Dienstag, 30. April 2024

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EU-Waffenembargo nach Fall Khashoggi
"Saudi-Arabien kann es sich nicht leisten, zum Paria zu werden"

Ein EU-Waffenembargo werde die "Arroganz durchlöchern, mit der die Saudis bisher meinten, sie könnten sich alles erlauben", sagte der Europaabgeordneter Reinhard Bütikofer zu einem Vorschlag Österreichs. Mehrere Gründe sprächen für die Wirksamkeit eines Embargos, sagte der Grünen-Politiker im Dlf.

Reinhard Bütikofer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 26.10.2018
    Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman im November 2016.
    "Mord, Totschlag, Millionen Menschen im Jemen dem Hungertod aussetzen" - für Reinhard Bütikofer Ausdruck saudi-arabischer Arroganz (picture alliance / AFP / Fayez Nureldine)
    Jasper Barenberg: Klartext jedenfalls vom amerikanischen Präsidenten. Es wäre für uns nicht hilfreich, so Donald Trump, eine solche Bestellung abzusagen. Waffen im Wert von 110 Milliarden Dollar haben die Saudis in den USA geordert und Donald Trump will nicht darauf verzichten, bei so vielen Arbeitsplätzen in dieser Branche. In Berlin dagegen hat sich nach dem Mord an Kashoggi inzwischen das gesamte Kabinett verpflichtet, vorerst keine weiteren Geschäfte mit Saudi-Arabien zu genehmigen. Und geht es nach Österreich, sollte das auch für alle EU-Staaten gelten, und zumindest die Abgeordneten im EU-Parlament sehen das in ihrer Mehrheit ganz genauso.
    Am Telefon ist Reinhard Bütikofer, Europaabgeordneter der Grünen, einer von zwei Vorsitzenden, außerdem der Europäischen Grünen-Partei. Schönen guten Tag, Herr Bütikofer.
    Reinhard Bütikofer: Ich grüße Sie, Herr Barenberg.
    Barenberg: Kann man unterm Strich sagen: Schöne Idee; schade, dass sie keine Chance hat?
    Bütikofer: Überhaupt nicht! Ich glaube, was wir gerade erleben ist, dass in einer Frage von zentraler Bedeutung für die Orientierung der europäischen Außenpolitik Europa zu einer gemeinsamen Sprache findet. Lange Zeit war das Europäische Parlament weitgehend allein mit der Forderung eines Waffenexportstopps nach Saudi-Arabien. Seit Februar 2016 haben wir das gefordert. Jetzt die österreichische Ratspräsidentschaft zu hören, jetzt zu hören, dass auch die Bundesregierung sich dafür einsetzt, das nehme ich als Signal, dass die richtige Idee anfängt, sich durchzusetzen.
    Manchmal dauert es in Demokratien lange, bevor sie begreifen, dass sie einer zentralen, einer fundamentalen Herausforderung gegenüberstehen. Und ich hoffe, dass die Stimmen, die jetzt immer noch nicht mit wollen, wie zum Beispiel die spanischen Sozialisten – das ist wirklich kein Ruhmesblatt in der Geschichte des Sozialismus -, dass die sich doch noch mal umorientieren.
    "Es gibt auch ganz brutal offene zynische Stellungnahmen"
    Barenberg: Wie sollte das möglich sein, wo der spanische Ministerpräsident ja darauf verweist, dass es in seinem Land um strukturschwache Gegenden geht, um Arbeitsplätze? Wir kennen dieses Argument und es zählt offenbar auch in Frankreich, wie wir gerade gelernt haben, wo man ja auch noch nicht herausrückt mit der Sprache, ob es auch um Waffenlieferungen gehen darf. Wie diese Länder überzeugen? Großbritannien könnte man noch dazu nehmen.
    Bütikofer: Ja, es gibt auch ganz brutal offene zynische Stellungnahmen wie vom Präsidenten des französischen Unternehmerverbandes MEDEF, der faktisch sagt, Menschenrechte sind mir schnurz piep egal, ich will Geschäfte machen. Wenn man ins Volk reinhört, ist die Stimmung anders. Es gibt eine aktuelle Umfrage, die zum Ergebnis kommt, dass nur 15 Prozent der Bundesbürger der Meinung sind, dass man Wirtschaftsinteressen hier, konkret in dem Zusammenhang gefragt, über die Menschenrechte stellen soll. Eine große Mehrheit ist der Meinung, die das Europäische Parlament auch hat.
    Der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen) Sauer/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
    EU-Waffenembargo - für Reinhard Bütikofer ein "Signal, dass die richtige Idee anfängt, sich durchzusetzen" (dpa-Zentralbild/Stefan Sauer)
    Natürlich ist es dann nicht ganz einfach, Einzelne zu überzeugen, die da zögerlich sind. Aber im europäischen Geschäft geht es ja so: Jeder braucht jeden anderen. Wer in der Situation meint, er könne nur selbstsüchtig auf die eigenen parteipolitischen Interessen schauen - den Sozialisten geht es ja in Wirklichkeit um ihre wachsenden Umfrageergebnisse in Spanien -, der würde sehr kurzfristig denken und möglicherweise später das Echo ernten. Ich hoffe, dass die hohe Vertreterin und Kommissionsvizepräsidentin Mogherini die richtigen Worte finden wird, um ihre südeuropäischen sozialistischen Freunde zu überzeugen.
    "Wir brauchen eigentlich längst ein Rüstungsexport-Kontrollgesetz"
    Barenberg: Deutschland sehen Sie da durchaus in einer Art Vorbildrolle, wenn ich Sie richtig verstehe?
