„Ich werfe jetzt das Seil nach vorne und während das Seil in der Luft ist – ich mach eine Handbewegung - da hab ich einen Knoten in der Mitte.“ Dieter Ott führt sein Können auch öffentlich vor. Er wirft Seile so in die Luft, dass verschiedene Knoten entstehen - und sich nach einer ruckartigen Bewegung wieder öffnen.
Staatliche Repression wegen Ausreiseantrag
Einen Knoten aber bekommt der 59-Jährige bis heute nicht gelöst - ein Problem aus der Vergangenheit lastet schwer: Seine sogenannte „Zersetzung“, die Zermürbung durch die DDR-Staatssicherheit, die 1985 ihren Anfang nahm. Als der Maschinenschlosser mit 18 von zu Hause auszog, stellte er mehrere Ausreiseanträge, die alle als rechtswidrig abgelehnt wurden. Der Auftakt staatlicher Repression, die auch vor seinem Arbeitsplatz bei einem „Volkseigenen Betrieb“ nicht Halt machte.
„Daraufhin wurde dann mein Betrieb eingeschaltet. Und mit mir wurden Gespräche geführt mit dem Abteilungsleiter, dem Hauptabteilungsleiter, dem Meister, dem Bereichsdirektor. Ich war 19 Jahre da, und alle redeten drauf ein: ‚Herr Ott, nehmen Sie Ihren Ausreiseantrag zurück.‘ Erstmal waren die Gespräche sachlich, und nach zwei Wochen, da wurde schon etwas Druck aufgebaut: ‚Wissen Sie was? Sie sind ein richtiger Arbeiterverräter!‘ Und dann begann das auch im Betrieb mit der Arbeit dort, dass ich für andere Arbeiten eingeteilt wurde. Letztendlich habe ich gekündigt, weil ich dem Druck nicht mehr standhielt im Betrieb.“
Zermürbungstaktik der Stasi
Auch Nachbarn begannen, ihn zu beschimpfen, sein Personalausweis wurde eingezogen. Wegen Schlafstörungen und Schweißausbrüchen ließ Ott sich einige Wochen lang im Krankenhaus psychotherapeutisch behandeln. Die von der Stasi angewandte Zermürbungstaktik führte zu seiner politischen Inhaftierung.
35 Jahre später - im Jahr 2020 - will sich Dieter Ott für die Zersetzung beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales rehabilitieren lassen. Das Gesetz verbindet dies seit 2019 mit einer Entschädigung von 1.500 Euro. Doch die Behörde lehnte ab. „Aus keinem der vorliegenden Unterlagen ist ersichtlich, dass Zersetzungsmaßnahmen durch das Ministerium für Staatssicherheit gegen Sie geplant bzw. angeordnet waren oder durchgeführt wurden“, heißt es im Ablehnungsbescheid zwei Jahre später. Gemeinsam mit der Juristin Martina Kegel beugt Ott sich über einen grünen Ordner, darin sein Schriftverkehr mit den Behörden und Gerichten von heute - und auch eine Kopie seiner Stasi-Akte.
Es sei eine Frechheit, wie der Ablehnungsbescheid des Berliner Landesamtes formuliert sei, sagt Martina Kegel. Sie hat mit vielen solcher Fälle zu tun, denn sie arbeitet bei der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft und berät Betroffene von SED-Unrecht. Zwar sei nirgendwo in den Stasi-Dokumenten das Wort Zersetzung gefallen - das Geschehene aber eindeutig.
Die Inoffiziellen Mitarbeiter seien real gewesen: „Es gab einen Operativen Vorgang, das ist nachweislich so. Es wurden zwei IM auf ihn angesetzt, es gibt ja dieses Wörterbuch der Stasi. Da steht drin: Die Zersetzung war unmittelbarer Bestandteil der Operativen Vorgänge.“
Rehabilitierung durch Gesetze geregelt
Vor rund 30 Jahren, im November 1992, trat das erste sogenannte SED-Unrechtsbereinigungsgesetz in Kraft. Es regelt die strafrechtliche Rehabilitierung einer aus politischen Gründen verhängten Haftstrafe. Auch das zweite Gesetz von 1994 soll politisches Unrecht im Nachhinein feststellen und aufheben. Es sieht die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung etwa von Zersetzungsopfern wie Dieter Ott vor, erklärt aber auch berufliche Verfolgung für unrechtmäßig.
