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DDR-Architekturentwürfen
Als Ostberlin zur Hauptstadt ausgebaut wurde

In der Berlinischen Galerie werden wiedergefundene Foto-Collagen von Dieter Urbach mit Ansichten von DDR-Bauprojekten aus den 60er-Jahren restauriert. "Es sind Projektionsflächen, auf welchen der Stadt- und Lebenstraum dieser Architekten erzählt wird", sagte Ursula Müller, die Leiterin der Architektursammlung, im DLF.

Ursula Müller im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig | 06.01.2015
    Eine Collage von Dieter Urbach
    Eine Collage von Dieter Urbach (Dieter Urbach)
    Rainer Berthold Schossig: Wenn Kunsthistoriker nicht wissen, unter welcher Rubrik sie eine künstlerische Methode ablegen sollen, dann erfinden sie flugs ein neues Schubfach, zum Beispiel Gouache gleich Mischtechnik, aber kein Mensch weiß, was da alles pinselnd vermischt wurde. Noch problematischer die Collage. Das ist etwas Zusammengeklebtes irgendwie, aber womit da welche Materialien geleimt oder gespachtelt sind, ist oft schwer zu bestimmen, und daher sind Collagen für Restauratoren in den Museen oft Albträume.
    Jetzt ist man in der Berlinischen Galerie auf eine Reihe von Fotocollagen gestoßen, auf denen DDR-Architekturentwürfe aus den 60ern zu sehen sind, die einst dem Politbüro präsentiert wurden. Eindrucksvoll sind sie wegen ihrer flotten atmosphärischen und positiv saugenden plastischen Wirkung, und der DDR-Grafiker Dieter Urbach verwendete dafür neben Foto- und Offset-Schnipseln auch schon mal Airbrush-Technik und anderes. Vor der Sendung habe ich mit Ursula Müller, der Leiterin der Architektursammlung der Berlinischen Galerie, gesprochen und sie gefragt: Die beschriebenen Collagen werden gerade bei Ihnen mithilfe des Stiftungsbündnisses "Kunst auf Lager" in Ordnung gebracht. Haben Sie diese Stücke in Ihren Depots persönlich wiederentdeckt?
    Ursula Müller: Ja, genau so ist es. Im Zuge einer Ausstellungsvorbereitung sind wir auf ein sehr interessantes Konvolut gestoßen von Architekturcollagen, und diese Architekturcollagen waren uns vorher nur durch Publikationen bekannt. Wir haben richtig danach gesucht und sie dann Gott sei Dank auch noch bei dem Urheber gefunden.
    Schossig: Das wollte ich gerade fragen. Wie findet man so etwas? Wo muss man dann suchen?
    Müller: Im Kontext der Ausstellungsvorbereitung zu einer Präsentation der Architektur der 60er-Jahre in Berlin haben wir natürlich recherchiert in Fachmedien, und in diesen Fachmedien, aber auch in ganz populären Zeitschriften aus dieser Zeit fielen uns Architekturdarstellungen auf, eben solche Collagen, die auf sehr leicht verständliche populäre Art versuchen, Architekturentwürfe der Öffentlichkeit näherzubringen. Und da wir als Ausstellungshalle, als Museum auch immer gerne dieses Anliegen haben, neben den traditionellen Medien wie Plänen, Zeichnungen, Modellen auch noch andere Formen der Präsentation von Architektur darzustellen, fand ich diese Collagen besonders interessant und habe dann nachgeforscht.
    Schossig: Das sind 18 Schaubilder, die Sie da in Arbeit haben, die wie gesagt noch nicht zu sehen sind, aber wohl im Jahr 2015 ausgestellt werden können. Architekturentwürfe, sagen Sie. Es gibt im Internet einige zu sehen; das sind ja riesige Panoramaausrollungen, die fast an die, ich sage mal etwas frech, Hauptstadt Germania erinnern. Die Hauptstadt der DDR sollte das ja werden.
    Müller: Genau. Das sind Stadt- und Innenraumperspektiven, die eine ganz besondere Technik verfolgt haben, um in so einer panoramatischen Sehweise Architekturentwürfe zu veranschaulichen. Und da ging es um sogenannte Sonderbauvorhaben für den Aufbau Ostberlins zur Hauptstadt der DDR, und das waren diese Vorhaben. Da wurden renommierte Architekten wie Hermann Henselmann oder Josef Kaiser oder Roland Korn haben hierfür Entwürfe entwickelt. Und um diese Entwürfe sowohl vor der Staatsführung der ehemaligen DDR als auch dann später für die Öffentlichkeit zu präsentieren und verständlich vor allem zu präsentieren, wurden dann oft unter großem Zeitdruck diese Collagen angefertigt, und bei Dieter Urbach, der der Urheber dieser Collagen ist, hatte ich dann im Zuge der Recherche auch nachgefragt, und in der Tat: Dieter Urbach hatte noch einige wenige dieser Exemplare bei sich zuhause.
