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"Die Spiele sollen stattfinden"

Der CDU-Politiker Günter Nooke hält einen Olympiaboykott als Reaktion auf die Menschenrechtslage in Tibet für unangemessen.

Moderation: Bettina Klein | 17.03.2008
    Bettina Klein: Wir widmen uns der Entwicklung in Tibet und den Folgen, die daraus erwachsen könnten, wie manche fordern. Können vor dem Hintergrund des Verhaltens der chinesischen Führung die Olympischen Spiele im Sommer wie geplant stattfinden, oder sollten sie boykottiert werden? Eine Frage, die heute diskutiert wird. Olympia als politisches Druckmittel, dies ist gewiss kein Novum in der Geschichte. ( MP3-Audio , Beitrag von Herbert Fischer-Solms)

    Am Telefon begrüße ich jetzt Günter Nooke (CDU), Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Hallo!

    Günter Nooke: Schönen guten Tag, Frau Klein!

    Klein: Herr Nooke, der Tenor aus den Etagen der Sportfunktionäre, aber auch aus der deutschen Politik lautet: Die Spiele in China müssen stattfinden ungeachtet dessen, was in Tibet geschieht. Stimmen Sie als Menschenrechtsbeauftragter uneingeschränkt zu?

    Nooke: Ich bin entschieden gegen einen Boykott, und trotzdem muss man natürlich erstmal sagen, das Vorgehen der chinesischen Führung in Tibet ist völlig inakzeptabel. Man kann natürlich auch nicht sagen, egal was passiert, die Spiele finden statt, so dass am Ende vielleicht nur noch übrig bleibt, böse Miene zum bösen Spiel zu machen. Ich glaube, da muss man schon genau abwägen. Aber ich finde es nicht gut, auf dem Rücken der Sportler jetzt das, was wir politisch nicht in die Reihe kriegen, auszutragen. Ich finde, das IOC hat eine viel, viel größere Verantwortung zum Zeitpunkt der Vergabe von Olympischen Spielen, und da muss man genau sich überlegen, ob man jetzt China anerkennen will und dann auch in Kauf nimmt, dass man dort Jubelfeiern veranstaltet trotz der Menschenrechtsverletzungen, die mehr oder weniger doch weiter stattfinden, oder ob man nicht dann doch andere Länder vorzieht.

    Klein: Sie sagen das Kind ist oder war in den Brunnen gefallen mit der Entscheidung des IOC?

    Nooke: Ja. Wenn Sie sich anschauen, dass die Winterolympiade nach Sotschie gegangen ist; die Kaukasus-Region ist keineswegs befriedet. Ich glaube, dass die Diskussion jetzt darüber stattfinden muss, wie man Druck auf die chinesische Führung ausüben kann, dass das, was jetzt in Tibet geschieht, und Menschenrechtsverletzungen im Land nicht weitergehen, so dass eine Jubelkulisse während des Sommers dann aufgebaut wird, hinter der im Grunde das, was an Verbrechen gegen Menschen dort passiert, nicht mehr sichtbar ist. Ich glaube, die Sensibilität der chinesischen Führung, empfänglich zu sein und - das wäre natürlich mein Wunsch als Menschenrechtsbeauftragter - dauerhaft die Situation für die betroffenen Menschen dort zu verbessern, insbesondere die Tibeter, das muss jetzt passieren.

    Klein: Es darf keine Spiele geben, sagen Sie, die als Jubelkulisse die Sicht auf permanente Menschenrechtsverletzungen verdecken. Wer soll das verhindern im Sommer?

