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"Sportorganisationen sind keine Weltregierung"

IOC-Vizepräsident Thomas Bach hat sich gegen einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking wegen der Unruhen in Tibet ausgesprochen. Der Sport habe keinerlei politisches Mandat. Man habe bereits 1980 bei den Spielen in Moskau gesehen, dass Boykotte erfolglos seien.

Moderation: Dirk Müller | 17.03.2008
    Dirk Müller: Die Forderungen mussten irgendwie kommen oder sollten kommen, wie immer mehr Stimmen einklagen, zumindest ernsthaft darüber nachdenken, die Olympischen Spiele in Peking zu boykottieren - wie 1980 in Moskau, wie im Gegenzug dann 1984 in Los Angeles. Kurz vor der Sendung hatten wir Gelegenheit, mit Thomas Bach, Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, über diese Frage zu sprechen. Meine erste Frage: Steht der Sport über den Menschenrechten?

    Thomas Bach: Nein, keinesfalls. Der Sport kann und wird seine Rolle spielen bei der Verwirklichung der Menschenrechte. Der Sport und die Sportorganisationen sind aber auch keine Weltregierung. Man kann dem Sport nicht aufbürden ein politisches Mandat, das ihn damit betraut, alle Probleme zu lösen, die Generationen von UN-Generalsekretären, Staats- und Regierungschefs nicht gelöst haben.

    Müller: Dann könnten wir uns auf die Formel einigen, der Sport ist in jeder Situation in jedem Falle neutral?

    Bach: Nein. Der Sport ist politisch neutral, aber er ist nicht apolitisch und er erfüllt seine Rolle in der Frage der Menschenrechte, indem er mit den chinesischen Gastgebern darüber spricht, dass deren Zusagen eingehalten werden, wie zum Beispiel eine mögliche internationale Berichterstattung von den Olympischen Spielen in Peking, wo die chinesischen Gastgeber bis zu 25.000 Medienvertreter aufgrund einer Akkreditierung seitens des Internationalen Olympischen Komitees und nicht handverlesen durch die chinesische Regierung ins Land lassen müssen. Das sind die Möglichkeiten, wo der Sport Einfluss hat. Für viele andere Fragen sind die Politik und die Nichtregierungsorganisationen zuständig, die hier ihrer Verantwortung dann auch gerecht werden.

    Müller: Haben Sie jetzt, Herr Bach, ein mulmiges Gefühl mit Blick auf diesen Sommer?

    Bach: Ich habe kein mulmiges Gefühl in Bezug auf den Boykott, weil die Gegnerschaft gegen diesen Boykott sehr hochrangig und qualitativ hochrangig ist. Selbst der Dalai Lama hat sich expressis verbis gegen einen Boykott ausgesprochen. Amnesty International hat sich gegen einen Boykott ausgesprochen, die Bundesregierung hat sich gegen einen Boykott ausgesprochen und viele andere Regierungen dieser Welt. In der Tat ist es bisher so, dass eigentlich kein Verantwortungsträger tatsächlich einen Boykott gefordert hat, weil alle die Lektion gelernt haben, dass Boykotte erfolglos sind. Das haben wir schon 1980 in aller Deutlichkeit gesehen.

    Müller: Wird sich, Herr Bach, das Internationale Olympische Komitee in der jetzigen Situation in irgendeiner Form offiziell gegenüber Peking äußern?

    Bach: Das Internationale Olympische Komitee und unser Präsident Jacques Rogge hat Fragen der Menschenrechte immer in den Gesprächen mit der chinesischen Staats- und Regierungsführung angesprochen, immer aber auch in dem Bewusstsein des Mandats des Internationalen Olympischen Komitees und das ist wie gesagt kein politisches Mandat.

    Müller: Ist das Stichwort Tibet jemals gefallen?

    Bach: Ich war bei diesen Gesprächen nicht dabei und ich glaube auch nicht, dass diese Art inquisitorischer Befragung über vertrauliche Gespräche, die der IOC-Präsident führt, mit einem Dritten, der nicht an den Gesprächen beteiligt war, zielführend ist.

    Müller: Haben Sie, Herr Bach, Vertrauen in das Verhalten beziehungsweise auch in die künftige Haltung und in die künftige Vorgehensweise der Regierung in Peking?

    Bach: Ich denke, dass es einer der Vorteile Olympischer Spiele ist - und wir haben das gesehen -, dass eben auch Fragen der Menschenrechte im Gastgeberland sich besonderer öffentlicher Aufmerksamkeit erfreuen. Wir beide würden jetzt nicht über Menschenrechte in China sprechen, wenn China nicht Gastgeber der Olympischen Spiele wäre. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Ich weiß, dass die chinesische Regierung diese Tatsache sehr wohl anerkennt und auch in ihre Überlegungen mit einbezieht.

    Müller: Noch mal gefragt, Herr Bach. Haben Sie Vertrauen darin, dass die Führung in Peking ihr Wort hält?

    Bach: Die Führung in Peking hat die Verpflichtungen, die sie gegenüber dem Internationalen Olympischen Komitee eingegangen ist, bisher wortgetreu erfüllt.

    Müller: Losgelöst von der jüngsten Entwicklung?

    Bach: Das hat nicht losgelöst von der jüngsten Entwicklung etwas zu tun. Noch einmal: Die Verpflichtungen der chinesischen Regierung beziehen sich auf die im Zusammenhang mit der Organisation der Olympischen Spiele stehenden Verbesserungen bei der Presseberichterstattung, im Umweltbereich beispielsweise und in diesem Bereich, der dem Internationalen Olympischen Komitee obliegt, hat die chinesische Seite ihre Verpflichtungen voll erfüllt.

    Müller: Wir wissen auch beide nur zum heutigen Stand das, was wir in den vergangenen Tagen über die Nachrichtenagenturen, über die Korrespondenten erfahren haben. Sollte die Situation in Tibet in den nächsten Tagen und Wochen weiter eskalieren, würde dann das IOC noch einmal neu nachdenken?

    Bach: Wir beobachten diese Situation selbstverständlich mit großer Aufmerksamkeit. Ich werde nicht spekulieren über eine weitere Entwicklung, aber generell gilt: Je schwieriger eine Situation ist, je krisenhafter sie ist, umso wichtiger ist das mit den Olympischen Spielen verbundene Zeichen eines friedlichen Miteinanders. Umso wichtiger ist das mit den Olympischen Spielen verbundene Zeichen der Möglichkeit eines Dialogs und der Verständigung.

    Müller: Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Bach - letzte Frage -, wenn Sie unter dem Strich sagen, bis jetzt hat Peking diese Olympischen Spiele auch durch das Vorgehen vor Ort in Lhasa noch nicht gefährdet?

    Bach: Die Haltung des Internationalen Olympischen Komitees hier ist klar. Die Funktion Olympischer Spiele ist es, Brücken zu bauen und nicht Mauern zu errichten durch Boykotte. Die Erfolglosigkeit solcher Boykotte nicht nur im Sport, aber speziell auch im Sport hat die Zeitgeschichte jüngster Art deutlich bewiesen. Ein Boykott hat noch nie ein Problem gelöst, genauso wenig wie Gewalt.

    Müller: Also hat Peking die Spiele noch nicht gefährdet?

    Bach: Noch einmal: die Funktion Olympischer Spiele ist es, Brücken zu bauen und nicht Mauern zu errichten.

    Müller: Heute Morgen im Deutschlandfunk Thomas Bach, Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes. Wir haben ihn leider nur über Handy erreichen können.