Dienstag, 14. Mai 2024

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CDU nach Wahl-Eklat von Thüringen
"Ein Desaster für Kramp-Karrenbauer"

Dass es CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht gelinge, sich gegen den Thüringer Landesverband durchzusetzen, sei Ausdruck eines absoluten Autoritätsvakuums, sagte der Politologe Albrecht von Lucke im Dlf. Das sei der Sargnagel für ihre Kanzlerkandidatur und möglicherweise auch für den Parteivorsitz.

Albrecht von Lucke im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 07.02.2020
Die CDU-Bundesvorsitzende Kramp-Karrenbauer stellt sich in der Nacht zum 7.2. in Erfurt kurz den Journalisten.
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer schafft es nicht, sich gegen den Thüringer Landesverband ihrer Partei durchzusetzen (picture-alliance/dpa )
Thomas Kemmerich hätte die Wahl zum Ministerpräsidenten nicht annehmen dürfen, das sagen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Forsa 72 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Thüringen. Im Falle von Neuwahlen könnte Rot-Rot-Grün nach der Umfrage wieder auf eine Mehrheit hoffen. Demnach würde die Linke des bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow deutlich zulegen, während die CDU fast die Hälfte ihrer Wähler verlöre und auf 12 Prozent abstürzen würden. Die FDP von Kemmerich würde es nicht über die Fünf-Prozent-Hürde und damit nicht einmal mehr in den Landtag schaffen.
Aktuell sieht es allerdings nicht nach Neuwahlen aus. Auch an Tag zwei nach dem Tabubruch von Erfurt ist die Lage unübersichtlich, schütteln sich die Parteien zurecht, fehlt eine Lösung für die Situation. Im Interview mit dem Dlf ordnet der Politologe Albrecht von Lucke, Redakteur der "Blätter für deutsche und internationale Politik", die Lage ein.
Demonstration auf dem Holzmarkt Jena gegen die Wahl des neuen Ministerpräsidenten von Thüringen Thomas Karl Leonard Kemmerich FDP am 5.2.2020 Demoschild zum Blumenstraußwurf von Susanne Hennig-Wellsow Die Linke im Thüringer Landtag Holzmark Jena *** Demonstration on the timber market in Jena against the election of the new Prime Minister of Thuringia Thomas Karl Leonard Kemmerich FDP on 5 2 2020 Demo sign for Susanne Hennig Wellsows bouquet of flowers The Left in the Thuringian Parliament Holzmark Jena
Nach der Thüringen-Wahl: Die Standpunkte der Parteien
Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD sorgt für enorme politische Turbulenzen – in den Parteien werden die Konsequenzen heiß diskutiert.
CDU treibt "die Angst vor dem Verlust der Mandate"
Ann-Kathrin Büüsker: Vielleicht gehen wir noch mal einen Schritt zurück nach Thüringen, nach Erfurt. Da wird jetzt ja plötzlich doch in der CDU darüber nachgedacht, ob man eine Regierung Bodo Ramelow dulden soll. Dagegen hatte sich die Parteispitze in Berlin ganz lange Zeit massiv gewehrt. Wieso scheint das plötzlich doch möglich?
Albrecht von Lucke von Lucke: Das ist ein banaler Grund, der übrigens das, ich würde sagen, Unmögliche nicht möglich machen wird, denn es ist doch absehbar, dass Bodo Ramelow zum gegenwärtigen Zeitpunkt gar nicht darauf eingehen wird. Es ist die schlichte Angst vor dem Verlust der Mandate. Die CDU hat, und das ist ja das Ergebnis der letzten Tage, angesichts dieses Gaus - man muss wirklich von einem größten anzunehmenden Unfall des bürgerlichen Lagers in Gänze sprechen, gemeint sind CDU und FDP - sie hat erkannt, dass sie jetzt in Neuwahlen gehen müsste, ich spreche ausdrücklich von der Thüringer CDU, und dass vernichtende Verluste die Folge wären. Und jetzt klammert man an diesen Mandaten.