Ott ist dabei einer von vielen, die Rehabilitierung und Entschädigung beantragen, dann aber scheitern – und das oftmals nach einem jahrelangen Hin und Her mit Behörden und Gerichten. Evelyn Zupke, SED-Opferbeauftragte des Bundestags: „Ganz oft und allermeistens sind es auch sehr tragische Fälle, die aufgrund der Akten, die gelesen werden, nicht als Opfer der SED-Diktatur so eingestuft werden, dass sie rehabilitiert werden oder eine Entschädigungsleistung erhalten.“
Tatsächlich aber findet sich in den Stasi-Unterlagen von Dieter Ott ein Dokument, mit dem das Ministerium für Staatssicherheit den „Operativvorgang Botschaft“ eröffnete. Hatte Ott seinen Ausreisewunsch doch unter anderem in der Deutschen Botschaft in Prag vorgetragen. „Es wird vorgeschlagen, den DDR-Bürger Ott, Dieter wegen des begründeten Verdachts der ungesetzlichen Verbindungsaufnahme gemäß § 219 StGB in einem Operativvorgang zu bearbeiten."
Woran eine Anerkennung als Opfer scheitert
Woran also liegt es, dass die Berliner Rehabilitierungsbehörde die Stasi-Zersetzung von Dieter Ott nicht anerkannt hat? Man müsse sich mit der DDR und ihrem Repressionsapparat gut auskennen, sagt die Juristin Martina Kegel. Und wissen, dass die Stasi zu mutmaßlichen Staatsfeinden wie Ott verdeckt Informationen sammelte, sie durch das gezielte Streuen von Gerüchten bei Freunden, in der Familie und am Arbeitsplatz diskreditierte und für diese Aufgabe auch IM, also Inoffizielle Mitarbeiter, einsetzte.
Dieter Ott erinnert sich: „Ich war in Oranienburg. Ich hatte wieder eine Vorladung, und ich musste im Flur warten. Dort saß eine andere Person, und das war ein Spitzel der Stasi. Der Deckname IM Jens Oswin, und der hatte den Auftrag gehabt, mit mir Kontakt aufzunehmen, im Warteraum, und dies klappte auch wunderbar. Er war so einfach gekleidet, ich wäre nie darauf gekommen, dass das ein Stasi-Spitzel ist.“
Für das Scheitern von Rehabilitierung macht SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke nicht in erster Linie die Gesetze verantwortlich. Wurden doch die Regelungen zur Rehabilitierung seit ihrem Inkrafttreten in den 1990er-Jahren mehrmals nachgebessert, zuletzt im Dezember 2019.
Dadurch haben weitere Opfergruppen die Möglichkeit bekommen, sich in einem meist zweistufigen Verfahren zunächst rehabilitieren zu lassen, um dann eine Entschädigung oder andere Ausgleichsleistungen beantragen zu können: Heimkinder etwa, verfolgte Schüler und von der Stasi Zersetzte. Weil manche Menschen sich erst spät zu diesem Schritt entscheiden, wurde die Frist dafür aufgehoben.
Dadurch haben weitere Opfergruppen die Möglichkeit bekommen, sich in einem meist zweistufigen Verfahren zunächst rehabilitieren zu lassen, um dann eine Entschädigung oder andere Ausgleichsleistungen beantragen zu können: Heimkinder etwa, verfolgte Schüler und von der Stasi Zersetzte. Weil manche Menschen sich erst spät zu diesem Schritt entscheiden, wurde die Frist dafür aufgehoben.
