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Der Deal im Strafprozess
Geständnis gegen Straferlass

Ein Deal, also eine "verfahrensbeendenden Absprache", soll in einem Prozess der Vereinfachung und Beschleunigung dienen. Skeptiker kritisieren Intransparenz und einen Vertrauensverlust in die Justiz. Eine Studie im Auftrag des Bundesjustizministeriums zeigt nun, dass es immer noch viele illegalen Absprachen gibt.

Von Peggy Fiebig | 24.11.2020
Akten liegen auf dem Tisch eines Richters Im Landgericht Münster
Deals werden in fast allen Bereichen geschlossen - dennoch sind sie umstritten. (imago / biky)
"Ich habe jetzt ein Jahr und acht Monate auf Bewährung bekommen. Mit dreijähriger Bewährungsfrist. Und das ist quasi noch so zwei Monate unter der Grenze, wo es keine Bewährung mehr gibt."
Nur eine Stunde hat die mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht Halle gedauert. Michael, der eigentlich anders heißt, ist nun wegen Diebstahls vorbestraft. Dass er mit einer Strafe von weniger als zwei Jahren davongekommen ist und nicht ins Gefängnis muss, hat er auch einem Deal zwischen seinem Verteidiger, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft zu verdanken. Sein Anwalt habe die Sache angeschoben, erzählt Michael.
"Also wir hatten ja vorher schon ein paar Termine, um die Strategie zu besprechen und da hat er das dann schon angemerkt gehabt, wie das mit einem Deal laufen könnte, dass da halt noch eine Bewährungsstrafe dabei herauskommt. Und als wir dann am Gericht waren, sind erst Richter und Staatsanwalt in den Gerichtssaal rein, mein Anwalt dann hinterher. Ich habe noch draußen gewartet. Er hat dann halt mit denen gesprochen."
Der Deal als "verfahrensbeendende Absprache"
Die mündliche Verhandlung unterscheidet sich zunächst nicht von anderen. Der Richter eröffnet die Sitzung, er stellt die Schöffen und den Staatsanwalt vor, der verliest die Anklage:
"Danach hat dann der Richter gesagt gehabt, ich habe von ihrem Anwalt schon erfahren, dass sie dem, was in der Anklageschrift steht, zustimmen. Und auch in welche Richtung das ungefähr geht. Haben Sie noch etwas zu sagen? Und da habe ich dann halt nur gesagt, was vorher mit meinem Anwalt abgesprochen war: Ja, ich stimme der Anklage, so wie sie verlesen wurde, zu. Und das war es dann eigentlich."

Geständnis gegen Straferlass, das ist in der Regel der Grundsatz bei einem Deal, einer "verfahrensbeendenden Absprache", wie es offiziell heißt. Für Michael bedeutete das, er gesteht alle ihm vorgeworfenen Taten, auch die, die ihm die Staatsanwaltschaft möglicherweise nicht hätte nachweisen können. Und dafür bekommt er noch eine Bewährungsstrafe. Rückblickend ist er sich allerdings nicht mehr ganz so sicher, ob das wirklich der beste Weg war:
"Oder wäre das andere, wenn sich die Staatsanwaltschaft nicht darauf eingelassen hätte, vielleicht anders gekommen, noch weniger an Strafe, weil sie jede Einzeltat hätten nachweisen müssen, was aber nicht gegangen wäre."
Wer vor Gericht steht, ist in einer Ausnahmesituation. Tausend Gedanken gingen dem Angeklagten durch den Kopf: Wie es soweit kommen konnte, wie es jetzt weitergeht - was aus seinem Hund wird, wenn er ins Gefängnis muss. Und so war Michael vor allem erleichtert, als sein Anwalt vom erfolgreichen Deal berichtete.
"Zu dem Zeitpunkt ist halt die Anspannung so groß, da freut man sich quasi über jede glückliche Nachricht in Anführungszeichen und wenn der Anwalt sagt, ja, das klappt so, dann sagt man, ja, o.k., machen wir. Bloß schnell weg hier und.... ja."
