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CDU-Debatte um Dienstpflicht
"Europarechtlich ist ein Zwangsdienst nicht erlaubt"

Für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht gebe es zahlreiche rechtliche Hürden, sagte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach im Dlf. Und selbst wenn man diese ausräumen könne, sei ein verpflichtender Dienst keine gute Idee. Denn gemeinnütziges Engagement müsse auf Freiwilligkeit basieren.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christine Heuer |
CDU-Politiker Wolfgang Bosbach
Wolfgang Bosbach saß 23 Jahre lang für die CDU im Bundestag, bei der Wahl 2017 hat er nicht mehr kandidiert (Oliver Berg / dpa)
Christine Heuer: Die Idee zur allgemeinen Dienstpflicht für Schulabgänger hatte Annegret Kramp-Karrenbauer schon als CDU-Generalsekretärin. Nach ihrer Zuhör-Tour an der Parteibasis war das Projekt eines der ersten, mit dem die Neue in Berlin sich profilieren konnte. Heute berät die CDU mit ihrer Vorsitzenden AKK die allgemeine Dienstpflicht für junge Frauen und Männer in einem Werkstattgespräch.
Am Telefon ist Wolfgang Bosbach, Christdemokrat, ehemaliger Vorsitzender im Innenausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Bosbach.
Wolfgang Bosbach: Guten Tag, Frau Heuer.
Heuer: Sie sind gegen das Pflichtjahr für junge Deutsche, anders als die Parteivorsitzende. Warum?
Bosbach: Nicht nur aus verfassungsrechtlichen, einfachrechtlichen und europarechtlichen Gründen. Wir müssten ja dafür auch das Grundgesetz ändern. Und selbst wenn es eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Änderung gäbe, stünde noch die Europäische Menschenrechtskonvention dagegen. Es würde eine Fülle von rechtlichen Streitigkeiten auslösen.
Der Gedanke, sich für einen begrenzten Zeitraum, zum Beispiel für ein Jahr durch gemeinnützige Arbeit für sein Land, für die Gemeinschaft zu engagieren, der ist mir sehr sympathisch. Aber bitte freiwillig und nicht als verpflichtender Zwangsdienst. Das ist ein erheblicher Unterschied und hier muss sich die Politik, die Partei entscheiden, denn einen Kompromiss zwischen Freiwilligkeit und Erzwungen, den gibt es nicht. Da muss man sich entscheiden.
Heuer: Jeder profitiert doch vom Sozialstaat.
Bosbach: Ja.
Heuer: Warum ist es dann keine gute Idee, dass sich jeder auch einmal im Leben aktiv dafür einsetzt?
Bosbach: Doch! Ich finde das prima, wenn das freiwillig geschieht. Es sind etwa 40.000 pro Jahr, die sich im Bundesfreiwilligendienst engagieren, also ein ökologisches oder soziales Jahr machen. Ich habe von den Befürwortern eines Zwangsdienstes noch nie gehört, wie das denn ganz konkret in der Praxis dann aussehen soll. Denn das würde ja zunächst jeden betreffen, jeden Jahrgang, rund 650.000 bis 700.000 junge Menschen.
"Es gäbe eine Fülle von Befreiungswünschen"
Heuer: Da sehen Sie doch schon, wieviel mehr Engagement möglich wäre, wenn es diese Dienstpflicht gäbe für junge Menschen.
Bosbach: Ich habe ja auch nichts gegen einen Ausbau des Bundesfreiwilligendienstes. Ich weiß übrigens auch nicht, ob sofort genügend Plätze für alle Interessenten zur Verfügung stehen. Aber wir müssen das jetzt mal in der Praxis durchdeklinieren, was das bedeuten würde. Wir müssen eine Infrastruktur aufbauen. Das heißt, wir brauchen 650.000 bis 700.000 Plätze. Die müssten ortsnah sein.