330 Euro Opferrente
Dennoch zeigen sich große Unterschiede, wer Aussicht auf Erfolg hat, betont Zupke: „Das Einfachste, wenn es überhaupt irgendwas Einfaches in diesem Bereich gibt, dann ist das die strafrechtliche Rehabilitierung von Haftopfern, also Opfer politischer Haft. Da hab‘ ich ein Urteil, da hab ich eine Haftakte meistens. Ich bin für vier Jahre nach Bautzen gekommen, ich bin eineinhalb Jahre nach Hoheneck gekommen, das ist schwarz auf weiß, das ist relativ einfach.“
Von den schätzungsweise rund 250.000 ehemals politisch Inhaftierten haben bis Ende 2021 mehr als 88.000 nach ihrer strafrechtlichen Rehabilitierung die sogenannte Opferrente beantragt – eine monatliche Zuwendung, die derzeit 330 Euro beträgt. Fast 75 Prozent von ihnen waren damit erfolgreich.
Wer sich nach dem zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz rehabilitieren lassen will, also auf verwaltungsrechtliche oder berufliche Rehabilitierung pocht, hat es deutlich schwerer. Fast ein Viertel jener Menschen, die in der DDR ihren Beruf nicht ausüben durften, weder das Abitur machen noch studieren konnten, scheiterte mit dem Antrag. Wer wie Dieter Ott aufgrund seiner Zersetzung gegen früheres Verwaltungsunrecht vorgeht, hat es sogar noch schwerer. Die Behörden haben bis zum Herbst 2021 zwei Drittel der Anträge abgelehnt.
Kritik: Länder behandeln Opfer nicht einheitlich
Die Anerkennungsquote ist unterschiedlich, auch weil die Bundesländer nicht einheitlich handelten, beklagt Evelyn Zupke. So bewilligt Thüringen besonders viele Anträge auf berufliche Rehabilitierung, Sachsen dagegen lehnt zwei Drittel davon ab. „Das kann ja nicht sein, dass das vom Wohnort abhängt. Wir haben ja wirklich Fälle, wo Geschwister, wo Freunde dasselbe erlebt haben, aber von woanders kamen und dann in Sachsen-Anhalt ein Ja bekommen und in Sachsen ein Nein bekommen – obwohl sie wirklich identische Erfahrungen gemacht haben. Da läuft wirklich richtig was schief.“
Was aber läuft schief? Birgit Neumann-Becker hat als Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt täglich mit Menschen zu tun, die nicht rehabilitiert werden. Ihrer Meinung nach versuchen die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze zwar, die schwersten Menschenrechts-Verletzungen anzuerkennen, zu rehabilitieren und zu kompensieren.
Die Gesetze seien allerdings zu allgemein gefasst und würden besondere Fallkonstellationen nicht berücksichtigen. Zum Beispiel seien nicht wenige Menschen in der DDR wegen angeblicher Steuerhinterziehung oder Veruntreuung zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden, darunter Unternehmer.
„Alle wissen, dass das eigentlich ein politischer Prozess war, weil das ein Unternehmer war, weil er der Partei ein Dorn im Auge war, aber er ist nicht nach einem politischen Paragraphen verurteilt worden und deshalb ist er nicht nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz rehabilitierungsfähig.“ In diesen Fällen lässt sich ganz konkret die politische Verfolgung ebenso wenig nachweisen wie die jener Schüler, die nicht zum Abitur oder zum Studium zugelassen wurden.
Bei Letzteren gebe es häufig gar keine Unterlagen, sagt Birgit Neumann-Becker. „Diese Delegation zur Erweiterten Oberschule, das ist im Prinzip mehr oder weniger mündlich mit dem Elternhaus oder mit den Schülern kommuniziert worden und das gibt nur ganz, ganz selten Eltern, die da einen schriftlichen Widerspruch oder eine Beschwerde eingelegt haben und auf die auch noch eine Antwort bekommen haben.“
Die Akten als Beweismaterial
Dass die Unterlagen und Akten der früheren DDR, soweit vorhanden, zur Rehabilitierung herangezogen werden müssen, steht für Rechtsanwalt Johannes Weberling außer Frage. Auch wenn es sich um die Akten eines Unrechtsstaates handelt, die die politische Verfolgung teilweise nicht benennen oder nur lückenhafte Informationen beinhalten. Ein Standpunkt, der allgemein von Juristen und der Politik geteilt wird.
Allerdings müssten Akten in ihren zeitlichen Zusammenhang eingeordnet und interpretiert werden, betont der Honorarprofessor und Leiter der Arbeitsgruppe Aufarbeitung und Recht an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt an der Oder.