Das Foto zeigt ein Schild mit der Aufschrift "Staatsanwaltschaft Berlin".
Paragraph 257c der Strafprozessordung legt fest, was Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung vereinbaren dürfen (picture-alliance / dpa / Paul Zinken)
Der Angeklagte Nurettin B. kommt am 31.05.2017 in ein Gerichtssaal im Landgericht in Hannover (Niedersachsen). Weil der 39-Jährige seine Ex-Partnerin mit einem Seil hinter seinem Auto hergeschleift haben soll, muss er sich vor dem Landgericht verantworten.
Gerichtsverfahren: Wenn Strafprozesse zu lange dauern
Ob Loveparade-Verfahren oder NSU-Prozess – manche Strafverfahren ziehen sich Jahre. Das sei zu lange, meinen einige Richter und Staatsanwälte. Das will das Justizministerium ändern.
Der Deal bleibt umstritten
Deals kennt man vor allem aus amerikanischen Krimiserien. Doch auch in Deutschland ist die Höhe einer Strafe oft das Ergebnis einer Absprache. Allerdings ist der Deal hierzulande umstritten. Während er von einigen als wirksames Instrument angesehen wird, um der Verfahrensflut Herr zu werden, wird er von anderen als Bruch mit dem Schuldprinzip verdammt. Das Bundesjustizministerium hat vor zwei Jahren eine Untersuchung in Auftrag gegeben hat, den Umgang mit Absprachen in der Praxis untersuchen sollte und die vor kurzem veröffentlicht wurde. Sie könnte Folgen haben.
Noah Krüger ist Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main. Er arbeitet in der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen. Hier geht es besonders häufig um komplizierte und sehr langwierige Verfahren, die sich mit einem Geständnis und einer Absprache über die Höhe der Strafe arbeitsökonomisch abkürzen ließen. Und dennoch: Allzu häufig werden seine Verfahren nicht mit einem Deal beendet
"Ich denke mal, dass die Thematik verfahrensbeendende Absprachen in weniger als jeder zehnten Verhandlung zur Sprache kommt. Und eine konkrete verfahrensbeendende Absprache wird noch in deutlich weniger Fällen, dann tatsächlich geschlossen. Da gibt es dann unterschiedliche Interessenlagen, unter Umständen wird das nur von einer Seite angesprochen und die anderen Seiten sagen nein, oder man kann sich nicht einigen."
Nur bei Verkehrsdelikten keine Deals
Deals werden in fast allen Bereichen geschlossen, erläutert Krüger, mit Ausnahme der Verkehrsdelikte – ausgerechnet. Denn dabei geht es meist um den Entzug der Fahrerlaubnis. Das ist juristisch betrachtet aber keine Strafe, sondern eine so genannte "Maßnahme der Besserung und Sicherung" und über die ist eine Vereinbarung gesetzlich ausgeschlossen. Ansonsten aber, so der Staatsanwalt, könne man sagen...
"...von Betäubungskriminalität, über die Steuerdelikte über den Betrug oder ähnliches ist der Grad der Fälle, bei denen darüber gesprochen wird und bei denen es zu einer Einigung kommen kann, in etwa gleich."
Die Statistik zeigt die Anteile der einzelnen Straftaten an allen erfassten Straftaten in Deutschland im Jahr 2019. Im Jahr 2019 betrug der Anteil der Sexualdelikte an allen erfassten Straftaten in Deutschland 1,3 Prozent. Laut Quelle wurden im Jahr 2019 insgesamt 5.436.401 Straftaten polizeilich registriert.Anteil einzelner Straftaten an allen erfassten Straftaten in Deutschland im Jahr 2019
Die Statistik zeigt die Anteile der einzelnen Straftaten an allen erfassten Straftaten in Deutschland im Jahr 2019. Im Jahr 2019 betr (Statista / Bundeskriminalamt)
Initiative kommt meist von der Verteidigung
Noah Krüger selbst schlägt einen Deal eher selten vor. Offenbar halten das auch seine Kolleginnen und Kollegen so. Denn zu 95 Prozent gehe die Initiative von der Verteidigung aus, so auch die Erfahrungen des Magdeburger Strafrichters Stefan Caspari.