Aber ich bin ziemlich sicher: Bodo Ramelow und Rot-Grün werden keine Veranlassung haben, auf dieses Angebot einzugehen. Dann wird sich das auch in nichts auflösen. Und das zeigt die völlige Haltlosigkeit dieser Union - eine Haltlosigkeit, eine Strategielosigkeit, die längst die Zentrale in Berlin ergriffen hat. Denn sie hat von Anfang an nicht erkannt, dass ein vermeintliches Regionalproblem ein ganz grundsätzliches ist, nämlich die Grundsatzfrage, wie bürgerlich ist die AfD, verbieten sich jegliche Koalitionen? Das hat man von Anfang an nicht richtig eingeschätzt und jetzt fällt alles auf Berlin zurück.
"Neuwahlen wären die saubere Lösung"
Büüsker: Aber, Herr von Lucke, ich bin jetzt ein bisschen irritiert. Sie gehen davon aus, dass Ramelow auf dieses Angebot nicht eingehen wird. Warum? Es würde ihm doch eine Regierungsbildung ermöglichen.
von Lucke: Na ja. Die Grundfrage wird doch jetzt sein – und die ist im Raum -, ist angesichts der Tatsache, dass jetzt letztlich eigentlich bei einem klaren geraden Schnitt Neuwahlen erforderlich wären, denn das, was gestern passiert ist, ist eine Kardinalfrage, es ist ja keine Petitesse, es ist ein Umstand, der eigentlich die Frage aufwirft: Ist dieses Parlament, das jetzt in einen dritten Wahlgang gegangen ist – das ist ja das eigentlich normalerweise vorgesehene -., ist das noch heilbar? Nämlich eine Wahl eines Kandidaten, der davor mit den Stimmen von CDU und FDP gewählt wurde und mit denen der AfD, die plötzlich umschwenken.
Ich wäre der Meinung, dass, wenn Bodo Ramelow jetzt darauf einginge, natürlich der Schaden dieses Schwenks auch ein Stück weit sein neues Kabinett erreichen würde. Es wäre ja weiter ein geduldetes und die grundsätzliche strategische Frage ist doch die: Ist es jetzt nicht geboten, tatsächlich Neuwahlen anzuberaumen? Dann würden tatsächlich FDP und CDU die harte Quittung erleben und Rot-Rot-Grün würde dann verstärkt mit einer neuen Mehrheit ausgestattet. Das wäre eigentlich sowohl strategisch wie auch unter parlamentarischen Vorzeichen die saubere Lösung, die übrigens bis gestern auch noch von CDU und FDP als das klare anstrebende Ziel verfolgt wurde.
Büüsker: Das ist jetzt die These auf Basis der aktuellen Umfragen, die gerade wenige Stunden erst alt sind.
von Lucke: Es geht nicht nur um Umfragen. Ich will das deutlich machen. Es geht um etwas Grundsätzliches: Kann ein Parlament, wenn es plötzlich umschwenkt, wenn plötzlich die CDU der Einsicht ist - und das doch ganz ersichtlich bloß unter strategischen Gründen der Einsicht ist -, wir müssen unsere Parlamentssitze jetzt retten, wir müssen jetzt plötzlich das Gegenteil machen von dem, was wir bis gestern gesagt haben, nämlich die Regierung Ramelow dulden. Dann ist das natürlich ein Haken, der dieser neuen Regierungsformation unterliegt. Eine Legitimationsanfrage, die so grundsätzlich ist, dass ich der Meinung bin, das sollten sich die anderen drei Partner, die ja jetzt im Raum sind, SPD, Linke und Grüne, sehr genau überlegen. Es bliebe meines Erachtens ein Legitimationsdefizit und die Grundfrage ist, muss man jetzt nicht deswegen klarer in neue Wahlen gehen.
AfD hat gezeigt, dass sie "eine destruktive Partei" ist
Büüsker: Aber wer sagt denn, dass tatsächlich dann Rot-Rot-Grün gestärkt aus Neuwahlen herausgeht? Es könnte ja auch sein, dass all diejenigen, die jetzt die Nase voll haben von FDP und CDU, dass die die AfD wählen.