Das gelte für Akten aus der DDR-Zeit wie für Akten des NS-Regimes: „Das sind wichtige Quellen, die man braucht für die historische Aufarbeitung und auch um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und das ist hier genauso. Man muss natürlich die Akten mit Vorsicht genießen, man kann aber, wenn man sie sachkundig sich anschaut, schon die notwendigen und richtigen Erkenntnisse daraus ziehen.“
Was Betroffene tun müssen
Sachkenntnis also, gerade an diesem nötigen Hintergrund-Wissen mangelt es nach Ansicht von Birgit Neumann-Becker aber immer mehr. Mit Blick auf die Sachbearbeiter in den Rehabilitierungsbehörden und Versorgungsämtern sagt die Landesbeauftragte von Sachsen-Anhalt: „Es wird mit zunehmendem zeitlichen Abstand immer schwerer sich vorzustellen, was in dieser DDR passiert ist und wie tief in das Leben von Menschen eingegriffen worden ist und dass im Grunde jede Situation und Konstellation politisiert werden konnte. Mit diesem zeitlichen Abstand und dem damit verloren gegangenen Wissen ist es umso wichtiger, diese Unterlagen, wenn es sie gibt, sie historisch-kritisch einzuordnen.“
Warum viele Betroffene jahrelang auf eine Antwort der Behörden warten müssen, diese häufig negativ ausfällt und dies wiederum vom Bundesland abhängen kann, darauf hat Myra Frölich Antworten gefunden. Die Juristin arbeitet mit Johannes Weberling im Projekt „Rechtsfolgen politischer Verfolgung im wiedervereinigten Deutschland“, einem Teil des DDR-Forschungsverbundes „Landschaften der Verfolgung“, der im Februar seine Ergebnisse präsentieren wird. Sie hat rund 30 Bescheide von Rehabilitierungsbehörden ostdeutscher Bundesländer untersucht und Interviews mit den Zuständigen geführt.
Das zweistufige Verfahren, dass die Betroffenen durchlaufen müssen, hält sie für viel zu kompliziert – auch die Kenntnisse und Erfahrungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörden seien sehr unterschiedlich: „Ist es ein Fall, der schon sehr oft durch diese Behörde ging? Das erleichtert natürlich auch dem Sachbearbeiter, da eine Entscheidung zu treffen. Haben wir jetzt wiederum einen neueren Fall oder einen Sachverhalt, wo viele Unterlagen fehlen? Das führt wiederum dazu, dass das anders, gegebenenfalls strenger zu begutachten wäre. Dann hat man erst mal den Bescheid auf Rehabilitierung. Mit diesem geht man wieder in das zweite Verfahren bezüglich der Ausgleichsleistung unter anderem auch Entschädigung. Und da sitzen wieder andere Menschen, Versorgungsämter, Vermögensamt, Rentenversicherung. Und die haben noch weniger Kenntnis, noch weniger damit zu tun.“
Jurist kritisiert fehlenden Sachverstand
Die Zahl der Rehabilitierungen lasse zu wünschen übrig, der Anteil bewilligter Entschädigungszahlungen für die gesundheitlichen Folgeschäden des erlittenen Unrechts falle jedoch nochmals niedriger aus. Rechtsanwalt Weberling ergänzt: „Bei der Umsetzung jedenfalls kann man sagen, dass wir dort nicht hinreichend geschulten Sachverstand bei den entsprechenden Versorgungsämtern haben beispielsweise. Dass dort nicht hinreichend geschulte und qualifizierte Gutachter herangezogen werden, um auf diese Art und Weise den Leuten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.“
Myra Frölich und Johannes Weberling fordern daher eine bessere Schulung von Behördenangestellten und Gutachtern, die die verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden bewerten. Hier die Quote der Ausgleichsleistungen zu erhöhen und damit die Gesundheitsschäden zu mildern, das ist auch eines der Hauptanliegen der Opferbeauftragten. Denn dass politische Haft, Zersetzung und Zwangsaussiedlung die körperliche und seelische Gesundheit stark und auf lange Zeit beeinträchtigen, sei längst wissenschaftlich belegt, betont Evelyn Zupke. Trotzdem würden 90 Prozent der Menschen bei der Anerkennung dieser Schäden scheitern.