"Das kann durchaus so sein, dass ein Anwalt mal anruft und sagt, wir wollten mal hören, ob man sich nicht mal zusammensetzen kann, ob das Gericht da möglicherweise eine Chance sieht, bei einer geständigen Einlassung in einem bestimmten Strafrahmen sich zu bewegen."
Allerdings ist Richter Stefan Caspari kein großer Freund von Absprachen:
"Ich mache es nicht gerne, mache es auch nicht von uns aus. Also vom Gericht aus mache ich keine Verständigungsvorschläge, verweigere mich dem aber auch nicht, wenn es von anderer Seite kommt. Der Gesetzgeber hat gesagt, das ist eine Art und Weise, wie man verfahren kann, dann fände ich es auch nicht richtig zu sagen, auch wenn es im Gesetz drinsteht, machen wir es generell nicht. Aber als Gericht selber fördere ich das nicht, weil es aus meiner Sicht immer noch so ein bisschen den Beigeschmack von Bazar hat."
Für Absprachen gelten bestimmte Regeln
"Bazar", das klingt nach Handeln und Feilschen nach höchstens überlieferten, informellen Regeln. Vor deutschen Gerichten ist das anders, es gibt Regeln. So kann es Absprachen grundsätzlich nur über Tatsachen und das daraus folgende Strafmaß geben. Nicht dagegen über eine rechtliche Bewertung, erläutert Richter Caspari, obwohl die wiederum für das Strafmaß wichtig sein könnte.
"Also man kann sich nicht dahingehend einigen, dass man sagt, wir gehen jetzt mal davon aus, das war so, aber wir werden das jetzt am Ende nicht als Raub sondern nur als Diebstahl und Körperverletzung werten."
Geständnis ist nicht gleich Geständnis
Und anders als auf dem Bazar und in amerikanischen Fernsehserien, ist das Verfahren nach einer Absprache nicht sofort zu Ende. Richterinnen oder Richter verkünden auch nicht direkt im Anschluss die Strafe. Denn auch ein Geständnis im Rahmen eines Deals muss überprüft werden, weitere Beweiserhebungen sind manchmal nötig. Denn die sogenannte "gerichtliche Aufklärungspflicht" besteht auch bei einem Deal – im Interesse der Opfer und der Öffentlichkeit. Und: Geständnis ist nicht gleich Geständnis. Die Münchener Strafverteidigerin Annette von Stetten kennt das:
"Es gibt Richterinnen und Richter, denen reicht der Standardsatz, der Anklagesachverhalt wird objektiv und subjektiv eingeräumt, trifft alles zu. Was natürlich strenggenommen, kein wirkliches Geständnis ist. Das ist eine Verteidigererklärung mit einem Satz. Das hat mit dem, was der Mandant dazu zu sagen hat, herzlich wenig zu tun."
Niederländisches Strafgesetzbuch
Niederlande: "Bei uns dauern Prozesse nicht Wochen oder Monate"
In den Niederlanden sind Staatsanwälte sehr mächtig – sie können etwa viel freier als in Deutschland entscheiden, ob sie eine Straftat verfolgen oder nicht. Ein effizientes System, für manche aber auch kritikwürdig.
Vielen Richtern reicht das dann auch nicht. Sie wollen ein "echtes Geständnis" vom Angeklagten selbst hören, nicht vom Verteidiger.
"Und dann auch nicht nur, ja stimmt alles, ich gestehe, sondern tatsächlich auch ein bisschen mit Inhalt verbunden."
An den unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie denn das Geständnis zu erfolgen hat, scheitere nicht selten der ganze Deal, so Annette von Stetten. Besonders problematisch kann das werden, wenn ein Mandant Taten gesteht, die er gar nicht begangen hat, einfach nur, weil die Beweislage so erdrückend ist.
