Mit der asymmetrischen Organokatalyse hätten die beiden Chemiker ein geniales Werkzeug für die Synthese, den Aufbau von Molekülen entwickelt, begründete das Komitee seine Entscheidung. Organokatalyse wird zur Erforschung von Arzneimitteln verwendet und hat dazu beigetragen, Chemie umweltfreundlicher zu machen.
Durch das Verbinden molekularer Bausteine können Chemiker neue Stoffe herstellen. Das Zusammensetzen der unsichtbaren Bausteine zu kontrollieren, ist allerdings alles andere als einfach und dauert lange. Schneller geht es mit Katalysatoren. Das sind Stoffe, die chemische Reaktionen beschleunigen oder in eine bestimmte Richtung laufen lassen.
Klassischerweise sind Katalysatoren Enzyme oder Metalle. Metalle werden zum Beispiel zur Aufbereitung der Abgase im Auto verwendet. Enzyme kommen in jedem Lebewesen vor. Sie spalten beispielsweise in unserem Verdauungstrakt Nahrung in kleinste Komponenten auf. Benjamin List und David MacMillan entwickelten unabhängig voneinander eine weitere Art von Katalysation, die auf kleinen organischen Molekülen, Aminosäuren, beruht. Diese "asymmetrische Organokatalyse" sei
"eine Jahrhundertentdeckung"
, kommentiert Ferdi Schüth, Direktor am MPI für Kohlenforschung und Institutskollege des Nobelpreisträgers List im Dlf.
Benjamin List kam auf die Idee durch seine Arbeit mit Enzymen. Enzyme sind große, komplexe Eiweiße. Für das Herstellen von Molekülen sind aber nur einige wenige Bausteine des Proteins verantwortlich. Benjamin List wollte wissen, ob die reaktiven Bausteine auch ohne das große Enzym um sie herum funktionieren würden. "Also ganz ehrlich: Als ich das erste Experiment gemacht habe und gesehen habe: das funktioniert – da habe ich gedacht: Wow, das könnte was werden", erinnert sich der Chemiker im Deutschlandfunk.
"Ich war Anfang 30 und ich hatte einfach Lust auf was Verrücktes"
Chemie-Nobelpreisträger Professor Benjamin List im Interview mit dem Deutschlandfunk
Chemie-Nobelpreisträger Professor Benjamin List im Interview mit dem Deutschlandfunk
David MacMillan hatte mit Metall-Katalysatoren gearbeitet, die identische Kopien von Molekülen herstellen konnten. Moleküle können in zwei Formen vorkommen, die zwar baugleich sind, aber spiegelverkehrt zueinander, so wie die rechte und die linke Hand. Weil diese
Spiegelmoleküle
oft unterschiedliche Eigenschaften haben, ist es für industrielle Zwecke wichtig, nur eine der beiden Formen zu erhalten.
Die Metall-Katalysatoren, mit denen MacMillan arbeitet, waren für industrielle Zwecke aber zu teuer. Auf der Suche nach einer günstigeren Alternative kam er auf die Idee, kleine organische Moleküle zu testen und entwickelte so unabhängig von Benjamin List die gleiche Methode.
Die Art der Reaktionsbeschleunigung, die von List und MacMillan entwickelt wurde, benutzt kleine organische Moleküle, Aminosäuren. Sie sind viel einfacher zu handhaben als Enzyme, aber weniger giftig und billiger als Metalle. Das Verfahren trug dazu bei, die Chemie umweltfreundlicher zu machen. Die organischen Mini-Katalysatoren sind vergleichsweise billig, in der Regel unbedenklich für Mensch und Natur und lassen sich gut recyceln.
Die zeitgleiche Entdeckung in zwei Laboren hat das Feld sehr beflügelt. Durch das zeitweilige Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen List und MacMillan entwickelte sich die Organokatalyse mit erstaunlicher Geschwindigkeit weiter. Mithilfe dieser Reaktionen können Forscher nun vieles effizienter herstellen, von neuen Arzneimitteln bis hin zu Molekülen, die Licht in Solarzellen einfangen können.
In der Industrie kommen die kleinen Katalysatoren erst langsam an
. Das hat vor allem praktische Gründe: Neue Werkzeuge bringen neue Verfahren mit sich und die Umstellung braucht ihre Zeit.
Eigentlich wollte David MacMillan im schottischen Glasgow Physik studieren. "Aber im Physik-Auditorium war es furchtbar kalt", erzählte der frisch mit dem Nobelpreis gekürte Wissenschaftler in einem Interview. "Im Chemie-Auditorium war es viel wärmer, also habe ich mein Studienfach gewechselt. Das klingt jetzt trivial, ich mochte das Fach natürlich auch."
Für seine Promotion ging der 1968 im schottischen Bellshill geborene Forscher an die University of California in Irvine, dann an die US-Ostküste zur Harvard-Universität und als Professor anschließend wieder für ein paar Jahre ins sonnige Kalifornien. Seit 2006 arbeitet er an der Princeton-Universität.
Der gebürtige Frankfurter Benjamin List ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Er war der Zeremonie in Stockholm per Telefon zugeschaltet, nachdem ihn der Anruf im Familienurlaub in Amsterdam überrascht hatte.
Normalerweise scherze seine Frau beim Frühstück immer, er sollte am Nobelpreis-Tag sein Telefon nicht zu weit weg legen. "Dieses Mal hat sie den Witz nicht gemacht und dann zeigte das Display einen Anruf aus Schweden", erzählte er lachend.
Bekanntgabe des Chemie-Nobelpreises 2021
Im letzten Jahr ging der Chemie-Nobelpreis an Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna. Sie erhielten den Preis für ihre Entwicklung der Gen-Schere CRISPR/Cas9. Die Methode war seit Jahren als starker Anwärter auf den berühmten Preis gehandelt worden. Vor den beiden Biochemikerinnen war der Chemie-Nobelpreis nur fünf Mal an eine Frau vergeben worden.
Der Nobelpreis gilt international als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Auszeichnungen. Zum Auftakt der Nobel-Woche wurden am Montag die Preisträger in der Kategorie Medizin/Physiologie bekannt gegeben. Die Auszeichnung teilen sich in diesem Jahr David Julius und Ardem Patapoutian für die Erforschung von Sinnesrezeptoren. Der Nobelpreis für Physik, dessen Gewinner am Dienstag bekannt gegeben wurden, geht in diesem Jahr zur Hälfte an die Pioniere der Klimaforschung Klaus Hasselmann und Syukuro Manabe sowie an den Italiener Giorgio Parisi für seine Arbeit zum Verständnis komplexer Systeme. Am Donnerstag wird der Nobelpreis für Literatur vergeben. Am Freitag folgt der Friedensnobelpreis und am Montag die Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaften.