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Deutsche Gravel-Meisterschaften
Opfer des eigenen Erfolgs

Am Wochenende hat in Daun in der Vulkaneifel die erste Deutsche Gravel-Meisterschaft stattgefunden, also Radrennen auf Schotterpisten. Diese Art der Rennen wird auch in Deutschland immer beliebter – was ihren bisherigen Charakter bedrohen könnte.

Von Christian von Stülpnagel |
Mehrere Radfahrer fahren bei den Deutschen Gravel-Meisterschaften in der Vulkaneifel auf der Strecke.
Mit den ersten Deutschen Gravel-Meisterschaften in der Vulkaneifel unterstreicht der Gravel-Radsport seine neue Beliebtheit. Doch der Boom hat auch Schattenseiten. (Deutschlandradio / Christian von Stülpnagel)
Die ersten paar hundert Meter geht es noch über Asphalt, aber danach kommt das, was Gravel ausmacht: Knapp 140 Kilometer über größtenteils Wiesen- und Forstwege, sprich Schotter. Denn darum geht es ja bei der ersten Deutschen Gravelmeisterschaft, die am Wochenende in Daun stattgefunden hat. Schließlich bedeutet Gravel auf deutsch Schotter.
Bei dem Rennen geht es etwas kleiner zu als bei den Straßen-Meisterschaften. Auf Unterstützung von außen müssen die rund 200 Fahrerinnen und Fahrer verzichten. Teamfahrzeuge gibt es nicht – nur ein paar festgelegte Verpflegungspunkte. Wie eigentlich immer, bei Gravel-Rennen.

Die Wurzeln des Gravelradsports liegen in den USA

Die Topfavoritin auf den Titel bei den Frauen ist Carolin Schiff. „Für mich ist Gravel eigentlich die perfekte Kombination aus Straßenradsport und Cyclocross.“
Die 37-Jährige gehört zu den weltweit besten Fahrerinnen auf den Schotterpisten, hat im Juni das „Unbound Gravel“-Rennen in Kansas gewonnen, die inoffizielle Gravel-WM über 330km.
Carolin Schiff aus Bremen fährt bei der ersten Deutschen Gravel-Meisterschaft in der Vulkaneifel.
Die Bremerin Carolin Schiff kürte sich zur ersten Deutschen Gravel-Meisterin. Sie sieht den Gravel-Radsport vor allem für den Frauenradsport extrem positiv. (Deutschlandradio / Christian von Stülpnagel)
„Die Länge macht es glaube ich aus, und dann eben durch den Untergrund wird einem eigentlich immer alles schwer gemacht. Man muss sich immer irgendwie durchboxen, und das ist genau das, was mir liegt.“
Die Wurzeln des modernen Gravelradsports liegen in den USA. Rennen auf in den dort oft unbefestigten Straßen gibt es schon in den 80er Jahren. Groß wird der Sport aber vor allem nach der Jahrtausendwende.

Der deutsche Radsport hat Nachwuchssorgen

„Die haben in Amerika einfach viel mehr Platz", sagt Björn Müller, Organisator des nach eigenen Angaben ersten Gravel-Rennens in Deutschland im Rahmen des „3Rides Aachen“.
Lange, unbefestigte Strecken findet er hier kaum: „Das ist natürlich im hier sehr hoch besiedelten Mitteleuropa sehr schwierig, weil man kommt wieder an eine Hauptstraße.“
Aber auch hierzulande wird das Brettern über Wald- und Feldwege immer beliebter. „Wir hatten bei dem ersten Gravel Qualifyer 1200 Starter auf Anhieb.“
"Das Graveln kommt jetzt glaube ich, das hat einen totalen Hype. Das geht wirklich Ratzi Fatzi", sagt Svenja Betz im Auto, auf dem Weg zur Deutschen Meisterschaft. Früher fuhr sie bei Profi-Straßenrennen, heute fast nur noch auf Schotter:
„Ich glaube, das ist genau das, was der Radsport braucht, um auch den Rennradsport ein bisschen besser leben zu lassen.“
Denn dem deutschen Radsport fehlt der Nachwuchs. Laut BDR ist die Zahl der Rennlizenzen für Radrennfahrer*innen unter 19 Jahren seit 2006 um rund zwei Drittel gesunken.

Seit der Corona-Pandemie boomt Gravel

Gravel hingegen boomt, spätestens seit der Corona-Pandemie sind die etwas robusteren Rennräder mit breiteren Laufrädern fast durchgehend ausverkauft.
"Ich glaube, das hat auch bisschen mit den Herstellern zu tun, dass die dann auch spezifische Räder auch angeboten haben und das ein bisschen unterstützt haben, im Sponsoring von Events", sagt Henning Bommel, der im vergangenen Jahr bei der ersten offiziellen Gravel-WM des Weltradsportverbands UCI den Titel gewonnen hat, in der Altersklasse M35-39.
Dieses Engagement der klassischen Radsportwelt um UCI und BDR, aber auch von Profis wie zum Beispiel Wout van Aert, der im August sein erstes Gravel-Rennen überhaupt gewonnen hat, kann aber auch negative Seiten haben: „Was jetzt kommt, ist dieses knallhart kompetitive, was auch ein bisschen am Spaß nagt. Das ist, ich will nicht sagen schade, aber ein bisschen der Preis, den man zahlt.“

Etwas wird verloren gehen

Geht der Charme der Gravel-Rennen, auf sich selbst gestellt zu sein, ohne großen Team-Tross, ohne Profis, aber auch ohne starken Leistungsdruck also verloren?
„Die Frage muss ich ganz deutlich mit Ja beantworten", sagt Svenja Betz: „Ich glaube, dem kann man auch gar nicht so wirklich entgegenwirken, das ist einfach so.“
„Ich hoffe, dass das nicht zu schnell geschieht. Und ich hoffe, dass auch diese Lockerheit, die man im Gelände einfach hat, irgendwo noch bestehen bleibt.“ Aber Carolin Schiff kann der Professionalisierung auch Positives abgewinnen: Denn von Anfang an seien im Gravel-Sport Frauen genau so präsent, wie die Männer. So könnte Frauenradsport insgesamt auch sichtbarer werden.
Bei der Deutschen Gravelmeisterschaft in Daun kommt Schiff nach 140 Kilometern am Ende als erste ins Ziel. Bei den Männern sichert sich Lukas Baum das erste Meistertrikot.
Und die Gravel-Saison ist noch lange nicht vorbei. Am 07. Oktober findet die offizielle WM statt – in Venezien. Der BDR möchte mittelfristig gern eine eigene Rennserie organisieren. Und vom Gravel-Boom profitieren.