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Enthüllung von Steuertricks
"Vieles ist legal - aber nicht legitim"

Die Enthüllungen rund um die "Paradise Papers" zeigten, dass Unternehmen und Superreiche in der Lage seien, ihrer wahren Steuerlast zu entgehen, sagte der Journalist Georg Mascolo im Dlf. Dies sei möglich durch eine Kombination von sehr schwachen Steuersystemen mit hoch professionellen Beratungssystemen.

Georg Mascolo im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Der Journalist Georg Mascolo als Studiogast in einer Talkshow
    "Ich hoffe, dass dieser Unterbietungswettbewerb der Steueroasen an einem bestimmten Punkt zu einem Ende kommt", sagte Georg Mascolo im Dlf (dpa / Paul Zinken)
    Mario Dobovisek: Nach den "Panama Papers" die "Paradise Papers". Ein Jahr lang recherchierten fast 400 Journalisten in 67 Ländern, deckten auf, wie Superreiche, Mächtige und Firmen weltweit Steuern vermeiden in Milliardenhöhe. Die Spuren führen unter anderem zum US-Handelsminister, zu Altkanzler Gerhard Schröder, zum U2-Musiker Bono, zu Weltkonzernen wie Apple oder Nike. - Am Telefon begrüße ich den Journalisten Georg Mascolo. Er war Chefredakteur des "Spiegel" und leitet jetzt den Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, auf deutscher Seite beteiligt an den Recherchen. Guten Morgen, Herr Mascolo.
    Georg Mascolo: Guten Morgen!
    Dobovisek: Welche Dimension hat die Schattenwirtschaft, über die Sie seit gestern Abend berichten?
    Mascolo: Eine ganz erhebliche. Das wussten wir bereits aus den "Panama Papers", aber auch aus anderen Veröffentlichungen. Was macht jetzt den Unterschied? Vor anderthalb Jahren bei den Panama Papers ging es um eine Firma, wo die Offshore-Industrie sehr schnell sagte, ihr habt euch da mit dem faulen Apfel im Geschäft beschäftigt. Das ist nicht stellvertretend für das, was man in der Offshore-Industrie hat.
    Nun dieses Leck, fast 13,4 Millionen Dokumente, und ganz wesentlich die eine Kanzlei, die von sich selbst sagt, wir sind einer der Marktführer, wir sind die Guten, wir sind die Sauberen, eine Firma namens "Appleby". Aber schaut man in diese Daten, dann sieht man, dass man auch dort Fehlverhalten findet, Steuervermeidung und wiederum eine erstaunlich hohe Anzahl von Superreichen, aber auch von Politikern, die diese Konstrukte nutzen, um Steuern zu entgehen.
    Steueroasen kombiniert mit professionellen Beratungssystemen
    Dobovisek: Was sagt das im Gegensatz zu den "Panama Papers" über die Dimension, über die Tragweite dieser Offshore-Geschäfte, dieser Geschäfte im Ausland mit Steueroasen?
    Mascolo: Als wir in die Recherche eingestiegen sind, haben wir uns an das erinnert, was der amerikanische Präsident Barack Obama damals vor anderthalb Jahren nach der Veröffentlichung der "Panama Papers" gesagt hat. Er hat gesagt, der eigentliche Skandal sind gar nicht die Sanktions- und die Rechtsbrüche, die man findet - auch die findet man jetzt wieder häufig -, sondern er hat gesagt, das wahre Problem bestehe darin, dass ganz vieles von dem legal sei und dass genau darin das Problem bestehe.
    Aus der Kombination von sehr schwachen Steuersystemen, die sogenannte Steueroasen anbieten, dann wiederum kombiniert mit hoch professionellen Beratungssystemen, sind Menschen, sind Firmen in der Lage, sich der Besteuerung zu entziehen, indem sie einfach viele Schwachstellen aneinanderhängen, so lange, bis sie ihrer wahren Steuerlast praktisch entgehen können.
    "Absolute Geheimhaltung existiert so nicht mehr"
    Dobovisek: Schon vor anderthalb Jahren lösten diese Recherchen Ermittlungen in über 70 Ländern aus. Markige Worte von Politikern folgten. Obama haben Sie gerade selber angesprochen. "Wir müssen die Steuerparadiese austrocknen", hieß es immer wieder. Dann wurde es wieder still. Folgten denn auch Taten seitdem?
    Mascolo: Ich glaube, ganz so still ist es gar nicht. Aber ohne Frage: Das ist ja ein Geschäft, das seit Jahrzehnten besteht, und ich glaube, dass auch, sagen wir mal, die Abwicklung dieser Geschäfte - und ich hoffe, dass es dazu kommen wird - einen langen Zeitraum dauern wird.
    Aber schauen wir uns die Geschichte der "Panama Papers an". Gerade erst im Juli hat der oberste Gerichtshof in Pakistan beispielsweise den Premierminister - immerhin der Premierminister einer Atommacht - aus seinem Amt entfernt. Inzwischen läuft eine Korruptionsanklage. Das Bundeskriminalamt hat sich entschlossen, für einen Millionenbetrag aus unbekannter Quelle die "Panama Papers" anzukaufen, um weltweite Strafverfolgung erst möglich zu machen.
    Die Folgen dieser Geschichten entwickeln sich dann doch häufig in anderen zeitlichen Zusammenhängen, als wir das im Journalismus häufig erwarten, dass wir sagen, was passiert denn diese Woche, was passiert nächste Woche. Ich glaube, dass auch die erneuten Veröffentlichungen dazu führen werden, dass das Offshore-System erheblich unter Druck gerät. Denn das, was sie ihren Kunden tatsächlich versprechen, absolute Geheimhaltung, die Dunkelheit, in der diese Geschäfte stattfinden können, ohne dass sie öffentlich bekannt werden und deshalb auch kritisiert und diskutiert werden können, die existiert so nicht mehr, und diese Leaks leisten da einen wesentlichen Beitrag.
