Dienstag, 19. März 2024

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Filmpremiere 1942 in London
Disneys "Bambi" ist 80 - und noch immer kein Reh

Walt Disneys „Bambi“ zeigt eine der traurigsten Szenen der Filmgeschichte. Seit der kleine Hirsch verzweifelt nach seiner toten Mutter ruft, haben Generationen von Kindern die Kinosäle tränenüberströmt verlassen. Heute vor 80 Jahren feierte der Klassiker des Animationsfilms in London Premiere.

Von Hartmut Goege | 08.08.2022
Das Plakat zu Walt Disneys Zeichentrickfilm "Bambi " im Jahr der Premiere 1942
Das Plakat zu Disneys Zeichentrickfilm "Bambi " im Jahr der Premiere 1942 (picture alliance / Everett Collection)
„Ja, das ist ein sehr hübscher Name!“ – „Bambi! Du heißt jetzt Bambi!“
Namenstaufe eines kleinen Hirsches. Walt Disneys farbenfroher Zeichentrickfilm „Bambi“ erzählt dessen Leben von der Geburt an bis zur eigenen Familiengründung. Als der Film am 8. August 1942 in London uraufgeführt wurde, herrschte in Europa seit fast drei Jahren Krieg. Nach dem Ende der für die Briten siegreichen Luftschlacht um England schien die britische Hauptstadt den Produzenten als Premieren-Ort offenbar sicherer zu sein als der ursprünglich geplante Start im US-Bundesstaat Maine. Disney hatte dort Protestaktionen heimischer Jagdverbände befürchtet, die sich als böse Jäger in dem Trickfilm diskriminiert fühlten.
„Bambi, schnell … in den Wald!“ (Schüsse) „Mama!“
Schon vor dem Filmstart war durchgesickert, dass Bambis Mutter während einer Treibjagd den Tod im weidmännischen Kugelhagel finden. Ganz so, wie es die literarische Vorlage verlangte. Der vor den Nationalsozialisten geflohene Schöpfer der Bambi-Saga, der österreichische Schriftsteller und passionierte Jäger Felix Salten, hatte die Rechte für tausend Dollar an Disney verkauft. Später bekannte er freimütig, dass wohl zahlreiche Bambi-Eltern auf sein eigenes Abschuss-Konto im Wienerwald gingen:
„Ich wollte meine Leser von dem Irrtum befreien, die Natur sei ein sonniges Paradies. Bambi wäre niemals entstanden, hätte ich nicht meine Kugel auf das Haupt eines Rehbocks gefeuert.“

Warum Disney für "Bambi" Feldstudien durchführte

Mit solch einer harten Realität hatte nach abendfüllenden, fantasievollen Filmen wie „Schneewittchen“, “Dumbo“ und „Pinocchio“ das von Cartoons und Märchen verwöhnte Disney-Publikum nicht gerechnet. Walt Disney aber wollte der literarischen Vorlage gerecht werden, was sich auch im zeichnerischen Aufwand bemerkbar machte:
„Schneewittchen“, „Pinocchio“ und die anderen Filme hatten ziemlich offensichtliche Zeichentrick-Charaktere. Bei „Bambi“ brauchten wir feinere Animationen, die näher am echten Leben sind.“

Die Vermenschlichung der Tierwelt perfektioniert

Zwei Jahre lang waren Künstler in der nordamerikanischen Natur unterwegs, um Flora und Fauna mit Zeichenstift und Kamera in allen Jahreszeiten einzufangen, erzählte Disney: „Um die Tiere zu studieren, brachten wir junge Hirsche in die Studios und ließen sie Heu fressen, damit sie ruhig blieben. Unsere Künstler zeichneten sie dann.“
Mit „Bambi“ perfektionierte Disney seinen erfolgreichen Stil, die Tierwelt zu vermenschlichen. So werden Bambi, das Kaninchen Klopfer und das Stinktier Blume zu unzertrennlichen Freunden, wenn sie sich auf ihren zahlreichen Abenteuern gegenseitig helfen: „Kannst Du auch klopfen? Deswegen sagen alle zu mir Klopfer!“
"Bambi"mit seinen Freunden, dem Skunk, dem Schmetterling und dem Hasen "Klopfer". Der Trickfilm-Klassiker des US-amerikanischen Regisseurs, Zeichners und Produzenten Walt Disney erzählt die Geschichte des kleinen Rehs "Bambi", das seine Mutter durch Jäger verliert. Fortan streift es allein durch die Wälder und besteht mit einigen Freunden allerlei Abenteuer. Erwachsen geworden wird es Leittier einer Herde. Der Film kam 1942 in die Kinos. | Verwendung weltweit
Szene aus dem Walt-Disney-Zeichentrickfilm "Bambi" von 1942 (Buena Vista)

Einer der traurigsten Momente der Kinogeschichte

Die durchgehend leitmotivisch geprägte Musik-Untermalung, die jedem Tier und auch unterschiedlichen Stimmungen eigene Melodien zuordnet, gehört zum festen Bestandteil der Erzähl-Technik. Die Dialoge kommen insgesamt mit knapp tausend Wörtern aus - Und die wenigen Worte beschränken sich auf das Wesentliche à la: „Ach, ist das niedlich, ein ganz goldiges Kerlchen! Ist das süß, richtig zum Liebhaben.“

Gerade wegen vielen Verniedlichungen in Bild und Ton rangiert Disneys Bambi in den Annalen der traurigsten Momente der Kinogeschichte immer noch weit oben auf der Skala.
„Mama!“
„Du brauchst auf Deine Mutter nicht mehr zu warten. Die Jäger haben sie. Du musst jetzt tapfer sein und lernen, auf Dich allein aufzupassen!“

Und nein - Bambi ist kein Reh

Versuchten weltweit Generationen von Kindern den Schock um die tote Mutter zu verarbeiten, kam im deutschen Sprachraum noch die Verwirrung hinzu. Da es in Amerika keine Rehe gibt, machte Disney aus Saltens Rehkitz kurzerhand ein Hirschkalb. Die deutsche Synchron-Fassung aber ignorierte diese Verwandlung.
„Bei Familie Reh gibt's Nachwuchs.“
„Das muss man gesehen haben.“
„Komm mit, sonst versäumst Du was!“

Und da bei Disney aus Bambi später ein kapitaler Hirsch wird, hält sich bei nicht wenigen hartnäckig der Glaube, der Hirsch sei ein männliches Reh.
Die anrührende Geschichte über Bambi, das die Geheimnisse des Erwachsenwerdens erfährt, die Wunder der Natur kennenlernt und zum Happy End seine Lebenspartnerin „Feline“ findet, zählt immer noch zu den erfolgreichsten Disney-Produktionen und zu den Klassikern der Filmgeschichte.