    Bütikofer: Das würde ich jetzt nicht sagen, weil immerhin die Österreicher zum Beispiel seit 2015 schon nichts mehr geliefert haben an die Saudis. Da sind die vorbildlicher als wir. Aber dass die Bundesregierung sich da bewegt, finde ich gut. Ich denke nicht, dass das reicht. Ich denke, wir müssen auch eine gründlichere Debatte führen. Ich denke, wir müssen eine Debatte führen, dass wir eigentlich längst ein Rüstungsexport-Kontrollgesetz brauchen. Aber für den aktuellen Fall zähle ich jetzt die Bundesregierung auf die Seite derer, die nicht zur Tagesordnung übergehen wollen, und das begrüße ich sehr.
    Barenberg: Wenn Sie ein Rüstungskontrollgesetz auf europäischer Ebene ins Spiel bringen, dann lassen Sie uns kurz über die Regeln reden, so wie sie im Moment sind. Da heißt es, es gibt nur eine gemeinsame Erklärung, wenn ich das richtig verstanden habe, aus dem Jahr 2008, wo alle daran erinnert werden, dass man bei Waffenexporten jetzt schon verpflichtet sein soll, etwa die Menschenrechtslage in den Exportländern zu berücksichtigen. Das ist aber ein Papiertiger bis zum heutigen Tage, oder wie würden Sie das beurteilen?
    Bütikofer: Das ist solange ein Papiertiger, wie der politische Wille fehlt. Es gibt acht gemeinsame Grundsätze der Rüstungsexportpolitik, bei denen die Gesichtspunkte, die Sie gerade nennen, auch formuliert sind. Wenn sich ein einzelnes Land nicht daran hält, gibt es keine Sanktionsmechanismen, und das hat damit zu tun, dass das nach wie vor keine europäische Zuständigkeit ist, sondern einzelne staatliche Zuständigkeit. Da entscheidet jede Regierung für sich.
    Barenberg: Aus Ihren Augen sollte es eine europäische Zuständigkeit werden?
    Bütikofer: Irgendwann mal sollte es eine werden. Aber das ist nicht die vordringliche Debatte. Wir müssen jetzt handeln und jetzt kann das nur dadurch gelingen, dass die Mitgliedsstaaten sich gemeinsam gegenseitig überzeugen, dass hier Europa mit einer Stimme sprechen muss.
    "Saudi-Arabien ist auf diese Waffenexporte angewiesen"
    Barenberg: Das wäre dann so etwas wie eine gemeinsame Erklärung im Rat? Oder wie müssen wir uns das vorstellen?
    Bütikofer: Ja. Frau Mogherini könnte das, sollte das auf die Tagesordnung setzen. Und wenn die Mitglieder im Rat sich dann darauf verständigen, dann ist das das, was im Moment erreichbar ist.
    Barenberg: Eine solche Erklärung und möglicherweise dann tatsächlich ein Waffenembargo, was würde das ändern?
    Bütikofer: Es würde erst einmal diese Arroganz durchlöchern, mit der die Saudis offensichtlich bisher meinen, sie könnten sich alles erlauben: Mord, Totschlag, Millionen Menschen im Jemen dem Hungertod aussetzen, ohne dass die Weltöffentlichkeit reagiert. Das würde sich ändern. Sie müssten mit anderen Reaktionen rechnen. Sie könnten nicht weiter darauf setzen, dass der Westen, dass Europa zufrieden ist, wenn nur die Geschäfte flutschen, und ansonsten ist alles egal.
    Zweitens ist ja Saudi-Arabien auf diese Waffenexporte angewiesen. Sie würden das ja nicht importieren, wenn sie das selber bauen könnten. Ihre Fähigkeit, den Krieg im Jemen, die Blockadepolitik gegen den Jemen fortzusetzen, wird natürlich massiv beeinträchtigt, wenn wir ihnen dafür die Hilfsmittel nicht mehr liefern. Wenn wir ihnen auch nicht mehr die Überwachungsinstrumente liefern, mit denen sie im Innern die Unterdrückung jeglicher demokratischen Regungen organisieren. Das heißt, wir schwächen sie schon materiell dabei. Und ich glaube, ein Land wie Saudi-Arabien kann es sich nicht leisten, zum Paria der internationalen Politik zu werden. Auf dem Weg sind sie gerade.
    Kehrtwende auch in der amerikanischen Politik möglich
    Barenberg: Allerdings gibt es noch die USA, beileibe der wichtigste Partner Saudi-Arabiens, und die klare Ansage nach Lage der Dinge heute, dass man dort an den Rüstungsgeschäften festhalten will. Donald Trump sieht ja Saudi-Arabien als wichtigen Partner auch in der gesamten Region. Würde da dann wieder dieses zynische Argument gelten, wenn, sagen wir, die Europäer sich aus dem Spiel nehmen, dass dann die USA einspringen?
    Bütikofer: Ich sehe das in den USA ein bisschen anders. Das was Sie da parieren, stimmt für den Präsidenten. Es stimmt für seine Administration. Es stimmt bis jetzt nicht für den Senat. Aus dem Senat gibt es Stimmen aus beiderlei Fraktionen, die sagen: Das werden wir nicht hinnehmen, wir werden nicht das Spiel spielen, das Trump spielen will. Im Übrigen - das ist vielleicht als faktischer Hinweis hilfreich: Die 110 Milliarden, mit denen Trump da aufschneidet, sind auch nicht wirklich Realität. Es ist eine zugesagte Größe, die sich bis jetzt überhaupt nicht realisiert. Deswegen ist möglicherweise dort auch die Chance, aus dem Senat heraus, aus dem Abgeordnetenhaus heraus eine Kehrtwende der amerikanischen Politik zu organisieren, nicht ganz so unrealistisch, wie es scheint, wenn man nur auf Trump hört.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.