Wenn sie nicht ortsnah, am Wohnort der jungen Leute wären, dann würde sich sofort die Frage nach der Lebensunterhaltssicherung und der Unterbringung stellen. Es gäbe eine Fülle von Befreiungswünschen. Das habe ich doch alles als Abgeordneter erlebt: Mal die Wehrpflicht, mal der Ersatzdienst – aus Krankheitsgründen, aus Behinderungsgründen, gerade kann ich jetzt einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle besetzen. Das wären alles rechtsmittelfähige Bescheide für die Ablehnung. Es würde Klagen geben. Wenn man das unbedingt möchte, dann müsste man das Grundgesetz ändern.
Heuer: Herr Bosbach! Aber alles, was Sie da aufzählen, hätte genauso jahrzehntelang gegen den Wehrdienst und den alternativen Zivildienst ins Feld geführt werden können.
Bosbach: So war es ja auch.
Heuer: Ja!
Bosbach: Alles das war ja früher so!
Heuer: Man kann es ja jetzt besser machen. Man hat ja auch gelernt. 650.000 statt 40.000 – so viele melden sich ja gar nicht freiwillig -, das ist doch eine riesen Verbesserung.
Heuer: Halt, euer Ehren! Es geht doch um Pflicht! Ich habe doch nichts gegen Freiwilligkeit. Wer es tun möchte, mag es tun!
Heuer: Aber sie sehen ja: 40.000 machen es freiwillig. Und Sie sagen selber, 650.000 könnten es machen, wenn man es verpflichtend machen würde.
Bosbach: Nein, nicht könnten es machen – müssten es machen. Das ist ein erheblicher Unterschied. Und wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als hätten wir diese Plätze, als hätten wir eine Infrastruktur, die das alles organisieren würde, und als wären ausnahmslos alle jungen Leute. oder welcher Jahrgang auch immer, bereit, diesen Dienst anzutreten, in der Schnittstelle zwischen Schulabschluss und Berufsbeginn, zwischen Abi und Studium. Wer das machen will, müsste dann auch der Bevölkerung sagen, was das alles konkret für die Lebensplanung der Menschen und auch für die Bürokratie und auch für den Rechtsstaat bedeutet. Gegen Freiwilligkeit habe ich nichts. Ganz im Gegenteil, das begrüße ich.
Heuer: Die JU, Ihre eigene Jugendorganisation ist durchaus für die allgemeine Dienstpflicht. Das sind die Jungen in Ihrer eigenen Partei. Die sagen, damit haben wir eigentlich kein Problem.
Bosbach: Ich finde es ja auch prima. Wenn es eine Pflicht werden soll, dann müsste man das Grundgesetz ändern. Dann müsste man die Frage beantworten, was bedeutet das europarechtlich. Auch europarechtlich ist ein Zwangsdienst nicht erlaubt. Wir werden zunächst mal verfassungsrechtliche Rechtsprechung haben. Wir werden europarechtliche Rechtsprechung haben. Dann werden wir die Infrastruktur aufbauen müssen und dann werden wir vor allen Dingen die Frage beantworten müssen, haben wir überhaupt diese Plätze und wer finanziert das alles.
"Sie brauchen eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag"
Heuer: Sprechen wir mal über die in der Tat nötige Grundgesetzänderung. Da steht in Artikel zwölf bisher: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen, öffentlichen Dienstleistungspflicht." – Herr Bosbach, allgemein, für alle gleich, das würde doch schon mal passen. Dann streicht man noch "herkömmlich", weil man etwas Neues machen will. Was ist daran so schwer, das zu ändern?
Bosbach: Ich weiß nicht, ob es dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag gibt. Ich weiß ja nicht – ich habe es gerade schon mal gesagt -, ob es dafür eine zwei-Drittel-Mehrheit gibt. Ich zweifele daran. Natürlich wäre es verfassungsrechtlich möglich, die Verfassung zu ändern. Ich behaupte auch nicht, dass wir dann ein verfassungswidriges Verfassungsrecht hätten. Aber Sie brauchen eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, Sie brauchen eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat und Sie müssten die europarechtlichen Hürden überspringen.
