Dienstag, 30. April 2024

Archiv


"Er wollte also mit dem Evangelium auf die Menschen zugehen"

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil war es Papst Johannes XXIII. vor genau 50 Jahren gelungen, einen neuen Reformgeist in die katholische Kirche zu bringen. Inzwischen hätten aber konservativ-reaktionäre Kräfte den päpstlichen Absolutismus wiederhergestellt, sagt der Kirchenhistoriker Rudolf Lill.

Rudolf Lill im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.10.2012
    Tobias Armbrüster: Papst Johannes der XXIII. war das im Oktober 1962. Heute vor ganz genau 50 Jahren hat im Vatikan das Zweite Vatikanische Konzil begonnen. Diese Zusammenkunft von 2500 Glaubensvertretern aus aller Welt gilt nach wie vor als eins der wichtigsten Ereignisse innerhalb der katholischen Kirche in den letzten Jahrhunderten. Wichtig ist diese Zusammenkunft gewesen vor allem wegen der einschneidenden Veränderungen, die dabei beschlossen wurden und über die bis heute gestritten wird. - Bei uns im Studio ist jetzt der Kirchenhistoriker Professor Rudolf Lill, er hat lange Jahre an den Universitäten Bonn und Karlsruhe gelehrt und er hat das Zweite Vatikanische Konzil damals genau verfolgt, er war nämlich selbst in Rom, im Vatikan dabei. Guten Morgen, Herr Lill.

    Rudolf Lill: Guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Lill, was war die Sicht damals vor 50 Jahren? War das so das Motto, wir erfinden die Kirche, die katholische Kirche jetzt noch einmal völlig neu?

    Lill: Nein, das keineswegs. Aber in der Rede, die Sie eben zitiert haben, hat vor genau 50 Jahren Johannes der XXIII. seine Absichten sehr deutlich ausgesprochen. Anders als seine Vorgänger richtete er sich nicht gegen Dissidenten oder Kirchenfeinde. Er betonte, dass die alten Wahrheiten erhalten, aber in neuer Weise so verkündet werden müssten, dass die Menschen von heute sie verstehen. Er wollte also mit dem Evangelium auf die Menschen zugehen. Er sagte dazu, dass die Kirche barmherzig sein müsse, was sie längst nicht immer gewesen war, und er warnte auch in dieser Ansprache am 11. Oktober vor den sogenannten Unglückspropheten, das heißt vor den rechten reaktionären Kräften, die es damals wie heute in der katholischen Kirche gab, die eben vor dem Konzil warnten und die sagten, nein, nein, es soll alles so bleiben, wie es ist, der päpstliche Primat, die lateinische Liturgie und das römisch-zentralistische Kirchenreich sind die Fundamente unserer Kirche, und daran wollte Johannes etliches ändern.

    Armbrüster: Das kann man dann aber wahrscheinlich aus Sicht von heute sagen, das ist ihm nicht ganz gelungen. Die Reaktionären haben die Oberhand gewonnen in den letzten Jahrzehnten.

    Lill: Sie haben weithin gewonnen. Nun ist das ein langer historischer Prozess, der übrigens viel besser erforscht ist, als die Gegner des Konzils wahr haben wollen. Die Tagebücher Johannes des XXXIII., in denen man eigentlich Tag für Tag seine Wünsche, Absichten, Ziele verfolgen kann, auch seine Mitarbeiter kennenlernen kann, unter den Deutschen etwa Augustin Bea, die werden ja von der offiziellen Kirchenpresse totgeschwiegen. Davon hört man fast nichts. Man könnte sagen, dass zunächst die Wirkung sehr groß war und auch weit über die katholische Kirche hinausgegangen ist, dass eben die katholische Kirche sich präsentierte mit diesem Konzil und mit diesem Papst als eine Kraft nicht einfach mehr des Bewahrens, sondern der Reform aus historischer Reflexion, und zwar Reform auf fast allen Gebieten des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Struktur, mit den Konsequenzen auch der Öffnungen zu anderen Konfessionen. Johannes hatte schon 1960 das neue Sekretariat für die Einheit der Christen gegründet und den Deutschen Augustin Bea an dessen Spitze gestellt, und dieses Einheitssekretariat ist in den folgenden Jahren der Vorbereitung geradezu ein Gegengewicht gegen die konservative Glaubenskongregation, damals noch Heiliges Offizium genannt, geworden. Das heißt, die Glaubenskongregation damals unter Ottaviani, 20 Jahre später unter Joseph Ratzinger, war immer das Bollwerk des Beharrens.

    Armbrüster: Und wann haben diese Kräfte dann die Oberhand gewonnen nach dem Konzil?

