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Ein Europäer auf der Wartburg

Franz Liszt, vor 200 Jahren im Burgenland geboren, war ein Kosmopolit, der einst mit einer transportablen Klaviatur per Kutsche oder Schiff durch Europa reiste. Ein Teil seiner Tasteninstrumente ist heute noch im Liszt-Haus in Weimar zu sehen. Aber auch in Eisenach war er zu Gast. Auf der Wartburg ließ er sich zu seinem Oratorium zu Ehren der Heiligen Elisabeth inspirieren.

Von Blanka Weber | 11.09.2011
    Wenn Jutta Krauss den Schlüssel im alten eisernen Türschloss der Burg umdreht, betritt sie steinernen Boden. Seit 30 Jahren arbeitet sie auf der Wartburg und erklärt dort den Touristen die Geschichte der Burg:

    "Und dadurch, dass es auch so ein breites Spektrum an Geschichte ist, Elisabeth, Burschenschaft, Historismus, alles in einem, da kann man das Thema wechseln und bleibt an einem Ort und lernt ihn im Laufe der Zeit so richtig gut kennen."

    Ob Sängerkrieg 1206, das Leben der Heiligen Elisabeth um 1220, die Bibelübersetzung von Martin Luther drei Jahrhunderte später oder das Wartburgfest der Burschenschaften 1817: Die Burg ist ein Stück Geschichte.

    Auch Franz Liszt war hier zu Gast. Der damalige Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach war es, der Franz Liszt mitnahm – nach oben zur Burg, der ihn einweihte in seine Umbaupläne des Palas. und ihn befragte, welche Akustik des Festsaales die beste sei. Längst sind nicht alle seine Aufenthalte auf der Wartburg dokumentiert, weiß Jutta Krauss:

    "Er hat sich zweimal ins Gästebuch eingetragen. Einmal 1852 und dann noch mal drei Jahre später. Der Großherzog hatte gerne Gäste, und die lieben Gäste - und dazu gehörte Franz Liszt zweifellos -, die hat er mitgenommen hierher und hat sie an seiner Leidenschaft teilhaben lassen."

    Der Maler Moritz Schwind verewigte Liszt im wallenden olivgrünen Gewand mit Mähne und bewegter Pose – dargestellt als Figur des 13. Jahrhunderts – im großen Fresko zum Sängerkrieg auf der Wartburg. Liszt soll von der Burg und deren Geschichte so fasziniert gewesen sein, dass ihn die Figur der Heiligen Elisabeth inspirierte. Er bewunderte den Maler Moritz Schwind, als dieser die Fresken der Elisabeth Galerie schuf. Bei Liszt entstand die Idee eines Oratoriums von der "Legende der Heiligen Elisabeth".

    "Einmal ist sie Ungarin, Landsmännin und zum anderen hat sie sehr viel Zeit hier auf der Wartburg verbracht und in Marburg, wo er eben auch war und was ihn unheimlich prägte diese Zeit. Das zusammen genommen und seine tiefe Religiosität haben ihn dann zu dem Oratorium, so wie es hier dargestellt ist, gebracht. Es ist genauso strukturiert wie dieser Zyklus. Es sind zwei Teile, jeweils drei Nummern. Und die haben auch fast dieselbe Überschrift wie die Bilder."

    1867 hat Liszt das Oratorium zur 800-Jahrfeier der Burg im Festsaal aufgeführt.

    "Musik, die ans Gebet grenzt" – ist der Titel einer Ausstellung, die bis zum Frühjahr 2012 auf der Wartburg gezeigt wird. Dem tiefreligiösen Komponisten und Pianisten sind zwei Räume mit Bildern, Gegenständen und Schriften gewidmet.