"Also, das kommt häufiger vor, als man denkt. Der Mandant sagt, ich war das nicht, und ich rate ihm trotzdem, das Deal-Angebot anzunehmen. Einfach, weil klar ist, der wird in jedem Falle verurteilt. Nur ohne Deal halt noch viel schlimmer. Und gerade in diesen Fällen ist es natürlich dem Mandanten nicht möglich, da eine qualifizierte Erklärung abzugeben, warum er die Straftat, die ihm da zur Last gelegt wird, begangen hat."
Im Rahmen von Hausdurchsuchungen beschlagnahmte Euro-Banknoten bei einer Pressekonferenz zum Schlag gegen die Darknet-Plattform "Wall Street Market" im Bundeskriminalamt in Wiesbaden am 03.05.2019
Organisierte Kriminalität: Wie der Staat sich illegales Vermögen holt
2017 wurde das Recht der Vermögensabschöpfung grundlegend geändert. Das macht es dem Staat einfacher, auf illegal erworbenes Vermögen zuzugreifen – selbst wenn es sich um einen Verdacht handelt.
Ein Geständnis ist häufig für die Opfer wichtig
Das Geständnis im Rahmen eines Deals ist nicht nur für das Gericht bedeutsam. Auch für die Opfer kann es wichtig sein, zu hören, dass der Angeklagte die Tat zugibt. Annette von Stetten hat das jüngst als Opferanwältin in einem Verfahren wegen Vergewaltigung erlebt.
"Da habe ich massiv angeschoben, was diesen Deal anbelangt, weil ich wusste, dass meiner Mandantin nichts wichtiger war als ein Geständnis des Angeklagten. Der war völlig egal, was kommt dabei raus. Geht er jetzt für vier Jahre oder für sechs Jahre oder nur für drei Jahre ins Gefängnis? Das war der völlig wurscht. Das wichtigste war für die das Geständnis des Angeklagten. Das zweitwichtigste war, dass ihr eine nochmalige Aussage erspart bleibt. Und das war dann letztlich auch der ausschlaggebende Punkt für die Staatsanwaltschaft, den Dealvorschlag zu akzeptieren."
Der Paragraph 257c als gesetzliche Grundlage
Über viele Jahre liefen solche "Verständigungen", wie Deals oder Absprachen auch genannt werden, vertraulich ab – in Hinterzimmern, auf den Korridoren oder sogar in der Gerichtskantine. Ohne Dokumentation, nicht nachvollziehbar. Seit gut zehn Jahren allerdings gibt es eine gesetzliche Regelung: Paragraph 257c der Strafprozessordung legt fest, was Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung vereinbaren dürfen und welche Formalien sie dabei einzuhalten haben. Vor allem ein Ziel hatte der Gesetzgeber seinerzeit vor Augen: Deals sollten transparenter werden. Angeklagte und die Öffentlichkeit sollten erfahren, in welchen Verfahren was wann wie ausgehandelt wurde.
Karlsruher Urteil zur Neuregelung
Allerdings musste sich schon wenige Jahre später das Bundesverfassungsgericht mit der Neuregelung befassen. Grund waren mehrere Verfassungsbeschwerden. Für das Karlsruher Gericht ein willkommener Anlass, sich die neue gesetzliche Regelung genauer anzusehen. Gutachter kamen zu ernüchternden Erkenntnissen: In einem Großteil aller Deals wurden nach Einschätzung der befragten Richter die Gesetze verletzt. Entsprechend harsch war dann das Karlsruher Urteil: Die gesetzlichen Regelungen zur Urteilsabsprache hätten ein "erhebliches Vollzugdefizit", hieß es. Im Klartext: Das Gesetz ist gerade noch verfassungsgemäß, wird es allerdings weiterhin in großem Umfang ignoriert, könnte es in die Verfassungswidrigkeit rutschen. Der Gesetzgeber müsse deshalb die weitere Entwicklung im Auge behalten und wenn nötig gegensteuern.
Studie im Auftrag des Bundesjustizministeriums
Das Bundesjustizministerium gab deshalb eine neue Untersuchung in Auftrag, deren Ergebnisse vor kurzem veröffentlicht wurden. Geprüft werden sollte, ob es auch nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts vor deutschen Gerichten noch unzulässige Absprachen gibt. Dazu untersuchten Rechtswissenschaftler von den Universitäten Frankfurt, Düsseldorf und Tübingen Berge von Akten. Sie befragten außerdem Richter und Richterinnen, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen nach ihren Erfahrungen.