    Nooke: Ich glaube, dass es gut ist, wenn in vielen Gesprächen, die stattfinden, nicht nur in öffentlichen Stellungnahmen, immer wieder auch Europäer, Deutsche, wir unser Verständnis von Menschenrechten, von Werten, wie friedliches Zusammenleben in einer Gesellschaft möglich ist, auch den Vertretern der chinesischen Seite, den ganz normalen Menschen auf der Straße oder den Verantwortlichen sagen. Ich denke, dass es nicht anders geht, als dass wir verbal uns ganz klar und sowohl öffentlich als auch in den vielen Gesprächen, die dann Trainer und der ganze Tross, der mit den Sportlern mitreist, Journalisten, dort führen, dass wir dort klar machen: Wir sind nicht hergekommen, um zu jubeln, sondern wir nutzen die Eröffnung der Olympischen Spiele, um auch auf das hinzuweisen, was in China passiert. Wobei mein Wunsch wäre, das jetzt zu tun und am 8. August dann wirklich auch die internationale Öffentlichkeit den Sportlern zu behalten. Das heißt, wir müssen uns jetzt Mühe geben, dass etwas sich verändert, und nicht während der Spiele dann daraus versuchen, Menschenrechtsveranstaltungen zu machen und nicht Olympische Spiele, was den Sport angeht.

    Klein: Sie sagen verbal Einfluss nehmen. Was wäre denn für Sie ein sichtbarer, ein konkreter Erfolg dieser Art der Einflussnahme?

    Nooke: Wenn zum Beispiel die chinesische Führung bereit wäre, mit dem Dalai Lama über einen weitgehenden Autonomiestatus in Tibet zu sprechen, wenn man auch die anderen Minderheiten im Land wie die Uiguren zum Beispiel anerkennt und nicht pauschal unter Terrorismusverdacht stellt, wenn man sich Gedanken macht über die Umerziehungslager, die ganzen Administrationshaftlager, die es dort noch gibt. Ich glaube, es müssen einfach sichtbare Schritte passieren, und es ist ja nicht so, dass China nicht weiß, dass sie sich in der Richtung bewegen müssen. Sie bewegen sich nur zu langsam. Ich will gar nicht sagen, dass sie sich gar nicht bewegen, aber in Tibet zumindest haben wir jetzt einen massiven Rückschlag, und das muss friedlich gelöst werden. Da geht es natürlich zuerst um den Gewaltverzicht von beiden Seiten. Und wenn der angeboten wird, dann sollte die chinesische Führung dort auf die Verantwortlichen zugehen, die dort auch in der Lage sind, etwas zu verhandeln, und nicht diejenigen, die mit einem Bild vom Dalai Lama durch die Straßen gehen oder irgendwie Sympathie für ihn äußern, noch bestrafen beziehungsweise da Bekenntnisse abfordern, dass sie sich von ihm lossagen. Das geht auch nicht für Menschen, die religiös sind.

    Klein: Herr Nooke, lassen Sie mich noch mal nachfragen: Wenn die chinesische Führung sich nicht in der Weise bewegt, wie Sie es gerade angedeutet haben, sollen die Spiele dann dennoch stattfinden, oder wann ist für Sie die Schmerzgrenze erreicht?

    Nooke: Ich würde in jedem Falle heute sagen, die Spiele sollen stattfinden. Ich glaube, dass es unsere Verantwortung ist, eine Situation zu schaffen, wo es am 8. August auch möglich ist, diese Spiele zu eröffnen, das heißt dauerhafte Veränderungen jetzt von der chinesischen Führung zu verlangen. Da gibt es ja noch den Sicherheitsrat, der Menschenrechtsrat in Genf tagt gerade. Dort muss so etwas thematisiert werden, dass wir nicht bereit sind hinzunehmen, was jetzt von der chinesischen Führung in Tibet zu verantworten ist. Aber ich glaube, die Diskussion über den Boykott führt nur in eine Verunsicherung aller Seiten - vor allem auch der Sportler, die sich darauf vorbereiten. Die Verantwortung, die wir haben, auch wir als Bundesregierung, die will ich nicht gerne dem IOC oder den Sportlern jetzt quasi stellvertretend rüberhelfen.

    Klein: Günter Nooke, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Nooke.

    Nooke: Auf Wiederhören, Frau Klein.