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Vor 100 Jahren uraufgeführt
"Trommeln in der Nacht " - Bertolt Brechts Durchbruch

Die Uraufführung von „Trommeln in der Nacht“ am 29. September 1922 an den Münchner Kammerspielen war das Theaterdebüt - und der Durchbruch des jungen Lyrikers und Dramatikers Bertolt Brecht. Er hätte lieber ein anderes Stück auf der Bühne gesehen.

Von Eva Pfister | 29.09.2022
Szenenbild der Uraufführung von Bertolt Brechts "Trommeln in der Nacht", 1922 an den Münchner Kammerspielen
Szenenbild der Uraufführung von Bertolt Brechts "Trommeln in der Nacht"", 1922 an den Münchner Kammerspielen (picture-alliance / akg-images )
„Und als der Krieg im fünften Lenz
Keinen Ausblick auf Frieden bot
Da zog der Soldat seine Konsequenz
Und starb den Heldentod.“
Das Ende des Ersten Weltkriegs erlebte der 20-jährige Medizinstudent Eugen Berthold Brecht als Sanitätssoldat in einem Augsburger Lazarett. Dort stellte er endgültig das verordnete Heldentum infrage, das ihn schon vorher zu seiner „Ballade vom toten Soldaten“ inspiriert hatte.
„Der Krieg war aber noch nicht gar
Drum tat es dem Kaiser leid
Dass sein Soldat gestorben war:
Es schien ihm noch vor der Zeit.“

Vor dem Hintergrund des Spartakusaufstandes

Darum wird der tote Soldat als kriegstauglich erklärt und als Leiche durch die Straßen getragen. Das Lied nahm Brecht in sein Theaterstück auf, das er unter dem Eindruck der Ereignisse vom Januar 1919 schrieb, als in Berlin der Spartakusaufstand der Linkssozialisten brutal niedergeschlagen wurde. Daher nannte er es „Spartakus“. Am Beginn steht die Rückkehr eines vier Jahre lang vermissten Soldaten:
„Herr Kragler, wenn Sie der sind, wie Sie behaupten, darf ich Sie bitten, mir Auskunft zu geben, was Sie hier suchen?“
„Hören Sie, ich war kriegsgefangen in Afrika.“
„(…) Was wollen Sie eigentlich? Was wollen Sie?
Meine Tochter hat sich heut Abend vor noch nicht 30 Minuten verlobt.“
„Was heißt das?“
„Sie sind vier Jahre fortgewesen, sie hat vier Jahre gewartet, wir haben vier Jahre gewartet,.
jetzt ist Schluss, und es ist gar keine Aussicht mehr da für Sie.“

"Glotzt nicht so romantisch!“

Während der Nacht, in der im Berliner Zeitungsviertel die Kämpfe toben, spielt sich die Handlung ab, die den Kriegsheimkehrer Kragler vorübergehend zu den Revolutionären führt. Als seine frühere Verlobte sich aber wieder ihm zuwendet, zieht er das private Glück der Politik vor. Brecht nannte das Stück „Komödie“ und bricht die lyrischen, emotionalen Passagen immer wieder durch Sarkasmus und entfremdende Elemente:
„Das Geschrei ist alles vorbei, morgen früh, aber ich liege im Bett morgen früh und vervielfältige mich, dass ich nicht aussterbe. Glotzt nicht so romantisch!“

Plakate mit diesem Satz hingen bei der Uraufführung am 29. September 1922 auch im Zuschauerraum der Münchner Kammerspiele. Oscar Neher malte eine rudimentäre Stadt an den Horizont, wo ab und zu ein roter Mond aufging.

Von Lion Feuchtwanger ermuntert

Den Kriegsheimkehrer spielte Erwin Faber, der sich viele Jahre später vor allem daran erinnerte, wie ihn die Sprache beeindruckte. Waren die Schauspieler bis dahin an elegante, geschliffene Rede gewohnt, mussten sie nun mit einer zwar bildhaften, aber oft auch rohen Sprache umgehen lernen.

Zur Uraufführung kam es durch die Vermittlung von Lion Feuchtwanger, der damals schon ein arrivierter Dramatiker und Romancier war und in München bestens vernetzt. Marta Feuchtwanger erinnert sich, wie ihr Mann den jungen, unbekannten Autor am Telefon ermunterte, ihm das Manuskript vorbeizubringen: 
„Da hat er gleich durchs Telefon geschrien: aber es ist ein ganz schlechtes Stück, ich habe es nur geschrieben, um Geld zu verdienen. Da hat mein Mann gesagt, nun, das wird man ja sehen. Ja, hat er gesagt, ich hab‘ ein viel besseres Stück geschrieben. Da hat mein Mann gesagt, dann bringen Sie das bessere Stück auch mit.“
Brecht hätte lieber seinen dramatischen Erstling „Baal“ auf der Bühne gesehen, aber Feuchtwanger hielt dieses lyrische Werk mit dem anarchistischen Helden nicht für aufführbar. Den „Spartakus“ hingegen empfahl er dem Direktor der Münchner Kammerspiele Otto Falckenberg. Der hatte nur einen Einwand, so Marta Feuchtwanger:
„Wenn das Stück ‚Spartakus‘ heißt, dann werden sie mir mein Theater verbrennen. Und da sind wir zusammengesessen, um einen neuen Titel zu finden, und da ist mir der Titel ‚Trommeln in der Nacht‘ eingefallen.“
Otto Falckenberg führte selbst Regie, die Premiere war ein Erfolg und bedeutete für Bertolt Brecht den Durchbruch.
Überwältigendes Lob kam von Herbert Ihering, der aus Berlin angereist war:
„Der 24jährige Dichter Bert Brecht hat über Nacht das dichterische Antlitz Deutschlands verändert.“

Noch im gleichen Jahr verlieh Herbert Ihering dem Jungdramatiker den Kleist-Preis. Damit standen die Türen der Theaterwelt für Bertolt Brecht offen.