Freitag, 19. April 2024

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Briefwechsel Minna Wagner - Cäcilie Avenarius
Über Dresdner Stollen, Morphium und Wagners Affären

Eine unglückliche Ehe, ein untreuer Ehemann: Der neu editierte Briefwechsel zwischen den Schwägerinnen Minna Wagner und Cäcilie Avenarius zeigt das toxische Gemisch aus Abhängigkeit und Verbitterung, das Minna mit ihrem Mann Richard Wagner verband – und die Lebensrealität zweier Frauen im 19. Jahrhundert.

Von Johannes Jansen | 29.03.2021
Minna Wagner, die Ehefrau Richard Wagners, auf einem historischen Schwarz-weiß-Foto von etwa 1860.
Emotional und finanziell abhängig von ihrem Mann: die ehemalige Schauspielerin Minna Wagner litt in ihrer Ehe mit dem berühmten Komponisten. (picture alliance / akg-images)
"Und über allem schwebt Richard" heißt das Buch. Und über dem Buch schwebt Martin Geck. Es ist schon das zweite Werk, dass der im November 2019 verstorbene Autor gewissermaßen aus dem Grab heraus vollendet hat. Neben einem Band zur Beethoven-Rezeptionsgeschichte, den er fast druckfertig hinterließ, nun diese ursprünglich schon vor mehr als zehn Jahren zur Veröffentlichung vorgesehene Korrespondenz zwischen Minna Wagner und ihrer Schwägerin Cäcilie Avenarius, geborene Geyer, der jüngeren Halbschwester des Komponisten.

Dresdner Stollen und Morphium

Gäbe es das Wort Unruhestand noch nicht, für ihn hätte man es erfinden müssen. Das Schaffensmotto "nulla dies sine linea" (kein Tag ohne Zeile), Martin Geck hat es – und es hat ihn – erfüllt, erst recht seit seiner Emeritierung als Professor für Musikwissenschaft im Jahr 2001. Seine Themen waren groß: Wagner, Schumann, Mozart, Beethoven, Bach, auch dem Dichter Matthias Claudius hat er eine Monographie gewidmet, sich aber ebenso gern auf dem Spielfeld populärwissenschaftlicher Kolumnen und Kurz-Essays getummelt.
Fotoprobe "Der Ring des Nibelungen/Die Walküre" - 3. Aufzug, 3. Szene. Wotan: Albert Dohmen - der Bayreuther Festspiele 2007. Premiere bei den 96. Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth ist am 28.07.2007.
Jurist zu Richard Wagners Ring: "Fundgrube fürs Zivilrecht"
Der ehemalige Anwalt Peter Ernst Küfner hat Richard Wagners "Ring des Nibelungen" durch die juristische Brille betrachtet. Mit den Handlungen rund um Besitz- und Erbansprüche sei das Werk eine Fundgrube für das Zivilrecht.
Diese Briefedition geht in die mehr philologische Richtung, ohne es jedoch mit Anmerkungen zu übertreiben, was dem Lesefluss zugute kommt. Trocken ist weder die Lektüre der Briefe selbst, denn beide Briefpartnerinnen schreiben recht gewandt, noch sind es die erläuternden Passagen. Was fehlt, ist ein Register der Ortsnamen und Personen, wie man es aus anderen wissenschaftlichen Briefausgaben kennt. Ein wirklicher Mangel ist es nicht, denn dieser Briefwechsel hat wenig mit der illustren Welt zu tun, sondern bewegt sich in einem überschaubaren Raum privater – vorwiegend verwandtschaftlicher – Beziehungen. Gäbe es ein Sachregister, würde man Butterzopf, Käsekäulchen und – eine andere sächsische Spezialität – natürlich Stollen finden, nicht zuletzt auch eine Reihe medizinischer Begriffe, darunter sogar Morphium. Ansonsten geht es um R wie Richard, dessen revolutionäre Anwandlungen ihn seine Stellung als Kapellmeister in Dresden kosten und auch Minna nötigen, mit ihm in die Schweiz zu fliehen – für ihn auch eine Flucht in die Arme anderer Frauen.
"Was mir mein Strübelkopf zu schaffen macht, aber auch in jeder Hinsicht, politisch und pekuniär, darüber könnte ich Dir gleich ganz Bände schreiben, die höchst trübe und traurig ausfallen würden; darum schweige und schlucke ich, was ich vermag."

