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Verein der Tibeter in Deutschland für Olympiaboykott

Tsering Lhanzom, Vorsitzende des Vereins der Tibeter in Deutschland, verlangt einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking. Jene Politiker, die gegen einen Boykott sind, sollten auf der anderen Seite dafür sorgen, dass es eine unabhängige Untersuchung in Tibet gibt und die Menschenrechte dort geachtet werden.

Moderation: Bettina Klein | 17.03.2008
    Bettina Klein:! Sorge um die Entwicklung in Tibet weltweit: Nach wie vor ist es nicht einfach, an gesicherte Informationen zu gelangen. Die tibetische Exilregierung in Indien spricht von mehreren hundert Opfern, die bei der Niederschlagung der Proteste in Tibet von chinesischen Sicherheitskräften getötet worden seien. Die chinesische Regierung ihrerseits dagegen nennt inzwischen 16 Tote.

    1936 hatten viele auf den Olympischen Spielen in Berlin den Nazis mehr oder weniger zugejubelt. Der Diktator fühlte sich in seiner menschenverachtenden Politik bestärkt. Die Lehre aus '36 muss heißen: nie wieder feiges Schweigen. Das ist eine Stimme in der Presse heute zur Diskussion um die Frage, sollen vor dem Hintergrund der Entwicklung in Tibet die Olympischen Spiele stattfinden, oder sollten sie boykottiert werden? Es ist eine Minderheit, die sich in diesen Tagen öffentlich so äußert. Die meisten Sportfunktionäre und auch die Bundesregierung sind der Meinung, dass es keinen Grund gibt, die Spiele zu boykottieren, und dass diese Art der historischen Parallel wie die gerade zitierte unzulässig sei.

    Am Telefon ist jetzt Tsering Lhanzom. Sie ist Vorsitzende des Vereins der Tibeter in Deutschland. Ich grüße Sie, Frau Lhanzom!

    Tsering Lhanzom: Ich grüße Sie!

    Klein: Wie besorgt sind Sie über die Situation in Tibet?

    Lhanzom: Sehr, sehr besorgt. Alle Tibeter sind sehr besorgt. Wir alle haben gestern auch in der BBC gesehen, wie seine Heiligkeit, der Dalai Lama, so besorgt aussah. Er war letztes Jahr im Sommer in Deutschland. Er sah nie so aus wie gestern im BBC-Interview.

    Klein: Haben Sie andere Informationsmöglichkeiten als wir alle über die Medien? Haben Sie noch Kontakte direkt ins Land?

    Lhanzom: Ich habe mit einigen Tibetern gesprochen, die sehr nahe Verwandte in Tibet haben. Viele haben keinen Kontakt seit zwei Tagen. Vor drei Tagen haben es einige geschafft, da anzurufen. Es ist nicht nur in Lhasa, dass sie Probleme haben. Die Tibeter, die in Osttibet wohnen, sie können auch keinen Kontakt bekommen. Einer hat vor zwei Tagen jemanden erreicht in Osttibet und hat dabei von seinen Verwandten gehört, dass die Polizei in die Häuser kommt, alles durchsucht und einige verhaftet.

    Klein: Die Exilregierung in Indien spricht von bis zu hundert Toten. In anderen Meldungen ist die Rede von mehreren hundert Toten. Gehen Sie davon aus, dass die Opferzahl so hoch ist?

    Lhanzom: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Wir alle wissen, wie die chinesische Polizei ist. Sie sind ganz hart, und sie haben keine Menschenrechtsachtung wie hier in Deutschland oder in einem demokratischen Land.

    Klein: Das heißt, Sie können sich sogar vorstellen, dass das Dimensionen annehmen könnte von dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens 1989, die wir dort gesehen haben?

    Lhanzom: Das kann ich nicht sagen. Ich hoffe auch, dass das nicht passiert.

    Klein: Die chinesische Regierung spricht davon, dass es im Grunde genommen ja Kleinkriminelle in Tibet waren, die diese Proteste jetzt ausgelöst haben. Das ist höchstwahrscheinlich Propaganda aus Ihrer Sicht?

    Lhanzom: Auf jeden Fall. Das war eine einfache, friedliche Demonstration. Ein gutes Beispiel ist: Am Samstag hat eine friedliche Demonstration in Frankfurt vor dem chinesischen Konsulat stattgefunden. Diejenigen, die diese Demonstration oder die Mahnwache organisiert haben, hatten keinerlei Absicht, Gewalt oder dergleichen anzuwenden. Die Situation ist aber so eskaliert, weil die Chinesen aus dem Konsulat rausgeguckt und die Tibeter provoziert haben, und diese waren so sauer, dass sie über den Zaun des Konsulats gesprungen sind und die chinesische Fahne runtergeholt und die tibetische Fahne aufgehängt haben. Das war nicht die Absicht gewesen, und das ist genau in Tibet auch passiert. Es war einfach nur eine ruhige oder friedliche Demonstration geplant.

    Klein: Letzte Frage, Frau Lhanzom, mit der Bitte um eine kurze Antwort: Sollten die Olympischen Spiele im Sommer wie geplant in China stattfinden aus Sicht Ihrer Organisation?

    Lhanzom: Meiner Ansicht nach, aber auch nach Meinung vieler anderer ist es so, dass die Olympischen Spiele nicht stattfinden sollten. Und die Politiker, die gegen einen Boykott sind, müssen auch dafür sorgen, dass es eine unabhängige Untersuchung in Tibet gibt und die Menschenrechte in Tibet geachtet werden sollen.

    Klein: Vielen Dank. Das war Tsering Lhanzom, Vorsitzende des Vereins der Tibeter in Deutschland, mit ihrer Einschätzung der Situation im Augenblick in Tibet. Danke Ihnen für das Gespräch, Frau Lhanzom.