    Schossig: Wer war eigentlich Auftraggeber? Sie sagten, im Auftrag von zum Beispiel Hermann Henselmann, sehr berühmter Architekt, der ja auch den großen Funkturm gebaut hat am Alex, und SED-Regierung. Wer war denn nun wirklich Auftraggeber? Schwankte das dazwischen, war das gar nicht so leicht zu analysieren?
    Müller: Auftraggeber waren in der Tat immer die Architekten. Die wandten sich direkt an Dieter Urbach. Die Architekten aber wiederum bekamen von der Staatsführung gesagt, zeigt uns jetzt mal, was ihr bis jetzt entworfen habt, wir möchten das mal sehen. Und das waren meistens entscheidende Momente, wo es dann hieß, okay, das wollen wir realisieren, oder das ist weniger interessant.
    Schossig: Realisieren - da denke ich sofort an realen Sozialismus. Waren das nun Schönwetteransichten, die Urban da machte, oder waren das wirklich realistische, real existierende Sichten?
    Müller: Er hat wirklich versucht, es so realitätsnah wie möglich zu inszenieren. Es war natürlich auch eine sehr suggestive Darstellungsweise, die die Entwürfe möglichst so dargestellt wissen wollten, wie sie hofften, dass es der DDR-Staatsführung auch gefiel.
    Schossig: Urbach idealisierte ja auch die Stadtansichten, und waren es nicht doch Wunschvorstellungen? Wie kann man das unterscheiden? Wenn man sich das heute wieder anschaut, dann hat man doch wohl ambivalente Gefühle gerade bei solchem Thema und bei solchen Auftraggebern.
    Müller: Auf jeden Fall. Das ist auch das Spannende an diesen Aufnahmen. Es sind auf jeden Fall Projektionsflächen, auf welchen dieser Stadt- und Lebenstraum dieser Architekten erzählt wird. Es sind natürlich auch gesellschaftspolitische Weltanschauungen, die da zu sehen sind und die man heute natürlich noch mal mit ganz anderem Abstand anders betrachtet.
    Schossig: Es ging auch um ein Verständnis von Architektur. Sie sind Architekturfachfrau. Wie würden Sie sagen, wo gab es da Unterschiede zum hiesigen westlichen Verständnis von Architektur, gerade in den 70er-Jahren, wo man ja hier Betonbrutalismus pflegte?
    Müller: Das ist genau das, was wir jetzt gerade versuchen, in der Ausstellung zu den 60er-Jahren, die auch von Ende der 50er beginnt und in die 70er hinausstrahlt, auch noch mal näher zu untersuchen. Meine These ist derzeit, dass es gar nicht so weit voneinander entfernt war. Es gab natürlich welche, alles war im Zeichen des Kalten Krieges, die Mauer war gebaut, und beide Systeme standen in starker Konkurrenz zueinander. In der Architektur und im Städtebau zeigte sich dies auch und daher versuchte sich jeder bestmöglich, aber orientierend an der sogenannten internationalen Moderne darzustellen. Und auch diese Großbauprojekte, die es da in erster Linie auch waren - ich sage mal als ein Beispiel auch das ehemalige Außenministerium der DDR, was es ja heute nicht mehr gibt -, diese Projekte waren, wenn man sie mal vergleicht im internationalen Kontext, aber auch allein mit Westberlin, gar nicht so anders in der Gestaltung.
    Schossig: Nun war er ja - das kann man ihm nicht vorwerfen -, Urbach war ein ganz analoger Denker und Künstler und auch Macher. Dass die Dinge bisher nicht gezeigt werden konnten, sondern in der Schublade lagen, jetzt bei Ihnen im Archiv, lag ja auch daran, dass diese Collagen vom Zahn der Zeit deutlich gezeichnet sind. Was sind die Hauptursachen, dass sie so verfallen waren?
    Müller: In erster Linie waren es Gebrauchsgegenstände. Man hat ihnen natürlich damals, eigentlich bis ich dort auftauchte, auch gar keine allzu große Bedeutung beigemessen. Sie wurden entsprechend auch nicht sorgfältig verwahrt. Wir vermuten, ohne dass es uns wirklich zugetragen wurde, aber wir vermuten anhand der Schäden, dass es wirklich große Wasserschäden mal gegeben haben muss, ob es da einen Wassereinbruch gab, oder wie auch immer. Auf jeden Fall haben die Schimmelbefall, leider stärker als anfänglich gedacht. Sie haben starke Verwellungen, es lösen sich Gelatine-Schichten von den analogen Fotografien und so weiter. Also es ist ein sehr diffuses Schadensbild und wir sind sehr, sehr froh, mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder diese Architekturcollagen später zu präsentieren und verständlich vor allem der Öffentlichkeit näherzubringen.
    Schossig: Das war Ursula Müller von der Architektursammlung der Berlinischen Galerie, wo zurzeit mit Unterstützung des Stiftungsbündnisses "Kunst auf Lager" vom Verfall bedrohte Fotocollagen mit Ansichten von DDR-Bauprojekten restauriert werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.