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Digitale Arbeitswelt
"Wir brauchen Qualifizierungsprogramme"

Björn Böhning, Leiter der neuen Denkfabrik zur digitalen Arbeitsgesellschaft im Bundesarbeitsministerium, plädiert für eine staatliche Finanzierung von Weiterbildungen. Ein Grundeinkommen für Menschen, die durch die Digitalisierung aus der Arbeitswelt herausgedrängt werden, sei der falsche Weg.

Björn Böhning im Gespräch mit Sarah Zerback | 10.10.2018
    Björn Lars Böhning (SPD), Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, nimmt an der Internetkonferenz re:publica teil.
    Björn Böhning (SPD), Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, (dpa/ picture alliance/ Jens Kalaene)
    Sarah Zerback: Roboter nehmen uns die Jobs weg – diese düsteren Prognosen decken sich bisher zum Glück kaum mit der deutschen Realität. Damit das aber auch in Zukunft so bleibt, damit technologischer Fortschritt, künstliche Intelligenz dem Menschen nutzen, statt ihn nur zu ersetzen, da braucht es auch kluge Arbeitspolitik, die Trends erkennt und den digitalen Arbeitsmarkt sozialverträglich gestaltet. Der Bundesarbeitsminister hat deshalb vor einem halben Jahr angekündigt, in seinem Haus eine Denkfabrik einzurichten, die sogenannte digitale Arbeitsgesellschaft, wo Praktiker und Wissenschaftler (ein zwölfköpfiges Team) genau hier Ideen entwickeln und beraten sollen. Heute fällt der Startschuss und darüber konnten wir vor dieser Sendung sprechen mit dem Leiter des Ganzen, mit Björn Böhning, Staatssekretär im SPD-geführten Ministerium. Ihn habe ich zunächst gefragt, ob die SPD mit dieser Denkfabrik jetzt aufholen will, nachdem beim Thema Digitalisierung bisher ja vor allem unionsgeführte Ministerien den Ton angeben.
    Björn Böhning: Nein. Das Entscheidende jetzt für uns ist, dass die Digitalisierung und die Aufgaben der Digitalisierung als Gesamtaufgabe der gesamten Bundesregierung begriffen wird und dass wir nicht irgendwas delegieren an das Kanzleramt oder dass wir noch mal neu nachdenken über ein irgendwie geartetes Digitalministerium, sondern dass sich alle Ressorts mit den Fragen der Digitalisierung beschäftigen. Das BMAS hat, glaube ich, als einer der ersten mit einem großen Prozess Arbeiten 4.0 damit begonnen, die Herausforderungen der Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Arbeitswelt zu betrachten. Und wir sind jetzt am nächsten Schritt, nämlich zu schauen, nicht nur zu analysieren, sondern auch konkrete Politikkonzepte vorzuschlagen.
    Digitalministerium ist keine Option
    Zerback: Da wäre ein Digitalministerium nicht doch besser gewesen?
    Böhning: Nein, das glaube ich nicht. Man müsste aus den Ressorts so große Bereiche herausbrechen, dass man ein Ministerium schafft, was mehr oder weniger für alles zuständig ist. Das, glaube ich, ist der falsche Weg. Die Digitalisierung ist eine so große Herausforderung, weil sie alle Lebens- und Arbeitsbereiche, alle Wirtschaftsbereiche erfasst, auch die Bereiche des kulturellen Lebens, dass es gut ist, dass viele Ministerien sich damit beschäftigen, und dass es eine Koordinierung gibt, und die findet auch statt.
    Zerback: Sie wollen ja in Ihrer Denkfabrik Szenarien entwickeln, um bessere Empfehlungen für die Arbeitsmarktpolitik vor allem des Arbeitsministeriums aussprechen zu können. Wie wollen Sie denn da konkret vorgehen?