Heuer: Sie wären schon dafür, wenn Sie es für machbar hielten?
Bosbach: Nein!
Heuer: Aha!
Bosbach: Ich bin für Freiwilligkeit, aber nicht für einen Zwangsdienst. Und außerdem: Es wäre ja, wenn Sie so wollen – das ist jetzt ein Kalauer -, ein erzwungener Ersatzdienst. Der Ersatzdienst, der sogenannte Zivildienst, war die Folge der Wehrpflicht und nicht umgekehrt.
Heuer: Nun sagt Annegret Kramp-Karrenbauer und andere stützen sie darin, die Dienstpflicht stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhang.
Bosbach: Das ist sicherlich richtig.
Heuer: Brauchen wir nicht genau das in unseren Zeiten, die voller Hass sind, voller Zersplitterung, in denen Grüppchen sich bilden und in ihren eigenen Wolken leben und gar nicht mehr miteinander in Kontakt kommen? Wäre das nicht wirklich ein wertvolles Geschenk an diese Gesellschaft?
Bosbach: Ja. Ein wertvolles Geschenk ist aber – das sagt ja schon das Wort Geschenk – eine freiwillige Abgabe. Wenn sich jemand freiwillig in den Dienst einer guten Sache stellt und freiwillig etwas für die Gemeinschaft tut, dann sollte der Staat dies fördern. Deswegen ist es ja auch eine beachtliche Zahl, 40.000, die das freiwillig tun. Aber eine erzwungene Pflicht setzt ja denknotwendigerweise voraus, Zwang gegen den Willen der Betroffenen, und ob das dann die Gesellschaft so zusammenhalten würde, wie wir uns das alle wünschen, dahinter kann man auch bei Zwang ein Fragezeichen machen.
Pflichtdienst statt Arbeitsplatz?
Heuer: Es kann ja jetzt auch sein, dass in der Praxis viele Schulabgänger gar nicht auf die Idee kommen, sich diesem freiwilligen Dienst anzuschließen. Aber wenn es die Pflicht gäbe, dann wären sie in der Situation, sich zu überlegen, was möchte ich für die Gesellschaft tun. Das wäre doch auch eine gute Maßnahme für uns alle gemeinsam.
Bosbach: Ja, aber viele hätten auch ein anderes Problem. In jeder Bürgersprechstunde war ich damit konfrontiert, dass junge Leute kamen und gesagt haben, ich habe vor mir einen Ausbildungsvertrag, ich möchte die Ausbildung jetzt gerne machen. Was machen wir eigentlich mit denen, die schon in der Ausbildung oder im Studium sind? Was machen wir mit denen, die sich zurückstellen lassen, bis die Ausbildung beendet ist, und dann kommen und sagen, mein Arbeitgeber möchte mich aber gerne jetzt weiterbeschäftigen, ich kann da jetzt nicht ein Jahr fehlen. Dieselben Probleme, die wir früher in der Praxis hatten, Wehrpflicht plus Ersatzdienst, würden sich dann stellen bei einem Pflichtdienst als soziales Jahr.
Heuer: Konservative in der CDU fordern von AKK immer ein stärkeres konservatives Profil. Jetzt versucht sie das, und Sie sagen, ist auch nicht gut.
Bosbach: Ja, jetzt geht es schon wieder los: Kritik an Annegret Kramp-Karrenbauer.
Heuer: Ja, meine Abschlussfrage an Sie.
Bosbach: Liebe Leute, man muss doch mal seine Meinung haben und behalten dürfen, unabhängig davon, wer Vorsitzender der CDU ist. Und es wird jetzt lebhaft diskutiert über diese Frage. Das ist Aufgabe von Parteien, ein und denselben Sachverhalt aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten, zu diskutieren, eine Entscheidung zu treffen. Und wir werden ja dann sehen, hat Herr Detjen völlig richtig beschrieben, was im Parteiprogramm steht. Ich habe meine Zweifel, ob wir dort tatsächlich in den Wahlkampf gehen werden mit einer Dienstpflicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.