Die Corona-Pandemie hat Deutschland fest im Griff. Die Situation ist deutlich dramatischer als im Frühjahr: Vielerorts haben die Sieben-Tage-Inzidenzen die kritische 50er-Marke bereits um das Zehnfache überschritten. Die Infektionszahlen steigen trotz des "Lockdown light", die Todesfälle erreichen Höchstwerte. Aus Medizin und Wissenschaft kommen wiederholt Warnrufe. "Wenn nichts passiert, wird diese Situation bis in den März anhalten", sagte etwa der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß im Dlf.
Rund um die Weihnachtsfeiertage und zwischen den Jahren war eigentlich eine Lockerung der Maßnahmen vorgesehen. Davon sind bereits einige Bundesländer wieder abgerückt. Vielmehr wird jetzt verstärkt über die Notwendigkeit eines "harten" Lockdowns diskutiert - die Frage ist: ab wann?
Wie könnte die Situation bundesweit weiter entschärft werden?
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der naturwissenschaftlich-medizinischen Gelehrtengesellschaft Leopoldina sehen gerade in den Feiertagen und dem Jahreswechsel eine Chance zur Eindämmung der Pandemie. Sie haben in einer Ad-hoc-Stellungnahme ein zweistufiges Vorgehen vorgeschlagen: Ab dem 14. Dezember sollen die Menschen zunächst ihre Kontakte im privaten und beruflichen Umfeld auf das absolute Minimum reduzieren und wo möglich im Homeoffice arbeiten. Gruppenaktivitäten im Bereich von Sport und Kultur sollen eingestellt werden und die allgemeine Schulpflicht soll bis zum Beginn der Weihnachtsferien aufgehoben werden.
Ab dem 24. Dezember und mindestens bis zum 10. Januar soll dann ein "harter Lockdown" gelten. Das öffentliche Leben soll weitgehend zur Ruhe kommen. Dafür sollen die Geschäfte schließen, die keine Lebensmittel oder andere Waren des täglichen Bedarfs verkaufen. Die Weihnachtsferien sollen bis zum 10. Januar verlängert werden. Die Leopoldina-Stellungnahme umfasst auch die Empfehlung, Kontakte während der gesamten Feiertage einschließlich Silvester nur in einem sehr engen, auf wenige Personen begrenzten Familien- oder Freundeskreis stattfinden zu lassen, der über den gesamten Zeitraum unverändert bleibt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss sich den Empfehlungen der Leopoldina ausdrücklich an. Bei der Generaldebatte im Bundestag am 9. Dezember warb sie erneut für einen härteren Lockdown und sprach sich für längere Schulferien und die Schließung von Geschäften aus. Die Wissenschaft flehe geradezu darum, so Merkel, eine Woche der Kontaktreduzierungen zu ermöglichen, bevor man Oma und Opa sehe - auch aus Sorge, dass es zu einem Anstieg der Ansteckungen an den Feiertagen kommen könnte.
Die Empfehlungen der Leopoldina sind nicht neu: Immer wieder haben Wissenschaftler in den vergangenen Wochen erklärt, warum ein Lockdown nötig sei. Schon im September plädierte etwa die Physikerin und Modelliererin Viola Priesemann im Dlf für einen kurzen, "harten" Lockdown - und seitdem immer wieder.
Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, hat darauf hingewiesen, dass Irland und Belgien hätten mit einem harten Lockdown die Kontakte erfolgreich gesenkt und damit Ansteckungen reduziert hätten. Zu härteren Maßnahmen gebe es auch in Deutschland keine gute Alternative, betonte Wieler.
Warum fällt die Entscheidung für einen "harten" Lockdown so schwer?
Die Wissenschaft macht Empfehlungen, die Politik setzt um. Doch das ist einem föderalen System nicht immer so einfach: Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte die härteren Maßnahmen schon länger einführen, scheiterte aber am Willen einzelner Bundesländer.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) befürchtet, dass es ein Akzeptanzproblem für weitere Einschränkungen geben könnte, die über das hinausgehen, was ohnehin schon auf der Tagesordnung steht: "Wir erleben jetzt nach fünf, sechs Wochen auch eine Ermüdung von vielen Bürgerinnen und Bürgern, die eben sagen: Wo ist die Perspektive? Das heißt, so wie es im Moment ist, so kann es nicht zwei, drei Monate über den ganzen Winter durch weitergehen."
Und natürlich ist es auch eine Frage des Geldes. "Wir haben gleichzeitig sehr hohe Kosten. Die Novemberhilfe, die Dezemberhilfe - bis zu 30, 40 Milliarden Euro." Geschlossene Geschäfte und Gaststätten bedeuten für die Betreiber Verluste bis hin zur Insolvenz. Dennoch gibt Ifo-Chef Clemens Fuest, einer der Mitautoren die Leopoldina-Empfehlungen, zu bedenken: "Der Lockdown ist eine Art Investition auch für die Wirtschaft, damit wir im kommenden Jahr, im Januar oder Februar die Restriktionen lockern können."
Und natürlich ist es auch eine Frage des Geldes. "Wir haben gleichzeitig sehr hohe Kosten. Die Novemberhilfe, die Dezemberhilfe - bis zu 30, 40 Milliarden Euro." Geschlossene Geschäfte und Gaststätten bedeuten für die Betreiber Verluste bis hin zur Insolvenz. Dennoch gibt Ifo-Chef Clemens Fuest, einer der Mitautoren die Leopoldina-Empfehlungen, zu bedenken: "Der Lockdown ist eine Art Investition auch für die Wirtschaft, damit wir im kommenden Jahr, im Januar oder Februar die Restriktionen lockern können."
Ab wann könnte ein "harter" Lockdown beschlossen werden?
Eigentlich hatten sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten bei ihrem letzten Treffen das nächste Mal für den 4. Januar verabredet, aber betont, sich je nach Lage auch wieder früher zusammenzuschalten. Jetzt wollen sich Bund und Länder doch schon am Sonntag (14.12.2020) in einer Videokonferenz über das weitere Vorgehen beraten. Die jüngsten Verabredungen erlauben den Ländern die stufenweise Ergänzung der Beschränkungen. Ab einer Inzidenz von 200 sollten zwingend weitere Maßnahmen folgen. Derzeit verschärfen aufgrund der Infektionslage immer mehr Bundesländer íhre Bestimmungen. Einige Spitzenpolitikerinnen und -politiker fordern einen bundesweiten Lockdown ab Weihnachten, andere schnellstmöglich beziehungsweise noch vor Weihnachten. Im Gespräch ist offenbar der 20. Dezember als Starttermin.
Auch die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung plädiert für einen Lockdown schon vor Weihnachten. Treffen mit zehn Personen seien "aus virologischer Sicht zu viel", erklärte Brinkmann in der ARD. "An Weihnachten rücken wir nah zusammen, besuchen unsere Verwandten. Und im Januar können wir dann damit rechnen, dass die Infektionszahlen wieder steigen, wie wir es in den USA gesehen haben nach dem Thanksgiving-Fest."
Quellen: og, nin, Volker Finthammer, Leopoldina, dpa