    Neues Schlaglischt auf amerikanisch-russisches Verhältnis
    Dobovisek: Welche Beispiele stechen Ihnen bei den neuesten Veröffentlichungen besonders ins Auge?
    Mascolo: Wir haben ja gestern - das hat auch in den USA eine ganz besondere Rolle gespielt - uns beispielsweise mit dem amerikanischen Handelsminister Wilbur Ross beschäftigt, einem der engsten Vertrauten von Donald Trump. Wir alle wissen und kennen aus den Nachrichten die große Diskussion über die Frage des amerikanisch-russischen Verhältnisses. Und nun kommt raus und er hat das ganz offensichtlich dem Kongress verschwiegen, dass er selbst an einer Reederei beteiligt ist, die wiederum mit einem russischen Energiekonzern seit vielen Jahren sehr gute Geschäfte macht, und das ist nicht irgendein Energiekonzern, sondern es ist einer, bei dem Putins Schwiegersohn beispielsweise eine große Rolle spielt. Das ist schon sehr ungewöhnlich.
    Und ebenso ungewöhnlich finden wir, dass ein russischer Starinvestor, der heute im Silicon Valley lebt und vor vielen Jahren viel Geld in Twitter und Facebook gesteckt hat, nicht gesagt hat, dass dieses Geld tatsächlich von einer russischen Staatsbank mitfinanziert wurde und von der Gazprom Investment Holding, um nur zwei Beispiele an diesem Morgen zu nennen.
    "Das empfinden die Menschen nicht als gerecht"
    Dobovisek: Aber auch das ist alles legal, um das festzuhalten.
    Mascolo: Ja, ich glaube, wir kommen zu dem Punkt zurück. Vieles von dem ist tatsächlich legal. Ich würde sagen, deshalb ist es noch nicht legitim. Und für einen amerikanischen Handelsminister gilt nun ganz sicher, dass er seine Beteiligungen, vor allem, wenn es Beteiligungen in Russland sind oder mit russischen Firmen, Geschäfte mit russischen Firmen, dass das etwas ist, was er offenlegen muss. Deswegen ist er ja vom Kongress auch angehört worden. Und in Amerika gibt es nun viel Kritik daran, dass er genau solche Geschäfte, dieses Geschäft nicht benannt hat.
    Dobovisek: Was erwarten Sie, von den einzelnen Konsequenzen der einzelnen Betroffenen abgesehen, insgesamt im Umgang mit Steueroasen zum Beispiel auch mit diesen Briefkastenfirmen?
    Mascolo: Ich hoffe und erwarte, dass es dazu führen wird, dass mehr und mehr Firmen darüber nachdenken, ob sie tatsächlich ein System wählen, das inzwischen häufig und, wie ich finde, zurecht kritisiert wird. Niemand hat etwas dagegen, wenn Firmen beispielsweise viel Geld verdienen und auch entsprechende Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten. Aber dass sie sich im Grunde ein System aussuchen, in dem sie der Besteuerung ganz weitgehend entgehen, das kann nicht gerecht sein. Das empfinden die Menschen nicht als gerecht.
    Ich hoffe, dass dieser Unterbietungswettbewerb der Steueroasen an einem bestimmten Punkt zu einem Ende kommt und Firmen, vor allem multinational agierende Firmen sich entscheiden, gerechte Steuern zu bezahlen.
    Dobovisek: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat gesagt, der Kampf gegen Steueroasen sei wie der Kampf gegen eine Hydra: Schlägt man den einen Kopf ab, wachsen ganz viele neue nach. Werden Sie in anderthalb Jahren spätestens wieder Post erhalten aus unbekannter Quelle mit wieder Millionen Dokumenten?
    Mascolo: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann nur hoffen, dass es solche Post weiter geben wird. Wenn sie bei uns ankommt, freue ich mich ganz besonders. Aber auch jeder andere, der diese Form von Berichterstattung abliefert, das wäre etwas, was uns hoch willkommen wäre.
    "Einem globalen Problem eine globale Recherche entgegensetzen"
    Dobovisek: Wie sind Sie mit dieser Datenmenge umgegangen, Millionen an Dokumenten, viele Terrabyte an Daten?
    Mascolo: Wir haben oder die Süddeutsche Zeitung, der wir das Material ja verdanken, hat sich so wie schon bei den Panama Papers oder auch bei dem Projekt Luxleaks - das kam nun anders zustande -, haben wir uns entschieden, einem globalen Problem eine globale Recherche entgegenzusetzen. Das ist ja ausgesprochen kompliziert auch in diesem Fall, muss man sagen. Wir reden über fast 13,4 Millionen Dokumente. Und es ist auch wichtig zu sagen, dass nur der geringste Teil davon ja tatsächlich öffentlich wird, Teil der Berichterstattung wird.
    In jedem einzelnen Fall prüfen wir, gibt es ein öffentliches Interesse, gibt es ein Berichterstattungsinteresse. Auch in diesem Fall war es wieder sehr gut, viele erfahrene Kollegen, die New York Times beispielsweise an Bord zu haben und diese Recherchen gemeinsam voranzutreiben. Wir tauschen uns dann über einen langen Zeitraum eng aus, sprechen darüber, was gehört veröffentlicht, was gehört weiter unter Verschluss.
    Dobovisek: Der Journalist Georg Mascolo. Er leitet den Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Gemeinsam mit vielen anderen Reportern hat er die sogenannten "Paradise Papers" aufgedeckt. Ich danke Ihnen, Herr Mascolo.
    Mascolo: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.