Donnerstag, 25. April 2024

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"Das geht alles sehr langsam"

Hannspeter Hellbeck, ehemaliger deutscher Botschafter in Peking, hält nichts von einem Boykott der Olympischen Spiele als Reaktion auf das Vorgehen chinesischer Sicherheitskräfte in Tibet. Die Spiele in Peking böten eine Möglichkeit, dass eine große Zahl von Chinesen mit dem Westen in Berührung kommt, argumentierte Hellbeck. China befinde sich in einem Reformprozess, der allerdings sehr langsam vonstatten gehe.

Moderation: Dirk Müller | 17.03.2008
    Dirk Müller: 13 Tote hat die Führung in Peking inzwischen eingeräumt in Tibet. Heute läuft das Ultimatum an die Aufständischen ab. Am Telefon ist jetzt Hannspeter Hellbeck, vormals deutscher Botschafter in Peking. Guten Morgen!

    Hannspeter Hellbeck: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Hellbeck, müssen wir das so klar und deutlich sehen: China macht, und der Westen schaut zu?

    Hellbeck: Der Westen hat zunächst einmal natürlich wenig Möglichkeiten, da einzugreifen. Und die Eingreifmöglichkeit, die jetzt diskutiert ist und eben auch besprochen worden ist, einen Boykott der Olympischen Spiele auszusprechen, bringt uns, glaube ich, nicht sehr viel weiter. Der Punkt liegt ganz einfach darin, dass auf der einen Seite die Chinesen natürlich ein großes Interesse haben, ihre Spiele durchzuführen. Auf der anderen Seite haben auch wir ein Interesse daran, dass diese Spiele stattfinden. Warum? Weil sie die Möglichkeit schaffen, dass eine große Zahl von Chinesen mit dem Westen, mit dem Ausland in Berührung kommen und viele Chinesen mit dieser Möglichkeit sehr viele Hoffnungen verbinden.

    Denn in China ist durchaus eine Debatte über die weitere Vorgehensweise im Innern im Gange, und das bezieht sich zunächst einmal auf innerparteiliche Diskussionen, die heute ein Ausmaß erreicht haben, was zu meiner Zeit, als ich in Peking war, noch überhaupt nicht vorstellbar war. Dann kommt dazu, dass auch der Herr Staatspräsident auf dem Parteitag im Herbst letzten Jahres das Stichwort "Befreiung des Denkens" ausgesprochen hat, ein Stichwort, das der Premierminister erst vor einer Woche oder vor zehn Tagen wieder aufgenommen hat, ohne zu sagen, was er damit genau meint. Aber es ist ein Schlagwort, was heute von vielen Menschen dankbar aufgegriffen wird und was dazu dienen wird, die Diskussion über die innere Verfassung des Landes weiter voranzutreiben.

    Müller: Herr Hellbeck, die neuen Worte, die Sie gerade angesprochen haben, haben aber offenbar noch nichts mit der politischen Praxis zu tun.

    Hellbeck: Das geht alles sehr langsam. Seit 30 Jahren ist China in einem Reformprozess begriffen, der zunächst sich mal auf die Wirtschaft konzentriert hat. Und wenn wir die Zeiträume, die China zur Verfügung stehen, vergleichen mit den Zeiträumen, die Westeuropa, Deutschland oder sonst wer gebraucht haben, um zu modernen Staaten zu werden, dann steht China nicht mal so ganz schlecht da. Das muss man auch immer sehen. Gerade wenn man über das Thema Menschenrechte spricht, dann wissen wir, dass wir natürlich auch einige Zeit gebraucht haben. Und wie ein chinesischer Außenminister mal seinem deutschen Gast erklärt hat, es habe eine Zeit gegeben, wo auch das deutsche Land in keinem so großen Ansehen gestanden habe. Also das liegt alles noch nicht so weit zurück. Zu meinen Lebzeiten hat das alles noch stattgefunden, und ich glaube, dass die Chinesen auf diesem Wege auch nur sehr langsam vorankommen werden.

    Aber es ist heute so, dass im Augenblick eine Generation an der Macht ist, die sich die vierte Generation nennt, die teilweise noch in der Sowjetunion ausgebildet worden ist. Aber diese Menschen werden abgelöst werden durch eine neue, die fünfte Generation in ein paar Jahren, die nur noch in China oder im westlichen Ausland ausgebildet worden sind. Davon gibt es schon eine ganze Reihe, und das sind Leute, die über vieles sehr viel anders denken als die Menschen, die bisher die Dinge bestimmt haben.

    Müller: Wenn wir Ihnen nun folgen und sagen, man muss dort Geduld haben, das ist ein großes Land; es ist schon sehr, sehr viel passiert, können sich die Minderheiten in China noch länger leisten, Geduld zu haben?

    Hellbeck: Das ist eine ganz schwierige Frage. Die Minderheiten in China machen acht Prozent aus der Bevölkerung. Das ist also mehr eine Randerscheinung in gewisser Weise. Aber acht Prozent von 1,3 Milliarden ist natürlich schon eine Zahl, die an die Bevölkerungszahl Deutschlands heranreicht. Auf der anderen Seite sind die Minderheiten unterschiedlich aufgestellt. Es gibt Minderheiten in Südwestchina, die ganz fröhlich und friedlich leben können. Es gibt in der inneren Mongolei Mongolen, die, glaube ich, ziemlich gut und weitgehend integriert sind, so weit ich das habe feststellen können. Und dann gibt es die zwei schwierigeren Minderheiten. Das sind die Tibeter auf der einen Seite und die Uiguren beziehungsweise die Ostturkistan-Menschen in Singkiang, die erheblich größere Schwierigkeiten haben.

    Müller: Herr Hellbeck, gehen wir auf die Tibeter ein. Warum hat China, warum hat Peking das nötig, in Tibet so vorzugehen und dort nicht schrittweise zu liberalisieren?

    Hellbeck: Das ist eine Frage, die nur ganz schwer zu beantworten ist. China hat 1951 ein Autonomiestatut vereinbart oder durchgesetzt für Tibet, und das Gebiet nennt sich ja heute auch Autonomes Gebiet Tibet. An der Bezeichnung haben sie nicht mal gerüttelt. Aber was da im Lande selbst geschehen ist, ist ja ein Versuch einer Sinisierung, die durch den Zuzug von sehr vielen Chinesen, insbesondere Geschäftsleuten, vorangetrieben wird. Es ist auch eine durchaus menschenfreundliche Anbindung einer Eisenbahnlinie geschehen, die vor drei Jahren eröffnet worden ist. Auch das ist ein Punkt. Aber auf der anderen Seite ist natürlich auf die kulturellen Wünsche der Tibeter nie große Rücksicht genommen worden, und da sieht die Situation nach wie vor sehr schwierig aus. Da entsteht die Frage, ob nun die neue Richtschnur der Befreiung des Denkens dazu führen kann, dass man dort etwas großzügiger verfahren kann, dass man dort den Menschen auch ein Mitspracherecht einräumt.

    Das sind alles Dinge, die bisher in den letzten 20 Jahren leider gar nicht diskutiert worden sind und auch nicht in Angriff genommen worden sind. Auch von Seiten des Dalai Lama gibt es leider ebenso keine Konzeptionen, die den Chinesen helfen könnten, da ein Stück weiter zu kommen.

    Müller: Hannspeter Hellbeck heute Morgen live im Deutschlandfunk, vormals deutscher Botschafter in Peking. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!