von Lucke: Das werden auch Teile davon tun und das ist natürlich ein anderer Teil der Quittung, der folgen wird. Das ist völlig richtig. Wir müssen es uns bewusst machen, der AfD ist eines ganz klar gelungen: Die AfD hat genau die Selbstverbürgerlichungsstrategie, die sie vom ersten Tage an angelegt hat. Sie hat versucht, sich als bürgerlich zu generieren. Erinnern wir uns an den Abend der Thüringen-Wahl. Sie hat sofort die Behauptung aufgestellt, eine bürgerliche Mehrheit ist ja möglich, wir wären bereit, CDU und FDP zu wählen. Sie ist sogar so weit gegangen zu sagen, wir sind die eigentliche bürgerliche Kraft, weil die CDU ja in Teilen bereit ist, Ramelow zu legitimieren beziehungsweise zu dulden, das macht sie zu einer unbürgerlichen Kraft. Das hat offensichtlich in weiten Teilen der CDU so anschlussfähig gewirkt, dass dieser Punkt verfangen hat und dass die CDU, man muss hier unterstellen, in Teilen jedenfalls sehenden Auges diese Koalition beziehungsweise diese Formation eingegangen ist, die dann zur Wahl von Kemmerich geführt hat.
Jetzt ist es natürlich in der Tat so: Die AfD wird in Teilen profitieren. Aber ich habe auch eine, meine ich, positive Botschaft. Ich glaube schon, dass das destruktive Vorgehen der AfD, ihr reines Moment des Vorführens der anderen Parteien, der sogenannten Altparteien, das ja schon im Augenblick der Wahl von Kemmerich ganz sichtlich wurde, als der neue Parteivorsitzende Tino Chrupalla sagte, jetzt sind uns die Altparteien in die Falle gegangen, als Götz Kubitschek, der rechte Vordenker gesagt hat, genau das ist unser Ziel, wir sind destruktiv angelegt, wir wollen faktisch dieses Parlament untergraben, genau das ist aufgegangen. Man kann die Hoffnung haben, dass die Teile, die ein Bürgerliches noch immer im Schilde führen, die bis dato AfD als Protest gewählt haben, dass sie erkennen, wess Geisteskind diese Partei ist, eben alles andere als bürgerlich. Sie ist eine destruktive Partei, die gerade in Thüringen - das hat es bewiesen - gegen die Demokratie spielt. Und die vor allem ein Ziel hat, die anderen Parteien zu unterwandern, zu untergraben und die Stabilität der Demokratie zu untergraben. Das könnte auch dazu führen, dass vernünftige Kräfte die AfD eben nicht mehr wählen.
CDU und FDP: destruktive Tendenz der AfD nicht erkannt
Büüsker: Da nun aber alle anderen Parteien außer der AfD damit beschäftigt sind, eine Lösung zu finden, und die ja bisher gemeinsam nicht gefunden haben und sich auch immer wieder voneinander abgrenzen, teilweise sogar in Blame-Game-Spielen aufeinander einhauen – das sehen wir gerade bei FDP und CDU, die sich da gegenseitig die Schuld zuschieben für das, was in den vergangenen Tagen passiert ist. Unterdessen gibt sich die AfD aber immer wieder gesprächsbereit. Das sah man gestern auch bei Sprecher Möller, der gesagt hat, Neuwahlen brauchen wir gar nicht, die ändern gar nichts an den Verhältnissen, wir sind gesprächsbereit. Nutzt das nicht eher der AfD, die sich jetzt doch als die demokratische, die gesprächsbereite Partei, die lösungsorientiert ist, inszenieren kann?
von Lucke: Na ja, wir dürfen dieser Inszenierung natürlich nicht auf den Leim gehen. Und ich glaube, die letzten Tage in Thüringen haben eines ganz klar gezeigt, dass es eine fingierte Gesprächsbereitschaft ist. Wir müssen uns ja die Äußerungen nur ins Gedächtnis rufen. Ich habe es versucht. Wenn Tino Chrupalla sagt: Das ist das Scheitern der Altparteien, sie sind uns in die Falle gegangen. Das ist doch der Ton, der aus den Reihen der AfD sofort kam. Und natürlich einen eigenen Kandidaten aufzustellen, um ihn danach in keinster Weise zu wählen, ist natürlich ein ganz klar abgekartetes Spiel. Das ist so durchschaubar gewesen, dass ich glaube, hier steckt auch ein kathartisches Moment dieser Wahl drin. Das was positiv an dieser Wahl ist, ist die Tatsache, dass man die Strategie der AfD explizit durchschauen konnte.
Die Tatsache, dass man sich bürgerlich geriert, sich ein bürgerliches Mäntelchen anzieht, darf in Zukunft in keinster Weise mehr verkennen lassen, dass es sich hier um eine Partei handelt, gerade in Thüringen, und ich betone, gerade in Thüringen, die dezidiert diese Demokratie destruktiv angehen will. Deswegen wird doch auch dieses Ereignis so gefeiert. Es ist doch ganz ersichtlich nicht so, dass man es konstruktiv befeiert, sondern es wird als ein Ereignis des Scheiterns und des Vorführens der sogenannten Altparteien gefeiert, und das ist ja tatsächlich das Dilemma.
Wenn wir noch gehört haben, was hier jetzt in Berlin stattfindet, dass Christian Lindner die Vertrauensfrage in Berlin stellen muss. Und übrigens selbst wenn er natürlich bestätigt werden wird, ist allein der Umstand, dass er sie stellen muss, ein solcher Ausdruck eines Scheiterns, einer fehlenden Sensibilität beider "bürgerlichen" Parteien, die mit diesem Begriff immer sehr stolz Politik gemacht haben, eben von FDP und CDU, dass sie nicht erkannt haben, dass die AfD alles andere als bürgerlich ist, dass sie rein antibürgerliche, destruktive Tendenzen gerade in Thüringen verfolgt, und das ist das Scheitern.
Deswegen, glaube ich, muss man das schon als eine Zäsur begreifen und der sauberere Schritt wäre in der Tat die Neuwahl. Und ich bin sehr gespannt, was die Konsequenz jetzt der anderen drei Parteien, von SPD, Linkspartei und Grünen sein wird auf das Angebot der CDU. Das ja nichts anderes ist als der Versuch, den Schaden in den eigenen Reihen, den Verlust von Abgeordnetenmandaten zu verhindern.
"Sargnagel für die Kanzlerkandidatur" Kramp-Karrenbauers
!Büüsker:!! Jens Spahn hat heute in Berlin auch noch mal betont, dass er ganz klar auf Neuwahlen setzt. Annegret Kramp-Karrenbauer ist es ja gestern in Erfurt nicht gelungen, das gegenüber dem Landesverband durchzusetzen. Was heißt das eigentlich für Kramp-Karrenbauers Führungsstärke innerhalb der CDU?
von Lucke: Das ist ein Desaster für Annegret Kramp-Karrenbauer, wenn ich es ein bisschen zuspitzen darf, um es nicht sehr zuzuspitzen. Das mag meines Erachtens tatsächlich so etwas sein wie der Sargnagel für die Kanzlerkandidatur. Ich glaube in der Tat, es wird für Frau Kramp-Karrenbauer noch dramatischer. Es geht irgendwann dann auch um den Parteivorsitz. Wenn sich Armin Laschet – wir haben es vorhin gehört – so explizit damit auch gegen die eigene Parteivorsitzende wendet, wenn er von einem Versagen im Adenauer-Haus spricht. Was es ja in der Tat war, von Anfang an: Das Verkennen dieser desaströsen Lage, der Tatsache, dass die Ausstrahlungswirkung von Thüringen eine bundesweite sein würde, dieser Versuch, das ständige Kokettieren mit einer Duldung der AfD. Wir dürfen das gar nicht vergessen. Am Anfang hat man explizit in Reihen der Thüringer CDU überlegt, sich von der AfD dulden zu lassen.
Dass die CDU im Bund nicht in der Lage war, und an der Spitze Annegret Kramp-Karrenbauer, dem Einhalt zu gebieten, deutlich zu sagen, dass man einen anderen Weg beschreiten muss und der AfD eine klare Absage erteilen muss, das ist natürlich Ausdruck eines absoluten Autoritätsvakuums. Herr Ziemiak hat das ja noch vor Wochen als irre bezeichnet, diese Überlegungen. Jetzt ist in anderer Form genau das eingetreten. Man hat sich faktisch mit Duldung der AfD in eine jetzt neue, so wird es von der AfD dann verkauft, vermeintlich bürgerliche Koalition begeben, die alles andere als bürgerlich ist. Die eben, wie beschrieben, rein destruktiv ist. Und ich glaube, diese destruktive Wirkung beschädigt natürlich in allergrößtem Maße Annegret Kramp-Karrenbauer. Und ich habe allergrößte Zweifel, ob sie sich als Kanzlerkandidatin je in Stellung bringen wird – daran musste man davor Zweifel haben -, aber ob sie als Parteivorsitzende nicht auch zu stark beschädigt ist, weil ich nicht sehe, wie diese Autorität zurückkommen kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.