Deutschland sei der einzige G7-Staat, der zwischen 2010 und 2028 keine Olympischen und Paralympischen Spiele ausgerichtet hat oder ausrichten wird. Und alleine in den vergangenen 20 Jahren seien vier deutsche Bewerbungen gescheitert. Mit diesen Worten fasst der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) die letzten deutschen Misserfolge bei Olympia-Bewerbungen zusammen.
Jetzt will der Dachverband einen neuen Anlauf starten. Die Mitgliederversammlung hat dafür gestimmt, dass der DOSB bis Ende 2023 eine Konzeption für eine Bewerbung erstellen soll. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was genau plant der DOSB?
Der DOSB will das kommende Jahr dazu nutzen, eine grundsätzliche Entscheidung vorzubereiten, ob Deutschland sich für Olympia bewerben soll. Dafür soll zum einen ein Lenkungskreis einberufen werden, in dem Vertreter aus dem Bundesinnenministerium, Sportverbänden und kommunalen Vertretern die Fragen klären sollen: Wo und wann könnten die Spiele stattfinden? Und vor allem: Warum braucht Deutschland Olympische Spiele? Der Ausschuss kann auch NGOs zu Menschenrechts- oder Nachhaltigkeits-Fragen beratend hinzuziehen.
Gerade die Frage nach dem "Warum" soll auch auf mehreren großen, bundesweit durchgeführten Debattencamps mit hunderten Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Gesellschaft, auch mit kritischen Stimmen, diskutiert werden. Insgesamt sind bis zu zehn solcher Camps geplant.
Während dieser Zeit sollen auch mögliche Szenarien erarbeitet werden, wie Sommer- oder Winterspiele in Deutschland durchgeführt werden könnten. Bis Ende 2023 soll dann aus den diversen Szenarien eine konkrete Konzeption erarbeitet werden, über die auf der Mitgliederversammlung 2023 abgestimmt werden soll.
All diese Maßnahmen finanziert der DOSB aus eigenen Mitteln, knapp eine Million Euro stehen zur Verfügung. Der Dachverband will eine "Stabstelle Olympiabewerbung" einrichten. Fünf Stellen sind im Personalplan für 2023 bereits eingeplant.
Wie könnte ein Olympia-Konzept für Deutschland aussehen?
Der DOSB möchte Spiele, die "allerhöchsten Ansprüchen in Bereichen wie Menschenrechten, Diversität und Nachhaltigkeit genügen". Das hat der DOSB-Vorstandsvorsitze Torsten Burmester im August auf einer Veranstaltung des SID versprochen. Es sei "unabdingbar", dass dafür "zu 100 Prozent" auf bestehende Stadien und Hallen zurückgegriffen werden müsse.
Keine deutsche Stadt kann unter diesen Bedingungen alleine Sommerspiele durchführen. In Hamburg und der Rhein-Ruhr-Region fehlt zum Beispiel ein Olympiastadion, in München ein olympiataugliches Schwimmbecken. Auch in Berlin gibt es nicht für alle Sportarten die entsprechenden Sportstätten.
Das bedeutet, dass sich sehr wahrscheinlich mindestens zwei Städte und Regionen bewerben müssten - und das aus dem Duo München und Berlin mindestens eine Stadt mit Olympiastadion dabei sein müsste.
Auch Winterspiele müssten in verschiedenen Kommunen ausgetragen werden - angesichts der Klimakrise ist aber unwahrscheinlich, dass Deutschland nachhaltige Spiele im Winter ausrichten kann.
Wie reagieren mögliche Austragungsorte auf die Pläne des DOSB?
Anders als bei vorherigen Bewerbungen will der DOSB einen nationalen Konkurrenzkampf zwischen einzelnen Städten vermeiden. Der Verband will stattdessen das Konzept gemeinsam mit den interessierten Städten und Regionen erarbeiten.
"Wir wissen, wer Interesse hat, und prüfen sehr genau, wer geeignet ist", so Stephan Brause, der als Leiter des DOSB-Vorstandsbüros für den Prozess verantwortlich ist, gegenüber dem SID. Es habe schon Gespräche mit möglichen Ausrichtern wie München, Hamburg, NRW oder einer Privatinitiative in Thüringen gegeben.