    Lill: Auch das kann man nicht auf ein Datum festlegen. Ich muss übrigens hinzufügen: Obwohl ich es von außen ja miterlebt habe, berichte ich jetzt mehr aus der Forschung über das Konzil, die ich mitverfolgt habe. In den 70er-Jahren ist der Umbruch erfolgt. In den 60ern hat er sich schon angedeutet. Aber vielleicht muss man damit beginnen, dass schon Paul der VI., der Nachfolger Johannes des XXIII., erhebliche Konzessionen an die Traditionalisten gemacht hatte, um Brüche zu vermeiden. Ich brauche nur an die Enzyklika Humanae Vitae zu erinnern. Aber nach dem Tode Pauls des VI., als in der Kirche 1978 die große Unruhe ausgebrochen war, die sich mit den gesellschaftlichen Unruhen der Zeit verband, da hat sich wohl eine rechte Gruppierung im Kardinalskollegium durchgesetzt, ...

    Armbrüster: Also mit Johannes-Paul dem II.?

    Lill: Ja. Der trat zwar einerseits als der große Erneuerer auf, konnte die Menschen sehr gut ansprechen, ein charismatischer Redner und Überzeuger, aber er war damals schon dem allmählich erstarkenden Opus Dei eng verbunden und er wollte und die, die ihn wählten - darunter waren Ratzinger und der Kölner Kardinal Höffner, während deren Vorgänger Frings und Döpfner ja Konzilsbischöfe gewesen waren -, die ihn wählten wollten, dass das Konzil auf einer gewissen Linie festgehalten würde, dass jetzt mit den Reformen mal Schluss sein müsse und dass so viel wie möglich von dem alten Zentralismus wiederhergestellt würde, und das ist dann 1983 im neuen Kirchenrecht, im neuen Codex Iuris Canonici erfolgt.

    Armbrüster: Und kann man dann sagen, dass diese Strömung, dass Johannes Paul der II. und Joseph Ratzinger jetzt, dass die die Macht in der katholischen Kirche sozusagen auf Generationen für sich abonniert haben?

    Lill: Das kann ich nicht voraussagen. Ich kann nur beobachten, dass seit Beginn der 80er-Jahre mit den Stichdaten Herbst 78, die Wahl Johannes-Pauls des II., 1983 dieser Codex Iuris Canonici, den Johannes ganz anders konzipiert hatte, nämlich als Realisierung des Konzils, der aber nun zum Teil gegen das Konzil geschrieben wurde, dass damit ein Prozess begonnen hat, in dessen Verlauf der päpstliche Primat, ja der päpstliche Absolutismus voll wiederhergestellt worden ist und eine rigide Personalpolitik geführt worden ist, die entgegen den Wünschen des Konzils, dass Bischöfe und Gemeinden sich an der Auswahl ihrer Hirten beteiligen sollten, die dafür gesorgt hat, dass überall nur ganz linientreue, romtreue, konservativ-reaktionär gesinnte Männer zu Bischöfen gemacht wurden. Und damit ist durch eine internationale reaktionäre Gruppierung am Anfang ist die gesamte Kirchenleitung auf einen Kurs festgelegt worden, der zumindest, was Kirchenstruktur und Liturgie angeht, nicht dem Konzil entspricht.

    Armbrüster: Dann können wir sagen nach 50 Jahren, das Zweite Vatikanische Konzil ist gescheitert?

    Lill: Nein! So weit darf man nicht gehen. Es ist ja vieles geblieben. Die sogenannten Außenwerke sind geblieben, der Einsatz für Menschenrechte, die Anerkennung der Religionsfreiheit, die Verständigung mit den Juden. Das sind ja alles große Themen, die damals durch Johannes und seine Mitarbeiter angestoßen worden sind. Innerhalb der Kirche ist ja im Wesentlichen die Liturgiereform geblieben, die ein vollkommen neues Kirchen- und Liturgieverständnis gebracht hat. Die Liturgie in der Sprache der Menschen, Wortgottesdienste, die ja auch einen ökumenischen Charakter haben, die ja von Nichtkatholiken mit beteiligt werden können und die umgekehrt auf evangelische Formen hin verweisen, das ist alles geblieben. Auch die großen Lehraussagen werden zwar gelegentlich in Zweifel gezogen, aber was gerade den päpstlichen Primat und den Zentralismus angeht, so ist er voll wiederhergestellt worden, und dann versucht ja gerade Benedikt, auch die Liturgie wieder mit alten Elementen zu durchsetzen.

    Armbrüster: Der Kirchenhistoriker Rudolf Lill heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Heute vor genau 50 Jahren wurde in Rom das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet. Besten Dank, Herr Lill, dass Sie zu uns gekommen sind heute Morgen und sich die Zeit genommen haben.

    Lill: Bitte sehr.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.