Samstag, 20. April 2024

Corona-Pandemie
Welche Maßnahmen der Expertenrat für den Herbst empfiehlt

Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung geht davon aus, dass bei einem günstigen Verlauf der Pandemie im Herbst ein Strategiewechsel möglich ist: Schutz von vulnerablen Gruppen statt genereller Eindämmung. Man müsse sich aber auch auf gefährliche neue Virusvarianten vorbereiten.

29.06.2022
    Ein Mann trägt eine FFP-2-Maske in der Hand.
    Eine Maskenpflicht könnte aus Sicht des Expertenrates im Herbst erneut notwendig werden (picture alliance/dpa/Sebastian Kahnert)
    Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hat am 8.6.2022 seine Empfehlungen für den Umgang mit der Pandemie im Herbst und Winter vorgelegt. Die Expertinnen und Experten erwarten eine erhebliche Belastung des Gesundheitssystems und der für Bevölkerung und Staat kritischen Infrastruktur.
    Wie sich die Infektionslage genau entwickelt, ist natürlich unsicher und hängt von vielen Faktoren ab. Der Expertenrat hat daher drei mögliche Szenarien erarbeitet, auf die sich die Gesellschaft nun vorbereiten solle.
    Die Experten betonen dabei auch, dass die Ausgangslage nicht mit vorherigen Pandemiejahren vergleichbar sei. Es gebe aktuell eine hohe Immunisierung in der Bevölkerung. Diese werde allerdings nachlassen und es sei zudem weiterhin ein großer Anteil der Menschen nicht geimpft.

    Die drei Szenarien für die kalte Jahreszeit

    Günstigstes Szenario – Harmlose Virusvariante dominiert
    Es ist möglich, dass Omikron von einer ungefährlicheren Variante abgelöst wird, also von einer Mutation, die auch bei Älteren nur leichtere Krankheitsverläufe auslöst und Immunisierte kaum noch beeinträchtigt. Die Ansteckungsgefahr wird allerdings nicht abnehmen. Denn die Virusvariante müsste leichter übertragbar sein und auch der Immunisierung besser entkommen, sonst könnte sie nicht dominant werden.
    Stärker eingreifende Infektionsschutzmaßnahmen aufgrund von COVID-19 seien dann nicht mehr oder nur für Risikopersonen notwendig. Ohne Maßnahmen werde es dann auch zu höheren Infektionsinzidenzen durch andere Atemwegserreger kommen. Denn die waren in den vergangenen beiden Wintern niedrig, es werde zu einem Aufholeffekt in der Infektionsimmunisierung kommen. Die Entwicklung könne durch das Tragen von Masken in Innenräumen positiv beeinflusst werden.
    Basisszenario – Omikron-ähnliche Virusvariante dominiert
    In diesem Szenario gehen die Experten davon aus, dass Krankheitslast und Übertragbarkeit ungefähr auf dem Niveau der Omikron-Variante bleiben. Es sei dann über die gesamte kältere Jahreszeit mit gehäuftem Auftreten von Infektionen und Arbeitsausfällen in der berufstätigen Bevölkerung zu rechnen. Die Infektionen würden in mehreren Wellen über mehr als drei Monate hinweg auftreten. Die Intensivmedizin werde dabei moderat belastet werden.
    Nach Ansicht der Expertengruppe könnten dann wegen drohender hoher Arbeitsausfälle flächendeckende Maßnahmen des Übertragungsschutzes (Masken und Abstand in Innenräumen) nötig werden. Aber auch Obergrenzen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen könnten regional nötig werden.
    Ungünstigstes Szenario – Gefährlichere Virusvariante dominiert
    Die Experten halten es für möglich, dass im Herbst eine neue Virusvariante dominieren wird, die leichter übertragbar ist und schwerere Krankheitsverläufe auslöst. Auch Geimpfte mit Risikofaktoren wie Alter, Schwangerschaft, Grunderkrankungen oder Immunsuppression könnten ohne Zusatzimpfung einen schwereren Verlauf entwickeln. Das Gesundheitssystem werde dann durch COVID-19-Fälle auf den Intensiv- und Normalstationen stark belastet sein.
    Wenn die Nachimpfung gefährdeter Gruppen nur langsam gelinge, müsse man dann Kontaktbeschränkungen einführen, um regionale Überlastungen des Gesundheitssystems zu verhindern. Auch allgemeine Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht und Abstandsgebot würden notwendig und könnten wohl erst im Frühjahr 2023 zurückgenommen werden.

    Rechtliche Grundlagen schaffen, Regeln kommunizieren, Behandlung verbessern

    Unabhängig von den drei Szenarien empfiehlt der Expertenrat einige Vorbereitungen und Anpassungen. Es brauche eine solide rechtliche Grundlage für Infektionsschutzmaßnahmen wie Maskenpflichten oder Test- und Hygienekonzepten, schreiben die Experten. Diese müssten jetzt vorbereitet werden.
    Außerdem solle es künftig eine zentrale Koordination der Maßnahmen geben, die bundesweit möglichst einheitlich und schnell kommuniziert werden müssten. Gute Kommunikation sei für den Erfolg von Maßnahmen absolut entscheidend.
    Der Expertenrat hat zudem auch Vorschläge zur besseren Versorgung von Corona-Patienten vorgelegt. Es brauche schnellere Zugänge für antivirale Therapien, insbesondere im ambulanten Bereich. Außerdem soll das Kleeblattkonzept, mit dem Patienten zwischen Bundesländern verlegt werden können, verstetigt werden.

    Kinder besonders schützen

    Das Wohl von Kindern müsse bei allen Entscheidungen prioritär berücksichtigt werden. Insbesondere die soziale Teilhabe von Kindern durch Schul- und Kitabesuch sowie sportliche und kulturelle Aktivitäten müsse sichergestellt werden. Kinder, insbesondere aus sozial benachteiligten Gruppen, dürften nicht unter Maßnahmen leiden.

    Wer hat zukünftig Anspruch auf einen Test?

    Nach aktueller Lage zahlt der Staat noch bis Ende Juni Bürgertests – geht es nach dem Expertengremium, sollten diese auch darüber hinaus angeboten werden. Zwar soll es weiter ein breites Angebot an Testmöglichkeiten geben, doch haben die Gesundheitsminister von Bund und Länder beschlossen, dass die Bürgertest mit dem 30. Juni 2022 drei Euro kosten.
    Bei stabiler Infektionslage sollen die Tests auf symptomatische Fälle, begründete Verdachtsfälle sowie auf den Schutz von Risikogruppen begrenzt werden. Für Krankenhäuser und Pflegeheime schlägt der Rat ein regelmäßiges Screening auf Corona- und Grippeviren vor. Die Testinfrastruktur für die allgemeine Bevölkerung solle allerdings schnell reaktivierbar sein, denn das könne im Herbst nötig werden.

    Wie soll die Impfkampagne nochmal Fahrt aufnehmen?

    Anfang Juni 2022 haben knapp 76 Prozent der Deutschen die Grundimmunisierung durch Impfungen erhalten. Fast 60 Prozent haben zudem eine erste Boosterimpfung bekommen, etwas mehr als sechs Prozent haben schon zwei Boosterimpfungen in Anspruch genommen.
    Impfungen sind aus Sicht der Experten weiterhin die wichtigste Maßnahme zur Prävention. Sie schlagen daher mobile Impfteams vor, die potenzielle Impflinge aktiv aufsuchen sollen. Außerdem sollen die Impfzentren im Stand-by-Betrieb erhalten bleiben, damit sie bei Bedarf schnell reaktiviert werden können. Zudem solle an Schulen aufgeklärt werden.