
Das Jahr geht fast so zu Ende, wie es angefangen hat. Eine wirkliche Aufbruchsstimmung für die Demokratie ist nicht zu spüren: Obwohl diese von Rechtsaußen unter Druck steht, gibt es kaum Mobilisierung. Zum Beispiel keine großen Demonstrationen oder Aktionen gegen autoritäre und rechtsextreme Kräfte. Und damit auch nicht für unsere liberale Demokratie. Was hier das Problem ist: Der Wunsch nach einer solchen Mobilisierung ist auch ein Reflex. Er folgt dem Bedarf nach einer schnellen Lösung. Wer es dabei belässt, folgt eingetrampelten Wissens- und Meinungspfaden und lässt wichtiges Wissen liegen.
Extremistische Einstellungen gibt es schon lange
Mit Blick auf die Frage „Was tun gegen Rechtsextremismus“ führen gerade diese Pfade oft an der wirklichen Lage vorbei und damit auch an Lösungen. Ein Punkt ist zum Beispiel: Wie sehr ignoriert wurde, dass bestimmte Einstellungen schon die ganze Zeit da waren – nur dass die Menschen nicht danach gehandelt haben.
Ein junger Politikwissenschaftler, Vicente Valemtim aus Portugal, hat das sehr eindrücklich nachgezeichnet. Seine Studie zeigt, dass der schnelle Aufstieg radikal rechter Parteien nicht nur in Deutschland am Ende zu großen Teilen daran liegt, dass jetzt gesellschaftliche Normen kippen – sprich – es immer weniger tabu ist, seine eigenen Gedanken, Einstellungen, und mögen sie noch menschenfeindlich sein, nach außen zu tragen.
Ausländerfeindlichkeit ist schon lange weit verbreitet
Und trotzdem immer noch – an so vielen Stellen Erstaunen – wie groß der offene Zuspruch für Radikalrechts inzwischen ist. Dabei steckt genau dieser Zuspruch auch in so vielen anderen Studien und Zahlen. Zum Beispiel, dass es einer großen Mehrzahl der AfD-Wähler egal ist, ob die Partei als rechtsextrem eingestuft wird oder nicht.
Auch die Umfragewerte für die AfD passen wunderbar zu Zahlen, die zum Beispiel die Leipziger Autoritarismus-Studie erhebt. Da liegt das Ausmaß an Ausländerfeindlichkeit für Ostdeutschland seit Langem bei um die 30 Prozent, in Westdeutschland bei um die 20 – die Grauzone derjenigen, die bei solchen Befragungen nicht ehrlich antworten kommt noch oben drauf.
Ausländerfeindlichkeit ist schon lange weit verbreitet. Und sie ist, das zeigt Forschung zur radikalen Rechten, ein wesentlicher Faktor, neben Nationalismus, warum sich Menschen politisch so positionieren. Aber, und das ist wichtig, beides ist nicht per se gleichzusetzen mit Rechtsextremismus. Und es ist auch wichtig zu wissen: das Einteilen von Menschen in Gruppen ist nichts, was von irgendeiner bösen Macht von außen über uns kommt. Der Grundstock ist hier in uns allen veranlagt.
Menschen in Gruppen einteilen, sich abgrenzen – das tun wir alle
Wir Menschen sind Herdentiere, wir gruppieren ständig in "wir und sie" – unsere Gruppe, Gruppen von anderen. Und klar man selbst gehört immer – zu den „Guten“. In Nachbarschaften, in Sportvereinen, in Schulen, auf der Arbeit. Auch dort gilt oft: Wer neu dazu kommt, muss sich eine wirkliche Zugehörigkeit erst mal verdienen, und sei es über Zeit. Etwas, was wir viel häufiger hinterfragen sollten, uns den Spiegel vorhalten.
Genau solche Einstellungen sind es, die auch in Studien zu Rassismus oft abgefragt werden: Inwiefern man bereit ist, eine Zugehörigkeit vorbehaltlos zu teilen – zu Sozialleistungen, zum Gesundheitssystem, zur Rente, dem politischen Mitbestimmen.
Hinzu kommt: Einstellungen, Werte wandeln sich nur langsam. Und den eigenen Ausgangspunkt bei den eigenen Einstellungen kann man sich übrigens nicht aussuchen – man wird in ihn reingeboren. Und werden Menschen über das, was sie denken vor den Kopf gestoßen, dann ist das auch eine Identitätsverletzung, die dazu führen kann, dass ich mich denen zuwende, die genau diese abgelehnten Ansichten unterstützen.
Eine Position kritisieren – aber nicht den Menschen dahinter
Liberale Demokratie heißt auch, nicht mit Ausgrenzung zu überzeugen, sondern im Miteinander. Denn Werte wandeln sich am nachhaltigsten im Miteinander, über Einblicke in andere Perspektiven. Es geht also darum, zwar eine Position zu kritisieren, falls nötig, auch mal sehr heftig, aber nicht den Menschen dahinter. Was übrigens in alle Richtungen gilt. Auch deshalb ist es so wichtig, zwischen einer politischen und einer sozialen Brandmauer zu unterscheiden.
Klingt anstrengend? Ist es auch. Aber dazu gibt es diese gute Nachricht: Das war nie anders. Weil es so anstrengend ist. Und es war auch schon immer so, dass wir nach einer Krise zurückblicken und oft erstaunt sind und voller Respekt für diejenigen, die genau das hier geschafft haben: die Dummheit der eingetrampelten Pfade zu überwinden. Woraus sich die nächste gute Nachricht ergibt: Genau darin liegt auch das hier: eine Chance für jeden und jede.



