Auf Deutschlandfunk-Anfrage unterstützen die Städte und Regionen das Vorgehen des DOSB. "Wir begrüßen es, dass der DOSB einen ergebnisoffenen Dialogprozess anstoßen will", schreibt zum Beispiel der Hamburger Innensenat. Hamburg werde den Prozess konstruktiv begleiten. Ähnlich positiv äußert sich auch Michael Mronz, der mit seiner Rhein-Ruhr-Initiative seit Jahren an einer Olympia-Bewerbung arbeitet.
"Berlin sieht eine Bewerbung als nationale Aufgabe und wird sich in die Gespräche dazu einbringen", heißt aus dem Innensenat in Berlin. Ein Treffen zwischen DOSB und Vertretern der Stadt ist geplant.
"Sollte es zu einer deutschlandweiten Bewerbung mit dem DOSB als Spitzenverband kommen, wird München dieses Vorgehen sicherlich unterstützen", antwortet auch die für Sport zuständige Münchener Bürgermeisterin Verena Dietl. "Ich könnte mir eine Beteiligung Münchens als möglichen Austragungsort im Rahmen des DOSB Konzepts für eine deutsche Olympiabewerbung sehr gut vorstellen."
Wird es ein Bürgervotum vor einer möglichen Olympia-Bewerbung geben?
Das ist zumindest das Versprechen des DOSB. Vorstandsvorsitzender Burmester hatte dem DLF bereits im August gesagt, dass es ein transparentes Verfahren geben solle, "das Partizipation und Teilhabe gewährleistet und am Ende eine klare plebiszitäre Entscheidung ermöglicht, also Volksbefragung, Bürgerentscheid." Diese Einstellung hat der DOSB in den vergangenen Wochen auch nochmal bekräftigt.
Wie genau ein Votum aussehen könnte, hängt von den beteiligten Kommunen und Bundesländern ab. Als möglichen Zeitraum für ein Bürgervotum peilt der DOSB die zweite Jahreshälfte des Jahres 2024 an. Das Kalkül: Die Bilder von der Fußball-EM in Deutschland und den Sommerspielen von Paris sollen die Erfolgschancen erhöhen.
Die beiden letzten Volksentscheide in München und Hamburg über eine Olympia-Bewerbung waren gescheitert.
Wie realistisch ist eine erfolgreiche Bewerbung?
Der DOSB zeigt sich naturgemäß optimistisch, dass eine Bewerbung zumindest in Deutschland eine Mehrheit finden kann - trotz der Vorbehalte, die es teilweise in der Bevölkerung gibt. Besonders kritisch gesehen wird der Gigantismus der Spiele, dass Sportstätten oft nur für Olympia gebaut werden und die fehlende Nachhaltigkeit.
Durch sein Konzept hofft der DOSB, diese Kritikpunkte auszuräumen. Der Verband muss dabei allerdings einen Spagat schaffen. Denn am Ende muss das Konzept nicht nur in Deutschland verfangen, sondern vor allem das Internationale Olympische Komitee überzeugen, das über die Vergabe bestimmt.
"Deutschland, so ehrlich muss man sein, ist derzeit kein ganz einfacher Markt für das IOC. Olympische Spiele werden von Teilen der Bevölkerung aus unterschiedlichen Gründen kritisch gesehen", sagt Stephan Brause gegenüber dem SID.
Wie kritisch die deutsche Bevölkerung auf internationale Sportveranstaltungen und -verbände blickt, ist auch in den Diskussionen um die Fußball-WM in Katar zu sehen. Für das IOC könnte es in anderen Ländern einfacher sein, Spiele nach seinen Ansichten auszurichten.
Interessenten gibt es genug: Für die nächsten freien Sommerspiele 2036 gibt es bereits diverse Länder und Städte, die grundsätzlich Interesse an einer Austragung bekundet haben, darunter Ägypten, Indonesien und Katar.
Hinzu kommt: Auch wenn mit Thomas Bach ein Deutscher IOC-Präsident ist, ist Deutschland international in der Sportpolitik im Moment nicht genug vernetzt. Im Moment werden zum Beispiel nur zwei olympische Weltverbände von Deutschen geführt.