Toxisches Gemisch aus Restliebe und Verbitterung

Ein Brief vom Dezember 1848; ein halbes Jahr später wird Wagner wegen seiner Beteiligung am Dresdner Aufstand steckbrieflich gesucht. Der weitere Briefwechsel mit Wagners Halbschwester Cäcilie erstreckt sich vor allem auf das letzten sieben Jahre vor Minnas Tod, als die Ehe, trotz einiger Versuche der Wiederannäherung, längst nur noch auf dem Papier besteht. Es ist die Zeit, in der Wagner 'Tristan und Isolde' schreibt und hoch über den Niederungen des Ehealltags seinen Liebestraum mit Mathilde Wesendonck lebt, der wiederum nur ein Vorspiel ist zur späteren Verbindung mit Cosima von Bülow, der Tochter von Franz Liszt und Gemahlin eines seiner bis dahin besten Freunde. Minna kommt die Lust auf jegliches Zusammensein nicht erst da abhanden, die emotionale und finanzielle Abhängigkeit aber bleibt bestehen – alles in allem ein toxisches Gemisch aus einem Rest fürsorglicher Liebe und grenzenloser Verbitterung. "Ich kann ja nicht dafür, dass ich noch immer lebe", klagt sie im Juli 1863 und stirbt zweieinhalb Jahre später; die Kosten für ein würdiges Begräbnis mit Musik – in Abwesenheit Wagners – übernimmt ihr Arzt.

Lebensrealität zweier Frauen im 19. Jahrhundert

"Nichts als Aufregung, Kummer, Arbeit, Sorgen. Ich war nur Sklavin."
Geht es einmal nicht um Richard, das Zentralgestirn, um das sich alles dreht in diesen Briefen, handeln sie von Alltagsdingen, keineswegs belanglos, aber auch nicht weltbewegend. Stahlbäder in Charlottenburg verlieren ihren Schrecken, wenn man weiß, es geht um Wasser-Anwendungen vor Antritt einer Kur in Franzensbad. Minna Wagner war herzleidend nicht nur im medizinischen Sinne. Und das Leben mit Wagner – mehr als dreißig Jahre, unterbrochen von langen Trennungspausen – machte die ehemalige Schauspielerin nicht gesünder. Aneinander gelitten haben beide, nur unterschiedlich stark.
Die faszinierende Kulturgeschichte des Wagnerismus
Kein anderer Künstler übte durch sein Werk eine solche Faszination aus wie der Komponist Richard Wagner. Wie tiefgreifend sein Einfluß auf Literaten, Maler, Filmemacher war und ist, zeigt ein neues Buch eindrucksvoll auf.
'Der fliegende Holländer' und 'Tristan und Isolde', sie sind auch das Echo der Stürme über einem Meer von Enttäuschung. Aber um Kunst geht es kaum in diesen Briefen. Für den Herausgeber sind sie vor allem ein Stück Alltagsgeschichte, das es zu bewahren gilt: "Lebensrealität zweier bürgerlicher Frauen um die Mitte des 19. Jahrhunderts ... inklusive Empfindlichkeiten und Klatschereien". Ein Stück Ironie liegt auch darin: Martin Geck begann seine wissenschaftliche Laufbahn als Gründungsredakteur der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, schmiss aber bald hin. Korrekturlesen und Erbsenzählerei machten ihn rebellisch. Doch der Mythos Wagner ließ auch ihn nicht los. Mit dieser Briefausgabe erweist er ihm eine letzte Reverenz und holt ihn gleichzeitig – ein bisschen wenigstens – vom Sockel.