Insgesamt haben alleine auf die Online-Befragung über 1.500 Personen geantwortet, erläutert Professor Jörg Kinzig von der Uni Tübingen, einer der Autoren: "Mit einer Gleichverteilung von Staatsanwälten und Richtern und etwa ein Viertel, 25 Prozent, derer, die geantwortet haben, waren dann die Strafverteidiger."
Das Ergebnis ging in die gleiche Richtung wie schon die Untersuchung aus dem Jahr 2013, so Jörg Kinzig. Zwar sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes alles etwas besser geworden, aber: "Die Hauptaussage der Untersuchung ist, dass die illegalen Absprachen leben, würde ich sagen. Also die sind auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht tot, sie gehören immer noch zum Alltag in deutschen Gerichtssälen."
Verstöße gegen die Transparenzpflicht
20 Prozent haben bei der Befragung angegeben, "häufig" oder sogar "sehr häufig" von Absprachen jenseits der gesetzlichen Vorgaben erfahren zu haben, 15 Prozent kennen sie aus der eigenen Praxis. Vor allem gegen Transparenzpflichten wird verstoßen, wie Belehrungen und Protokollierungen von Absprachen. Auch dass es untersagt ist, einen Verzicht auf Rechtsmittel, zum Beispiel Berufungen, zur Bedingung für Deals zu machen, wird schon mal ignoriert. Beliebt sind auch so genannte "Punktstrafen", das heißt, es wird nicht ein zu erwartender Strafrahmen mit Ober- und Untergrenze vereinbart, sondern eine ganz genaue Strafhöhe: Auch das wiederspricht den rechtlichen Regeln für eine Verständigung.
Legalität wird immer wieder informell umgangen
Trotz des Versuchs Deals zu regeln und trotz der Mahnung des Bundesverfassungsgerichts, ist es also bei illegalen Absprachen geblieben. Kritiker fühlen sich bestätigt, darunter der frühere Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer:
"Es zeigt sich ein weiteres Mal, was schon immer prognostiziert oder vorhergesagt wurde, dass sich mit der bloßen Regelung einer Grenze der Legalität, es nicht verhindern lässt, dass die Legalität informell umgangen wird. Das heißt, wir haben einen erheblichen Anteil von Staatsanwälten, Richtern und Strafverteidigern, die sich an die Regeln halten, wir haben aber auch einen ganz erheblichen Anteil von solchen Beteiligten, die sich nicht daranhalten."
Und wo genau die Grenze verläuft und wann diese Regeln gebrochen werden, ist von außen überhaupt nicht zu kontrollieren, sagt Fischer. Und das wiederum könne zu einem Vertrauensverlust in die Justiz führen. Der frühere Bundesrichter hält Deals nicht zuletzt für ungerecht:
"Einen Deal kann man ja nur machen, wenn es etwas zu dealen gibt. Und Absprachen zeichnen sich ja dadurch aus, dass Leistung und Gegenleistung angeboten und dann auch gebracht werden. Das bedeutet, wer viel zu dealen hat, hat auch viel zu gewinnen."
Kritiker prangern Ungerechtigkeiten an
Bestimmte Angeklagte können da aber kaum etwas bieten: "Raub, Körperverletzung, Gewaltdelikte, da kann ein Gericht nicht viel einsparen und der Beschuldigte oder die Beschuldigten haben nicht viel Verhandlungsstoff. Je komplizierter und je größer der Umfang des Verfahrensstoffs ist, desto mehr Dealmöglichkeiten gibt es. Und wenn jemand angeklagt ist wegen 300 Taten einer komplizierten Untreue im Finanzbereich, dann hat er natürlich eine sehr große Dealmasse. Im Ergebnis führen Deals immer zu groben Ungerechtigkeiten, einfach, weil die Verfahren so unterschiedlich sind, dass in manchen gedealt wird und in manchen halt nicht."

