen, Lesezirkel oder Sprachkurse beherbergen.
Doch wie steht es um Bahnhofsgebäude, die die Bahn verkauft hat? „Die guten Ergebnisse sehen wir da, wo die Kommunen die Käufer gewesen sind“, sagt Inga Schlichting, die bei der DB für die strategische Entwicklung der Bahnhöfe zuständig ist. Dort, wo sich Kommunen mit öffentlichen Mitteln gute Konzepte für die Entwicklung der Orte überlegt hätten. Lag dem Kauf hingegen ein rein kommerzieller Ansatz zugrunde, seien die Bahnhöfe oft heruntergekommen und lägen brach.
Das soll sich ändern, sagt Schlichting. Es soll wieder bergaufgehen mit Deutschlands Bahnhöfen. Egal, in wessen Hand die Gebäude sind. Die DB wolle ein "guter Partner" für diejenigen sein, die sich um die Entwicklung der Empfangsgebäude bemühen. Denn wenn schon der Bahnhof nicht attraktiv sei, dann sei es auch die ganze Reisekette danach nicht. So sieht es Schlichting. Dabei müssten für Deutschlands Klimaziele eigentlich noch viel mehr Menschen mit dem Zug fahren. Allein im Fernverkehr will die DB die Zahlen der Reisenden bis 2030 im Vergleich zu 2019 verdoppeln.
Beitrag: Martin Reischke
Onlinetext: Irina Steinhauer
Onlinetext: Irina Steinhauer