    Böhning: In anderen Ländern ist es Gang und Gäbe, dass es so etwas wie eine strategische Vorausschau in bestimmten Bereichen gibt. Das heißt, wir schauen uns die Arbeitswelt der Zukunft an. Wir schauen uns beispielsweise an, wie wirkt die Einführung künstlicher Intelligenz auf die Beschäftigten und auf die Unternehmen selbst. Dafür wollen wir Szenarien entwickeln, um daraus Politikkonzepte abzuleiten, denn wir lassen uns davon treiben, dass wir glauben, dass eine menschenzentrierte Digitalpolitik der richtige Weg ist für eine Digitalisierung, die nicht nur der Technologie nützt, sondern auch den sozialen Bedingungen.
    "Nachdenken, wie wir die Datenethik in der Arbeitswelt wahren"
    Zerback: Welche Rahmenbedingungen muss denn Politik dafür schaffen, damit das gelingt?
    Böhning: Zwei konkrete Bereiche würde ich da erwähnen. Das erste ist, dass wir, glaube ich, darüber nachdenken müssen, wie wir die Datenethik in der Arbeitswelt wahren, sprich, dass nicht alles das, was möglich ist, nämlich den gläsernen Beschäftigten zu schaffen, auch wirklich realisiert wird, sondern dass wir dort auch Haltelinien einziehen, dass wir dort den Betriebsrat beispielsweise mitreden lassen bei der Einführung solcher Technologien, damit Transparenz hergestellt wird über das, was die Technologie mit den Beschäftigten tut.
    Ein zweites Thema ist beispielsweise, dass wir uns das Thema Plattformökonomie vornehmen werden. Wir werden schauen, wo sind die positiven Potenziale einer Plattformökonomie, wo entstehen zum Beispiel neue Unternehmen, die wir auch fördern wollen, aber wo gibt es auch negative Potenziale, wo Digitalisierung mit Ausbeutung verwechselt wird, weil Fahrer, die selbständig sind, nicht die Arbeitsrechte genießen wie in anderen Unternehmen. Dort werden wir Einhalt gebieten müssen.
    Zerback: Muss man da nicht auch mitdenken, die sozialstaatlichen Strukturen parallel zu stärken, vielleicht sogar ein Grundeinkommen für die Verlierer dieser digitalen Revolution? Das wird ja auch immer wieder diskutiert.
    Böhning: Nein, das halte ich für den falschen Weg. Ein Grundeinkommen ist nicht der richtige Weg dessen, weil es ja dazu führt, dass Menschen, die aus der Arbeitswelt herausgedrängt werden, mit einer Alimentation abgefrühstückt werden. Das halte ich, was die Würde der Arbeit anbelangt und was die Integration in die Gesellschaft und die Arbeitswelt anbelangt, für den absolut falschen Weg.
    Wir haben allerdings eine große Herausforderung des Strukturwandels. Es werden in den nächsten Jahren hunderttausende Arbeitsplätze automatisiert werden. Es werden aber auf der anderen Seite auch hunderttausende neue Arbeitsplätze nicht nur im digitalen Bereich, auch im Sozialbereich neu entstehen.
    "Wir müssen den Transformationsprozess sozial gestalten"
    Zerback: Welche Branchen sind denn die Gewinner und welche die Verlierer, Herr Böhning?
    Böhning: Gewinnerbranchen sind in jedem Falle alle Branchen der sozialen Berufe, dort wo es um Pflege geht, dort wo es um Erziehungsdienstleistung geht, oder Gewinner sind natürlich auch alle Bereiche, die über das gute deutsche Ingenieurswesen neue Technologien entwickeln, künstliche Intelligenz entwickeln, und wir müssen nun diesen Transformationsprozess sozial gestalten. Das heißt: Wenn wir demnächst darüber sprechen müssen, dass wir vom Automotor im Automobilsektor in einen digitalen und Elektromotor hinein müssen, dann brauchen wir Weiterbildungsprogramme, Qualifizierungsprogramme, die es Beschäftigten ermöglichen, diese Transformationsbrücke zu beschreiten.