Gegen illegale Deals gibt es für Fischer nur ein probates Mittel: "Wenn man das verhindern will, muss man klar sagen, dass solche Absprachen unzulässig sind und man muss unzulässige Absprachen klar sanktionieren, und zwar so sanktionieren, dass es denjenigen, die sie durchführen, weh tut und dass sie sich davor fürchten und es deshalb nicht tun."
Und auch Rechtsanwältin Annette von Stetten kann aus ihrer Erfahrung nicht bestätigen, dass Absprachen jenseits der Vorgaben weit verbreitet sind. Das Ergebnis der Studie hat sie deshalb ziemlich überrascht.
"Also ich erlebe das praktisch nie. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine verfahrensbeendende Absprache erlebt hätte, die nicht lege artis war."
Und auch von Kolleginnen und Kollegen hat sie nichts über illegale Deals gehört. Das geht auch Richter Caspari so. Seit das Gesetz in Kraft ist, habe sich doch einiges geändert. Auf jeden Fall, so meint Caspari, bei den Landgerichten, wo meist schwerere Straftaten verhandelt werden.
"Gerade bei den Strafkammern und gerade bei den Wirtschaftssachen glaube ich schon, dass die Gesetzesänderung damals was gebracht hat, dass es nicht mehr im Hinterstübchen gemacht wird."
Für Oberstaatsanwalt Noah Krüger hat der Paragraph 257 c die Deals nicht nur, wie er sagt "vom Dunkel ins Licht geführt", sondern sie auch weitgehend legitimiert – allerdings mussten zunächst Anfangsschwierigkeiten überwunden werden.
"Zu Beginn der Neuregelung gab es erhebliche Unsicherheiten bei den Gerichten, wie mit den neuen Vorschriften umzugehen ist. Und die führten bei manchen dazu, dass sie übervorsichtig wurden, und sagten, davon halten wir uns jetzt mal fern. Und bei anderen dazu, dass sie einfach ihr altes Prozedere durchgezogen haben, wie sie das gewohnt waren. Solche Fallkonstellationen habe ich jetzt seit einer ganzen Reihe von Jahren nicht mehr erlebt. Ich denke, das liegt daran, dass inzwischen die Gerichte damit vertraut sind, dass die Obergerichte viele zweifelhafte Fallkonstellationen oder Graubereiche klargestellt haben, und dass vielleicht auch ein bisschen ein Generationenwechsel stattgefunden hat. Dass der eine oder andere alte Hase, der sich nicht mehr auf eine neue Rechtslage einstellen wollte, inzwischen eben dann auch in Pension gegangen ist."
Justitia vor grauem Himmel
Deals werden von Kritikern als auch als Bruch mit dem Schuldprinzip verdammt (imago stock&people)
Freiburg im Breisgau: Ein Angeklagter steht im Saal IV des Landgerichts. 
Umgang mit Missbrauchsfällen
Staufen, Lügde, Münster oder Bergisch Gladbach – immer wieder stellt sich in Fällen schwersten Kindesmissbrauchs die gleiche Frage: Wie kann es sein, dass involvierte und informierte Jugendämter und Familienrichter nicht tätig wurden?
Politik sollte sich mit der Studie befassen
Woher die Unterschiede zwischen den Ergebnissen der Studie und den Erfahrungen von Staatsanwalt Krüger und anderen kommen, ist schwer zu sagen. Rechtsprofessor Jörg Kinzig bekräftigt jedoch, dass die aus den Umfragen stammenden Ergebnisse repräsentativ sind. Durch die Anonymität der Studie sei es im Übrigen auch weniger wahrscheinlich, so Kinzig, dass die Befragten ihre Angaben geschönt haben. Der Wissenschaftler meint, dass die Politik sich jetzt mit der Studie befassen müsse
"Man wird darüber nachdenken müssen, ob man etwas reformieren muss."
Das Bundesjustizministerium hat mitgeteilt, genau das wolle man jetzt tun. Die politische Diskussion über die Konsequenzen der Studie und die Zukunft des Deals hat erst begonnen.