Archiv

Wächter ohne Amt
Deutschlands Medien und die Demokratie

In vielen Ländern weltweit steht das Gesellschaftsmodell der Demokratie unter Druck. Eine ihrer wichtigsten Säulen ist die Pressefreiheit. Doch wie gehen Medien auch hierzulande um mit dieser Verantwortung? Wie können sie die Demokratie schützen?

Von Antje Allroggen und Brigitte Baetz |
Der Bundesadler mit Lichtreflektionen im Plenarsaal des Deutschen Bundestages
Doppelfunktion von Medien: Politik kontrollieren - und dabei Gefahren für Demokratie im Blick behalten (IMAGO / Achille Abboud / IMAGO / Achille Abboud)
Gefahren für die Demokratie erkennen – darin sieht Michael Kraske längst eine der wichtigsten Aufgaben für Medien. „Wie ein Seismograf“ müssten Medien sein, sagt der Journalist und Autor des Buchs „Demokratie braucht Rückgrat“.
In Zeiten wachsender Desinformation werde diese Aufgabe immer wichtiger: „Medien müssen auch als Faktenlieferant Graswurzelarbeit leisten und Wahres, Recherchiertes von Falschinformationen und Lügen trennen.“

Kraske: „Journalismus muss dagegenhalten“

Doch genau das werde Medien immer schwerer gemacht, warnt Kraske – und erinnert an die Zunahme von Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen führte Deutschland zuletzt nur noch auf Rang 21 ihres Pressefreiheit-Rankings und begründete das auch mit einer Vielzahl körperlicher Angriffe etwa auf Berichterstattende von Demonstrationen.
Mit Hass und Anfeindungen hätten inzwischen alle zu tun, die über bestimmte „Reizthemen“ berichten würden, erklärt Kraske, der selbst zu Rechtsextremismus recherchiert.
Der Journalismus müsse hier aber „dagegenhalten“. Es brauche „mutige Reporter, die nah rangehen“. Und deren Arbeit dann bedingungslos geschützt werde, beispielsweise von der Polizei bei Protesten.

„Immer an der Seite der Demokratie“

Und was ist mit dem Vorwurf, aus Journalismus könne schnell Aktivismus werden? Für Kraske ist das eine „Metadebatte“, die an der Wirklichkeit vorbeigehe. „Journalismus kann gar nicht neutral sein, wenn es um Angriffe gegen die Demokratie geht“, betont er.
„Natürlich ist der Journalismus immer an der Seite der Demokratie.“ Es gehe darum, Gefahren offen anzusprechen und immer wieder den Finger in Wunden zu legen.
Ausgerechnet im Umgang mit der AfD hätten Medien „anfangs eine unglückliche Rolle gespielt“, findet der Journalist. Denn die AfD habe über Schlagworte die politische Kultur verändert – und Medien hätten als „eine Art Pressestelle eins-zu-eins solche Aussagen nur reproduziert“. Als Beispiel hierfür nennt Kraske den Begriff „Flüchtlingswelle“, mit dem Menschen entmenschlicht und als existenzielle Bedrohung dargestellt worden seien.

Minkmar: Orientierungsfunktion der Medien

Bis heute würden Medien ihrer Verantwortung nicht immer gerecht, meint Nils Minkmar, Redakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“. Wenn etwa der US-Sender CNN, so wie jüngst geschehen, Donald Trump zu einem langen Interview einlade, sei das ein Rückfall in Zeiten, in denen Medien die Leugner eines menschengemachten Klimawandels auf eine gemeinsame Stufe mit den Warnern gestellt hätten.
„So geht’s nicht. So legen wir die Elektrosäge an den eigenen Baum“, kritisiert der Journalist und Publizist. Trump arbeite mit Lügen und Desinformation und dürfe deshalb aus seiner Sicht medial eigentlich gar nicht mehr vorkommen.
Auch in Deutschland befinde sich der Konservatismus in einer Krise. Wissenschaftsleugnung und "Abscheu vor Fakten" seien zum Geschäftsmodell Einiger geworden, wie der Umgang mit der Klimakrise zeige. Dabei sei dieses Thema doch eigentlich auf vielen Ebenen anschlussfähig mit konservativen Ideen.
Es sei Aufgabe von Medien, Dinge abzubilden und zu helfen bei politischer Meinungsbildung. Minkmar spricht von einer „großen Orientierungsfunktion“ des Journalismus. Und Teil davon sei es, für eine offene Gesellschaft einzustehen. „Medien machen nur Sinn in einer freiheitlichen Ordnung in einem Rechtsstaat.“ Und diejenigen, die das bekämpften, dürften nicht als normale Teilnehmer des Diskurses behandelt werden.

„Formen der zivileren Auseinandersetzung finden“

Ein Blick zurück in das 175-jährige Jubiläum der Revolution von 1848 zeige, wie lange es gedauert habe, „bis wir Pressefreiheit und allgemeines Wahlrecht hatten“. Und diese Errungenschaften seien auch heute noch bedroht sind in vielen Ländern. „Und da müssen wir uns verteidigen“, sagte Minkmar.
Und wie genau? Es müsse darum gehen, „Formen der zivileren Auseinandersetzung zu finden“. Als Beispiel nennt der 56-Jährige das in Frankreich inzwischen eingestellte TV-Format „Der Mitternachtskreis“. Hier habe man sich live und offen über Themen des Tages ausgetauscht – und das „unter bestimmten Grenzen“. Und am nächsten Tag sei das dann wiederum Tagesgespräch in Frankreich gewesen.

Brodnig: Österreich "kleines Labor" für Deutschland

Beim Zusammenspiel von Medien und Politik empfiehlt die österreichische Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig einen Blick in ihr Heimatland. Das sei so etwas wie ein „kleines Labor“ für Deutschland. So habe es etwa in Österreich schon viel früher unseriös und unjournalistisch arbeitende Internetredaktionen gegeben, die inzwischen auch in Deutschland Meinungsmache betreiben würden, so Brodnig.
Aber auch im klassischen Journalismus gebe es Probleme. So würden Regierungen versuchen, mit Personalbesetzungen Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen ORF zu nehmen. Und im Printbereich gebe es das Problem der Finanzierung mit dem Schalten von Regierungsanzeigen, Stichwort Inseratenaffäre. „Da gibt es eine fehlende Transparenz auf dieser finanziellen Ebene zwischen Politikern und Medien“, kritisiert Brodnig.
Der Journalismus selbst sei sich „zu 100 Prozent bewusst, die Vierte Gewalt im Staat sein“, ist die Journalistin überzeugt. Aber es gebe strukturelle Schattenseiten und hierbei vor allem das Problem der Nähe zwischen Politik und Medien.

Deutschlandradio-Denkfabrik "Wehrhafte Demokratie"

Die Interviews mit Ingrid Brodnig, Nils Minkmar und Michael Kraske stammen aus einer Sonderausgabe von @mediasres.
Diese Sendung ist ein Beitrag des Medienmagazins zur Reihe „Denkfabrik“ im Deutschlandradio, die sich in diesem Jahr mit dem Thema „Wehrhafte Demokratie“ auseinandersetzt.