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Bilanz der Syriza-Regierung
Vertrauen in Tsipras schwindet

Fast 45 Prozent der Griechen hatten im vergangenen September bei den Wahlen für die linksgerichtete Partei Syriza um Alexis Tsipras gestimmt. Sie hatten sich ein Ende der drastischen Sparpolitik, einen Schuldenschnitt und einen wirtschaftlichen Aufschwung erhofft - doch davon ist nichts zu spüren.

Von Jerry Sommer | 27.09.2016
    Syriza-Anhänger feiern in Athen den unerwartet deutlichen Wahlsieg ihrer Partei
    Nach dem unerwarteten Wahlsieg vor gut einem Jahr macht sich unter Syriza-Wählern nun Enttäuschung breit. ( AFP / LOUISA GOULIAMAKI)
    Die Restaurants in der Nähe des Marktes in Iraklion sind voll. Der Tourismus floriert. Aber die Stimmung der Kreter ist nicht gut. Fast 45 Prozent hatten im vergangenen September bei den Wahlen für die radikal linke Partei Syriza gestimmt. Auch der 28-jährige Andreas, der am Rande des Marktes in seinem Laden ökologische Produkte verkauft. Doch nun ist er völlig unzufrieden:
    "Ich bin tief enttäuscht. Es war eine linke Partei mit linken Versprechungen. Doch nun ist sie gezwungen, rechte Politik umzusetzen. Und das kann sie noch nicht einmal richtig."
    Führung hält sich an die Vorgaben der Kreditgeber
    So wie Andreas sehen es viele Syriza-Wähler. Sie hatten sich ein Ende der drastischen Sparpolitik, einen Schuldenschnitt und einen wirtschaftlichen Aufschwung erhofft. All das ist jedoch ausgeblieben. Stattdessen setzt die Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras mehr oder weniger alles um, was die Kreditgeber verlangen: weitere Steuererhöhungen, weitere Kürzungen von Renten und Investitionen, Privatisierungen. Wassilis, der einen kleinen Lebensmittelladen betreibt, schimpft:
    "Es ist zum Verzweifeln. Die nehmen uns das Geld aus der Tasche, aber verschleudern das Tafelsilber weit unter Wert, zum Beispiel die Regionalflughäfen und die Seehäfen".
    Die Führung von Syriza hält sich im Kern an die Vorgaben der Kreditgeber, um nicht einen Staatsbankrott zu riskieren, obwohl sie den wirtschaftspolitischen Kurs nach wie vor für falsch hält. Die linksgeführte Regierung versucht, ihre Entscheidungen immerhin sozial abzufedern. So erhalten die Ärmsten der Armen nun kostenlose Elektrizität und Essensmarken. Doch bei einer Arbeitslosenquote von 24 Prozent ist das nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Diejenigen, die schon immer für die konservative Nea Dimokratia gestimmt haben, fühlen sich ohnehin bestätigt, sagt der 62-jährige Kunsthändler Fotis:
    "Ich bin froh, Syriza nicht auf den Leim gegangen zu sein. Die versprachen die Immobiliensteuer wieder zurückzunehmen und den Mindestlohn wieder auf 750 Euro anzuheben. Doch das waren alles Luftblasen und Lügen, um sich so Stimmen zu erschleichen."
    Schlechte Noten für die Regierung
    Über 80 Prozent der Griechen beurteilen die Regierungsarbeit negativ. Syriza hat laut Meinungsumfragen sechs von zehn seiner Wähler verloren. Allerdings haben sich viele von ihnen bisher nicht für eine andere Partei entschieden, meint Jannis Pawlidakis, der Bezirksvorsitzende von Syriza auf Kreta:
    "Viele sind zwar kritisch, aber sie warten ab. Denn die Oppositionsparteien, die das Land 40 Jahre lang regiert und die Krise verschuldet haben, denen trauen sie auch nicht zu, die Probleme zu lösen."
    Tatsächlich fordert die konservative Nea Dimokratia mit ihrem neuen Vorsitzenden Mitsotakis sofortige Neuwahlen und verspricht ihrerseits Steuersenkungen. Doch das kommt bei den Menschen nicht an. Und die ehemalige sozialdemokratische Volkspartei PASOK scheint den meisten auch keine Alternative. Bei Meinungsumfragen kommt sie nur auf rund fünf Prozent.
    Partei hofft auf ein Ende der Rezession
    Syriza hofft, dass sich die Kräfteverhältnisse in der EU ändern und die Sparpolitik durch eine neue wachstumsfördernde Investitionspolitik abgelöst wird. So weit ist es aber wohl noch lange nicht. Bis zu den nächsten Parlamentswahlen, die für 2019 geplant sind, hofft die Partei auf ein Ende der Rezession in Griechenland – und darauf, mit bestimmten Reformen, die Bevölkerung wieder für sich mobilisieren zu können. So wird zum Beispiel die Steuerhinterziehung viel schärfer bekämpft als früher, durch eine Wahlrechts- und eine Verfassungsreform soll mehr Demokratie gewagt werden. An der Wahrnehmung der meisten Griechen ändert das jedoch nichts, sagt Lebensmittelladen-Besitzer Wassilis:
    "Ein paar gute Dinge haben die auch gemacht. Aber bei all den vielen schlechten Dingen, da fallen die wenigen Guten nicht ins Gewicht."
    Der bevorstehende Parteitag von Syriza wird das politische Klima im Land kaum verändern. Wassilis jedenfalls verspricht sich nichts davon. Licht am Ende des Tunnels vermag er ebenso wie die Mehrheit der Griechen noch nirgends zu erkennen.