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Eine gute Zeit - trotz Eiweißquark

Anke Schönfelder blickt differenziert auf ihre Sportlerkarriere zurück: Mit zwölf wurde sie gedopt, vor 20 Jahren gewann sie den Titel bei der ersten gesamtdeutschen Meisterschaft der Turnerinnen in Bergisch-Gladbach. Im Jahr zuvor war sie noch für den SC Dynamo Berlin DDR-Meisterin geworden.

Von Sandra Schmidt |
    "DDR-Meistertitel und erster gesamtdeutscher Titel, das hat ja eine historische Dimension und dafür kann ich original nichts, aber es sind natürlich tolle Titel, die mir viel bedeuten und es war eine wahnsinnig spannende Zeit über die Wende international aktiv zu sein."

    Ende September 1990 ging Anke Schönfelder noch beim letzten Länderkampf der DDR an den Start, nur gut eine Woche später vertrat sie als einzige Turnerin das vereinte Deutschland beim Weltcup in Brüssel. Da war sie gerade 15 Jahre alt geworden. Noch heute schwärmt die Berlinerin von der Atmosphäre bei den Olympischen Spielen in Barcelona 1992. Lachend berichtet sie, wie ihr das Olympische Dorf auch als ein "unvorstellbares Schlaraffenland" vorgekommen war - kein Vergleich mit dem Sportforum in Berlin-Höhenschönhausen.

    1995 beendete Schönfelder ihre Turn-Karriere und begann sogleich eine neue: Zum Abtrainieren ging sie zum Cheerleading Team von Alba Berlin und fand daran Gefallen. Schon bald agiert sie hier nicht nur als Tänzerin, sondern auch als Trainerin.

    "Das Klischee von Cheerleading hierzulande ist ja wirklich: Püschel schwingen und Popo links und rechts."

    Anke Schönfelder arbeitet gegen dieses Klischee: Sie entwickelt ein Nachwuchssystem in Anlehnung an jenes, das sie selbst als Turnerin durchlaufen hatte. In ihrer Zeit bei Alba Berlin gewann das Dance Team zehn deutsche Meistertitel und wurde drei Mal zur Weltmeisterschaft in die USA entsandt.

    Zwischen 1997 und 1999 sammelte Anke Schönfelder Erfahrungen als Cheftrainerin der südafrikanischen und namibischen Turnerinnen. Hier begann sie erst wirklich zu schätzen, was sie in der DDR gelernt hatte:

    "Die haben das 'The Russian System' genannt, dieses Nachwuchssystem, das haben die komplett übernommen. Die haben mir da komplett freie Hand gelassen, die haben gesagt: Sag uns wie's geht, sag uns, was Du brauchst und wir kriegen das hin."

    Im Nachhinein bezeichnet Schönfelder ihre Jahre in Afrika als die "unglaublichste Zeit überhaupt", besonders für ihre persönliche Entwicklung. Sie studierte Afrikanistik und Psycholinguistik und widmet sich heute dem Zusammenhang von Spracherwerb und sportlicher Bewegung.

    Ihre Turnkarriere bewertet sie mit dem Abstand von 20 Jahren nach reiflicher Überlegung positiv, wohl wissend, dass sich das "exotisch" anhören mag:

    "Das ist mein ganz purer Ernst: Ich bin sehr stolz auf meine Turnzeit und habe auch so viele positive Sachen, die ich mitnehme, dass ich ganz, ganz dankbar bin dafür, dass ich die Zeit haben durfte."

    Besonders ihrem damaligen Trainer, Wolfgang Riedel, der ihr auch in einer verletzungsbedingten Krise den Rücken stärkte, zollt Schönfelder großes Lob. Doch ihr ist im Rückblick auch klar, was gefehlt hat in der DDR-Sport-Ausbildung: Zu selbstständigen Entscheidungen, eigenen Positionen und Selbstbewusstsein wurde sie nicht erzogen, das musste sie sich später selbst erarbeiten.

    Was auch bei ihr nicht gefehlt hat, war das Doping. Mitte der 90er-Jahre erhält Anke Schönfelder eine Zeugenvorladung im Rahmen eines Dopingprozesses gegen einen Arzt. Dort erklärt man ihr, dass sie als Zwölfjährige in einer Testgruppe ein verbotenes Mittel erhalten hat. Es sollte dafür sorgen, dass sie nicht so groß wird, wie es die Untersuchungen der DDR-Leistungsdiagnostik errechnet hatten.

    "Ich hab' mich dann natürlich sehr genau an die Zeit erinnert. Es hieß auch, das ist wichtig, das musst Du hier so nehmen, damit kannst Du morgen auch wieder besser trainieren, das ist Eiweißquark, es war ja irgendwie was Gutes."

    Anke Schönfelder begann mit sich zu hadern und machte sich Vorwürfe. Sie erinnert sich an ihre Oma, eine Krankenschwester, die schon damals wissen wollte, was die kleine Anke denn da für Beutelchen mit nach Hause bringt und diese im Krankenhaus untersuchen lassen wollte. Und sie erinnert sich an ihre eigene Reaktion:

    "Ich war total wie eine Furie: Na sag mal, was glaubst denn Du? Was soll denn da drin sein? Die Trainer sagen uns, da sind Vitamine drin, ich brauch' das! Ich fand es unerhört, dass sie hinterfragen könnte, dass da noch was anderes drin ist, als nur Vitamine."

    Die Zeit der Verarbeitung beschreibt Schönfelder heute auch als ihre eigene Wende. Eine Zeit lang fiel es ihr schwer, nicht alles schlecht zu finden, was mit dem Turnen zu tun hatte. Sie wurde damals, als das Dopingmittel im Eiweißquark war, zwar nicht von Wolfgang Riedel betreut, geht aber doch davon aus, dass alle Trainer es wussten. Rund anderthalb Jahre hat sie die Geschichte sehr beschäftigt:

    "Ich habe das für mich klar gemacht, ich habe das verarbeitet und ich habe meinen Frieden gemacht und ich kann für mich sagen, das und das war trotzdem richtig gut und darüber bin ich froh und dafür bin ich dankbar."

    Froh ist sie nicht zuletzt darüber, dass sie keinerlei Schäden davongetragen hat.
    Sie kennt Turnerinnen, deren Erinnerungen alles andere als positiv sind. Eine ihrer besten Freundinnen von damals zum Beispiel: Sie hat es nie zu großen Wettkämpfen geschafft, bekam ebenfalls Dopingmittel und wurde nach einer Verletzung kurzerhand ausgemustert. Obwohl die beiden Jahre gemeinsam in der gleichen Halle verbracht haben, bewerten sie ihre Turnzeit völlig gegensätzlich. Ob sie das nachvollziehbar findet:

    "Absolut! Das kann ich total nachvollziehen, ich wär' die letzte, die da irgendwelche Vorwürfe macht, na Moment mal, beschmutz' mal hier unser Nest nicht, oder wie auch immer, nein gar nicht."