    "Es gibt ein Faktotum hier auf der Burg. Der damalige Burgkommandant Bernhard von Arnswald, thüringischer Uradel und Dienstherr seines Großherzogs, der führte Tagebuch und schrieb auch immer seine Rapporte an seinen Dienstherrn, und darin hat er sich manchmal über Liszt ausgelassen. Nicht immer sehr freundlich. Da muss man sich vorstellen, dass das Eisenacher Städtchen ja noch ein Ideechen kleinbürgerlicher war als der offene Hof - ich sage nicht `die Stadt` in Weimar – die war ja noch kleiner als Eisenach. Aber die Bürger, die in Weimar sehr viel mehr sagen als hier… Eisenach war eben Ackerbürgerstädtchen - bis heute auch geblieben."

    Heute leben 43.000 Menschen in Eisenach, und Weimar ist noch immer viel kleiner. 360.000 Touristen kommen jährlich in die Stadt, um die Wartburg zu sehen und vielleicht auch das Bachhaus.

    Beim Blick in die Stadtgeschichte Eisenachs fällt auf: Es ist Liszt zu verdanken, dass sich die Stadt dem großen Kirchenkomponisten Johann Sebastian Bach im 19. Jahrhundert mehr widmete. Liszt engagierte sich für ein Bach-Denkmal und war Mitbegründer der Bachgesellschaft. Noch heute gibt es das Denkmal und das Bach-Haus am lauschigen Ort. Zu sehen ist dort derzeit keine Ausstellung über Liszt, sein Engagement wird nur am Rande erwähnt. Gezeigt wird eine Schau über Wanda Landowska – eine jüdisch-polnische Schönheit, die als Frau das Cembalospiel kultivierte. Sie lebte 100 Jahre nach Liszt.

    "Ein Europäer in Weimar" ist das Jubiläumsjahr überschrieben. Franz Liszt, geboren im heute österreichischen Raiding – damals war es Ungarn. Rastlos soll er sein Leben lang unterwegs gewesen sein. An mehr als 400 Orten – quer durch Europa - habe er konzertiert, berichten Quellen.

    Beethoven und Bach waren die musikalischen Vorbilder des stark gläubigen Künstlers. Sein Vater war es, der in ihm einst den Bildungsgedanken entfachte, ein Ideal des lebenslangen Lernens.

    "Die Seele eines Musikstückes zu studieren" – war das Credo des ruhelosen Künstlers, der sich selbst bescheiden gab, Höhen und Tiefen erlebte, mit 16 Jahren den Vater verlor und dann einen Weg einschlug, für den er zugleich geliebt und verschmäht worden ist. Ein Europäer, der wieder mehr ins Rampenlicht gehört, sagt auch seine Ur-Urenkelin Nike Wagner:

    "Als Europäer ist er einfach wunderbar. Er überfliegt einfach alle Grenzen. Für das prononciert Nationale hat er gar kein Organ, so scheint es. Aber eben auch die Grenzen musikalischer Formen: Er kommt aus der Wiener Klassik und hat sich fast mit einem akrobatischen Schwung über feste Formen hinweggesetzt und zeigt uns, was alles möglich ist, und reißt uns damit mit."

    Das monumentale Oratorium von Liszt zur Heiligen Elisabeth wird nur selten gespielt. Vielleicht ändert sich das nach dem Themenjahr, sagt Jutta Krauss von der Wartburg. Er muss umwerfend gewesen sein, dieser Liszt. Das geht aus dem Brief einer Sängerin seines damaligen Chores hervor:

    "Und sie schrieb dann, dass es ein atemberaubender Augenblick gewesen sei, das Oratorium an diesem Platz, in diesem herrlichen Saal, und dann stand Liszt vor ihr, riesengroß in diesem Moment, und man musste ihm nur ins Gesicht sehen, um den Ton zu treffen."
    Eine Liszt-Büste steht vor einer Teilkopie des Freskos vom Sängerwettstreit, aufgenommen auf der Wartburg bei Eisenach in der Ausstellung "Franz Liszt und die Wartburg".
    Eine Liszt-Büste steht vor einer Teilkopie des Freskos vom Sängerwettstreit, aufgenommen auf der Wartburg bei Eisenach in der Ausstellung "Franz Liszt und die Wartburg". (picture alliance / dpa)