Sie setzt sich deshalb für ein neues, von den DDR-Akten unabhängiges Verfahren ein: „Wo nämlich dieser Kausalitätsnachweis nicht mehr erbracht werden muss zwischen beispielsweise Hafterfahrung und heutiger Erkrankung. Für mich ist wichtig, und das sagt zum Beispiel das Soldatenversorgungsgesetz, dass die Soldaten, die im Ausland im Einsatz gewesen sind und zu Schaden gekommen sind, dies nicht mehr nachweisen müssen. Das Verhältnis ist umgekehrt zu unserer Opfergruppe: Wenn ich sage, bei uns werden 90 Prozent abgelehnt, werden dort 90 Prozent anerkannt.“
DDR-Akten sollen gesichert werden
Evelyn Zupke will erreichen, dass die 2019 unterbrochenen Bund-Länder-Besprechungen wiederaufgenommen werden. Auch um die DDR-Akten überhaupt zu sichern. Denn bislang gilt: Die Aufbewahrungsfrist etwa für Haftakten, Unterlagen aus der Jugendhilfe und aus Unternehmen läuft nach 30 Jahren aus – anders als bei den Stasi- und SED-Partei-Akten.
Die Juristin Myra Frölich: „Da hat der Gesetzgeber geschlafen. Weil die Rehabilitierungsgesetze sind entfristet worden, aber gleichzeitig wurden nicht diese Aktenaufbewahrungsfristen verlängert oder auch zusätzlich entfristet.“
Die Aufarbeitungsbeauftragte von Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker, berichtet, dass nach der Wiedervereinigung schon Unterlagen in den Müll gewandert seien. Unterlagen, die heute eine frühere Heimeinweisung hätten belegen können. „In Sachsen-Anhalt erleben wir das ganz oft in Bezug auf Heimeinweisungen in einer ganz bestimmten Stadt. Und dort gab es sehr viele Heimeinweisungen, und da sind einfach die Jugendamtsakten irgendwie in großen Teilen nicht mehr zugänglich, das ist ganz schwierig: die Nicht-Nachweisbarkeit.“
Mit welcher Begründung Anträge abgelehnt werden
Sind keinerlei Unterlagen für eine Rehabilitierung vorhanden, gibt es dennoch eine weitere Option. So sehe das Gesetz die Möglichkeit einer 'hinreichend konkreten Glaubhaftmachung' oder eidesstattlichen Versicherung vor, sagt Rechtsanwalt Weberling. Davon würde bei vielen Gerichtsverfahren mangels Kenntnis allerdings kein Gebrauch gemacht. Auch das Gerichtspersonal müsse daher geschult werden, lautet sein Fazit. „Aufklärungen und Befragungen im Zusammenhang mit Ausreiseanträgen waren leider durchaus üblich und können nicht als politische Verfolgungs-Maßnahmen angesehen werden.“
Mit dieser Begründung lehnte das Berliner Landesamt den Antrag von Dieter Ott ab. Dieser gibt sich damit nicht zufrieden. Mit Hilfe von Martina Kegel hat er Widerspruch eingelegt. Es sei bedauerlich, dass der Gesetzgeber nicht genau definiert habe, was unter Zersetzung zu verstehen sei, sagt die Juristin.
„Da gibt es leider so eine Tendenz bei Behörden, dass die das, was in den Stasi-Unterlagen steht, für bare Münze nehmen. Das war einfach psychischer Terror, dem Herr Ott da ausgesetzt wurde. Diese ständigen Gespräche, dann diese Diskriminierung am Arbeitsplatz, das Ausgegrenztwerden.“
Zu lange will und kann Dieter Ott allerdings nicht mehr auf seine Rehabilitierung warten. „Ich muss sagen, dass es mit der Zeit auch nervlich an die Substanz geht. Das ist so ein Hin und Her, was so mit zwei, drei Jahren ein bisschen was mit einem macht. Wo ich mich da langsam auch zersetzt fühle und irgendwann denke: Dann lasse ich die ganze Sache sein und habe wieder Ruhe.“