    Zerback: Das sagen alle Experten: Der Schlüssel ist Bildung, Weiterbildung auch, um Arbeitnehmer auf die Umbrüche vorzubereiten. Wann kommt denn dieser Rechtsanspruch auf Weiterbildungsberatung zum Beispiel, den Ihr Chef Anfang des Jahres ja versprochen hat?
    Böhning: Das Bundesarbeitsministerium hat den ersten Schritt gemacht. Wir haben eine Qualifizierungs-Chancengesetz vorgelegt, das im Kern zwei Säulen vorsieht: Erstens eine Weiterbildungsberatung über die Bundesagentur für Arbeit, so dass Beschäftigte künftig die Chance erhalten, sich zu informieren, in welchen Bereichen neue Jobs, neue Tätigkeitsfelder entstehen. Zum anderen müssen wir ja auch den Prozess der Weiterbildung finanzieren. Das heißt, wir werden über das Programm der Bundesagentur für Arbeit es möglich machen, dass Auszeiten für Weiterbildung finanziert werden können. Das halte ich für den richtigen Weg in einer Arbeitsversicherung, die nicht nur Arbeitslosigkeit finanziert, sondern Arbeit präventiv absichert.
    Problemfeld Arbeitslosenversicherung
    Zerback: Weil es natürlich auch so ist, dass viele Arbeitnehmer teilweise gerade bei IT-Projekten so kurzfristig auch nur beschäftigt sind, dass sie dann auch nur kurz in die Arbeitslosenversicherung einzahlen und dann nie Leistung bekommen. Wie wollen Sie denn diesen Menschen mehr Sicherheit geben?
    Böhning: Das ist ein großes Problem, dass in der Tat durch die sehr starke Projektorientierung in der neuen Wirtschaftsweise die Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung geringer werden. Deswegen haben wir die sogenannte Rahmenfrist jetzt auch im Qualifizierungs-Chancengesetz ausgeweitet, so dass man mittlerweile in 30 Monaten Ansprüche erwerben kann und diese dann angerechnet werden auf die Arbeitslosenversicherung. Das ist eine deutliche Verbesserung für diejenigen, die in solchen unsteten Erwerbsbiographien sind.
    Zerback: Es gibt ja viele Menschen, die sich in Deutschland Sorgen darum machen, dass diese sogenannte Arbeit 4.0 ein echter Jobfresser wird. Das Bild, was Sie jetzt zeichnen, das ist diverser, positiver auch. Kann man unterm Strich nicht sagen, nicht die Arbeit verschwindet, sondern es verschwindet gut bezahlte Arbeit? Routineaufgaben verschwinden, aber dadurch haben wir natürlich auch eine steigende Lohnungleichheit, die sich weiter zementiert. Muss die Frage zu Arbeit und Digitalisierung nicht heißen, wie geht die Politik mit Geringverdienern um?
    "Wir brauchen eine aktive Politik des Aufstiegs"
    Böhning: Zweierlei! Einmal möchte ich sagen, dass wir in der Tat die vielen Horrorszenarien, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, beiseiteschieben und den Menschen keine Angst machen vor der Zukunft, weil sie damit auch wenig Akzeptanz finden werden für die Digitalisierung. Zum zweiten: Ja, es gibt ernst zu nehmende Studien, die sagen, wir könnten zu einer größeren Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt kommen, dass wir mehr hochqualifizierte und damit auch mehr hochentlohnte Beschäftigungen bekommen und gleichfalls auch mehr Menschen im Niedriglohnsektor verharren müssen. Da ist es in der Tat so, dass wir eine aktive Politik des Aufstiegs brauchen, damit es uns möglich wird, die niedrig entlohnten Tätigkeiten aufzuwerten und in ordentliche Tarifvertragsstrukturen zum Beispiel zu übersetzen, weil das schafft sozialen Aufstieg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.