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Vor 125 Jahren: Teatro Amazonas eröffnet
Und plötzlich erklang "La Gioconda“ im Dschungel

Der Kautschuk-Boom Ende des 19. Jahrhunderts hatte die brasilianische Stadt Manaus reich gemacht. Nun wollte sich die weiße Oberschicht mit einem Opernhaus schmücken - und ließ mitten im Regenwald das Teatro Amazonas errichten. Am 7. Januar 1897 wurde die erste Oper aufgeführt.

Von Tilo Wagner |
Regisseur Christoph Schlingensief 2007 mit Samba-Tänzerinnen im Urwald von Manaus bei einer Probe zu "Der Fliegende Holländer", den er am Teatro Amazonas neu inszenierte
Regisseur Christoph Schlingensief 2007 mit Samba-Tänzerinnen im Urwald von Manaus bei einer Probe zu "Der Fliegende Holländer", den er am Teatro Amazonas neu inszenierte (picture-alliance/ dpa)

„Wissen Sie, ich habe einen Traum ... Die Oper ... die große Oper im Dschungel.": sagt Fitzcarraldo, gespielt von Klaus Kinski, im gleichnamigen Film von Werner Herzog, in dem ein leicht entrückter englischer Abenteurer ein Theater im Regenwald in Südamerika errichten will.

Der Traum von der Oper im Dschungel war jedoch mehr als nur die Schnapsidee einer skurrilen Filmfigur. Im brasilianischen Manaus, rund 1.700 Kilometer westlich des Atlantiks, hatte das Regionalparlament in den 1880er Jahren den Bau eines Theaters beschlossen. Die Stadt, mitten im tropischen Regenwald an der Mündung des Rio Negro in den Amazonas gelegen, stand am Beginn einer goldenen Epoche: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts konnte aus Kautschuk elastischer Gummi hergestellt werden, der unter anderem beim Bau von Fahrrädern für die wachsende Zahl der Industriearbeiter in den Großstädten der Welt zum Einsatz kam. Die Gewinnung des Rohstoffs aus den Kautschukbäumen der Amazonasregenwälder führte zwischen 1880 und 1910 zu einem beispiellosen Wirtschaftsboom in der Region. Manaus habe dabei in unmittelbarer Konkurrenz zur Hafenstadt Belém gestanden, sagt der brasilianische Historiker Otoni Mesquita:
„Manaus wollte sich gegenüber Belém abheben, um mehr Investoren in die Stadt zu bringen. Belém war attraktiver, denn es lag direkt am Atlantik und war in der Stadtentwicklung weiter fortgeschritten. Manaus musste sich etwas Besonderes ausdenken, etwas Extravagantes, Außergewöhnliches, Kostspieliges, um die Leute zu diesem weit abgelegenen Ort mitten im Regenwald zu locken.

Manaus als „Paris der Tropen“

Der Bau des Theaters kam jedoch erst in den 1890er-Jahren in Schwung, kurz nachdem in Brasilien die Republik ausgerufen und Eduardo Ribeiro als erster schwarzer Politiker in der Amazonasregion Gouverneur wurde. Ribeiro strebte die Modernisierung Manaus‘ an – mit breiten Alleen und repräsentativen Bauten. Er orientierte sich an den Konzepten des berühmten Pariser Stadtplaners Georges-Eugène Haussmann. Manaus gewann den Spitznamen „Paris der Tropen“.
Am 7. Januar 1897 führte ein italienisches Ensemble im frisch eingeweihten Teatro Amazonas die erste Oper auf – „La Gioconda“, das berühmteste Werk des italienischen Komponisten Amilcare Ponchielli. Nicht alle Dekorationsarbeiten in den Innenräumen des Theaters waren zu diesem Zeitpunkt beendet worden. Doch die Neo-Renaissance-Fassade erhob sich bereits majestätisch über der größtenteils noch nicht fertig gebauten Stadt. Die riesige Kuppel schmückten 36.000 grün, gelb und blau bemalte Kacheln – als Symbol für die 1889 zum ersten Mal gehisste Nationalflagge der brasilianischen Republik. An der Decke der 701 Zuschauer fassenden Haupthalle verewigte sich der italienische Maler Domenica De Angelis mit seinem Bild „Zum Ruhm der schönen Künste in Amazonien“, das an den Sockel des Pariser Eiffelturms erinnerte.
In klassischer Architektur präsentiert sich die Fassade des Teatro Amazonas, des Opernhauses in Manaus, Brasilien.
In klassischer Architektur präsentiert sich die Fassade des Teatro Amazonas, des Opernhauses in Manaus, Brasilien. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)

Historiker: "Was zählte, war die weiße Kultur“

Überhaupt war vom kulturellen Erbe des Regenwaldes im Theater wenig zu spüren: Die Kacheln kamen aus dem Elsass, der Marmor aus Carrara, die Gemälde aus Rom. Die europäische Kultur blieb für die brasilianische Elite auch am Rio Negro der Maßstab aller Dinge, sagt Otoni Mesquita:

„Die indigene Kultur wurde verachtet und verspottet. Es gab keinen Ort, wo dieses Erbe wertgeschätzt wurde. Und das, obwohl bereits ein großer Teil der Bevölkerung Mestizen waren mit indigenen Wurzeln. Aber davon wollte fast niemand etwas wissen. Was zählte, war die weiße Kultur.“

Das Theater war zunächst Spielplatz für eine kleine, reiche Oberschicht. Kulturell konnte es jedoch kaum Akzente setzen, die großen Stars der Opern-Szene blieben dem Amazonas fern.

Mit der Erschließung neuer Plantagen in Brasilien, Afrika und Asien verfiel zu Beginn des
20. Jahrhunderts der Preis für Naturkautschuk aus Amazonien. Die Wirtschaft brach ein, öffentliche Gebäude verfielen, das Opernhaus wurde jahrzehntelang nicht bespielt. Erst Ende der 1980er-Jahre wurde das Teatro Amazonas komplett restauriert. In der heutigen zwei-Millionen-Metropole Manaus gilt die „Oper im Dschungel“ noch heute als Wahrzeichen für die Belle Epoque des Kautschuk-Booms.