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Ein Moment kolonialer Demütigung

Der britische Historiker William Dalrymple legt dar, dass etliche ausländische Streitmächte bereits in Afghanistan gescheitert sind. Beispielsweise die Briten im ersten anglo-afghanischen Krieg von 1839 bis 1842, der Afghanistans Ruf als "Friedhof der Großmächte" begründete.

Von Sabina Matthay |
    So irreführend der Titel, so spannend ist dieses Buch: "Return of A King" von William Dalrymple beschreibt die Heimkehr gleich zweier Könige – erst die Wiedereinsetzung des Shah Shuja als britische Marionette auf dem afghanischen Thron, dann die Rückkehr von dessen Vorgänger Dost Mohammad Khan, den die Briten als vermeintlichen Verbündeten des russischen Zarenreichs von der Macht am Hindukusch vertrieben hatten.

    Dazwischen liegt die Geschichte des ersten anglo-afghanischen Krieges von 1839 bis 1842, der Afghanistans Ruf als "Friedhof der Großmächte" begründete.

    "Es war die größte Katastrophe, die das britische Empire je erlebte. Die völlige Vernichtung einer ganzen Armee, der Armee der mächtigsten Großmacht der damaligen Welt."

    Gleich einem Roman beschreibt William Dalrymple, wie das strategische Tauziehen mit Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien und die damit verbundene Angst vor dem Verlust der Kontrolle Indiens die Briten zu einer Invasion verleitet, die sich zunächst erfolgreich anlässt: Ihre Truppen stoßen kaum auf Widerstand, der Machtwechsel in Kabul verläuft nach Plan.

    "Einen ganzen Winter lang gehen die Briten auf die Jagd, laufen Schlittschuh und bewegen ihre Jagdhunde. Doch ein Jahr später sind die Afghanen derart verärgert über die Hurerei und Sauferei und das schlechte Betragen der britischen Truppen in Kabul, dass das ganze Land sich geschlossen gegen sie erhebt."

    Den Briten gelingt es nicht, den Aufstand niederzuschlagen, ihr Gesandter wird ermordet, der Rückzug gerät zum Massaker. Eine britische Strafexpedition befreit die Überlebenden, zerstört Kabul und verlässt Afghanistan nach kurzem, grausamem Wüten. Dost Mohammad kehrt zurück. Die Kosten des Debakels: 50.000 Tote und 15 Millionen Pfund – rund 60 Milliarden Euro nach heutiger Rechnung – allein auf britischer Seite.

    Auf dem Höhepunkt des britischen Empires, als die Briten einen größeren Teil der Weltwirtschaft kontrollierten als jemals danach und als traditionelle Krieger in aller Welt von industriellen Kolonialarmeen massakriert wurden, war dies ein seltener Moment vollständiger kolonialer Demütigung.

    Die Briten hatten sie sich selbst zuzuschreiben. William Dalrymple schildert anschaulich, was der Großmacht zum Verhängnis wurde: eine Verkettung von Unfähigkeit und Überheblichkeit, Vergeudung und Sparsamkeit am falschen Ende. Der Historiker belegt die zutiefst gespaltene Natur des Widerstands anhand zahlreicher, bisher ungenutzter Quellen, darunter afghanische Heldenepen, Hofprotokolle und Shah Shujas Memoiren. Wieder und wieder bestimmen Persönlichkeit, Stammeszugehörigkeit und Zufall die Politik der Afghanen. Erst die Niederlage der Briten schafft ein afghanisches Nationalgefühl.

    "Return of a King" ist Dalrymples drittes Buch über die Briten im Südasien des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts. Wie in "The Last Mughal" und "White Mugals" brilliert er mit seiner Fähigkeit, komplexen historischen Ereignissen Geschichte und Gestalt zu verleihen und so ihre Bedeutung herauszuschälen.

    In Großbritannien wurde das Buch aber vor allem wegen seiner vermeintlichen Relevanz für die Gegenwart gefeiert. William Dalrymple zieht Parallelen zum heutigen Einsatz der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan, dessen zweitgrößter Truppensteller die Briten sind und an dessen Sinn sie längst große Zweifel hegen. Über das Kabul von heute schreibt er:

    Je genauer ich hinsah, desto mehr schien die erste verhängnisvolle Verstrickung des Westens in Afghanistan ein deutlich wahrnehmbares Echo der neo-kolonialen Abenteuer unserer Tage zu enthalten.

    Doch Dalrymple liegt falsch, wenn er die internationale Intervention von 2001 als ebenso unnötig darstellt wie den britischen Überfall 1839. Al Quaidas Schaltzentralen und Ausbildungsstätten in Afghanistan mussten zerstört werden, ihre Gastgeber, die Taliban, waren dazu nicht bereit.

    Der ISAF-Einsatz ist völkerrechtlich legitimiert. Die Aufständischen haben dem Bündnis keine Niederlage beigebracht, die Antagonisten befinden sich in einem Patt. Die Korruption und die Ränkespiele der eigenen Regierung, die Fehlentscheidungen der ausländischen Verbündeten haben das Vertrauen der Afghanen in beide zwar untergraben und dem Aufstand in die Hände gespielt. Doch sind Veränderungen zum Positiven gegenüber den Jahren des Bürgerkriegs und der Taliban-Herrschaft unübersehbar – davon zeugen die Straßen, Schulen, Krankenhäuser, die seit 2001 entstanden sind, ebenso wie die Begeisterung der Afghanen für Internet, Fernsehen und Mobiltelefonie.

    Und so sehr sie auf echte Souveränität für ihr Land dringen, befürworten viele Bürger des Landes eine internationale Truppenpräsenz über 2014 hinaus als Rückversicherung gegenüber den Extremisten. Dem ersten anglo-afghanischen Krieg folgten übrigens zwei weitere, mit denen die Briten letztlich ihr Ziel erreichten: Afghanistan wurde zum Pufferstaat, der der Expansion des Zarenreichs nach Süden Einhalt gebot. Das letzte Kapitel des heutigen Kampfes um Afghanistan ist noch nicht beendet, sein Schluss sollte nicht vorschnell geschrieben werden.

    William Dalrymple: "Return of a King. The Battle for Afghanistan"
    Bloomsbury Publishing, 567 Seiten, 14,85 Euro, ISBN: 978-1-408-82287-6