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Fall Skripal
"Warnsignal, wie stark sich Russland im Verhältnis zum Westen fühlt"

Die ersten Sanktionen Großbritanniens gegen Russland im Fall des vergifteten Ex-Spions Skripal täten Moskau nicht weh, meint Jan Techau. Der Europaexperte sagte im Dlf, der Fall bedeute gleichzeitig "höchste Alarmstufe" für alle anderen Europäer.

Jan Techau im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Die Polizisten in leuchtgelben Warnwesten sind unscharf im Vordergrund zu sehen. Im Hintergrund ein gelb-weißes Zelt, das über den Tatort gespannt wurde und das von blau-weißem Absperrband umgeben ist.
    Ein Polizist und eine Polizistin stehen vor dem abgeriegelten Tatort im britischen Salisbury, an dem der russische Ex-Agent Skripal und seine Tochter mit Vergiftungserscheinungen aufgefunden wurden. (AP)
    Tobias Armbrüster: Dieser diplomatische Streit lässt natürlich viele Fragen offen. Ich habe darüber heute Abend kurz vor dieser Sendung mit dem Politikwissenschaftler Jan Techau gesprochen. Er ist ein Kenner der europäischen Beziehungen und Leiter des Europa-Programms beim German Marshall Fund in Berlin. - Schönen guten Abend, Herr Techau.
    Jan Techau: Hallo! Guten Abend.
    Armbrüster: Herr Techau, diese Giftgas-Attacke ist noch nicht zu 100 Prozent geklärt. Trotzdem reagiert die britische Regierung jetzt mit voller Härte. Warum tut sie das?
    Techau: Aus zwei Gründen. Erstens ist es so, dass dieser Kampfstoff, der bei diesem Attentat oder bei diesem Anschlag eingesetzt wurde, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aus Russland stammt und eigentlich nur von dort stammen kann, entweder auf direktem oder indirektem Wege, und dass deswegen die britische Regierung sich sicher genug fühlte, die Russen um Aufklärung, ultimativ um Aufklärung zu bitten, wie dieser Kampfstoff nach Großbritannien kommen konnte.
    Man fühlte sich damit sicher und es ist ja auch ein cleverer Trick gewesen, die Russen um Aufklärung zu bitten und nicht gleich die Anschuldigung zu erheben. Damit fühlte man sich auf der sicheren Seite und die russische Reaktion ist ja auch durchaus dann bemerkenswert gewesen.
    Zweitens, weil Theresa May innenpolitisch enorm unter Druck steht. Sie ist ja ohnehin aufgrund der Brexit-Gemengelage enorm unter Druck, politisch in ihrer eigenen Partei, aber auch sonst, weil die Labour Party sehr stark in den Umfragen dasteht. Sie musste hier Stärke demonstrieren und Entschlossenheit, und da das ja nicht der erste Fall ist in der russisch-britischen Geschichte, war der Druck auf sie umso größer.
    "Russland hat sich eigentlich selber gleich in diese defensive Position hinengebracht"
    Armbrüster: Über Theresa May können wir sicher gleich noch sprechen. Ganz kurz noch vorher: Sie haben gesagt, die russische Reaktion war bemerkenswert. Warum?
    Techau: Na ja, weil hier eigentlich tatsächlich sofort in die Defensive gegangen wurde, statt einen konstruktiven Beitrag zur Aufklärung anzubieten. Das wäre mal eine Art diplomatische Gepflogenheit eigentlich gewesen, denn es kann ja auch nicht im russischen Interesse sein, dass man hier an den Pranger gerät, und dadurch dann auch erst mal Zeit zu gewinnen, indem man sagt, ja, wir helfen mit, wir kooperieren hier.
    Stattdessen hat Russland abgelehnt, überhaupt an der Aufklärung mitzuwirken, und hat sich damit eigentlich selber gleich in diese defensive Position hineingebracht und deswegen eigentlich ohne Not den Druck auf sich selbst erhöht.
    Das Bild zeigt Theresa May, Premierministerin von Großbritannien. Sie spricht im Parlament.
    Theresa May, Premierministerin von Großbritannien, spricht im Parlament. (dpa-Bildfunk / PA Wire)
    Armbrüster: Hat das denn wirklich irgendjemand erwartet, dass Russland sich da kooperativ zeigt?
    Techau: Na ja. Es ist ein bisschen eine Frage, wie man das taktisch spielt. Im Moment erwartet man von Russland insgesamt nicht sehr viel Kooperation, das ist schon richtig. Aber hier haben die Briten ja gerade nicht sofort die Anschuldigung rausgeholt, sondern haben gesagt, dieser Stoff kann eigentlich nur aus Russland kommen. Russland muss diese Stoffe unter Kontrolle haben.
    Wenn das nicht der Fall ist, muss es sich dazu erklären, und wir bitten die russische Regierung darum, dass sie innerhalb der nächsten Tage hier uns hilft bei der Aufklärung. Das ist eigentlich eine Steilvorlage, um diplomatisch in ruhigem Fahrwasser zu bleiben. Die Russen haben hier sofort blockiert und das hätte man aus russischer Sicht sicherlich taktisch auch anders spielen können.
    "Aber das ist natürlich nichts, was Russland wirklich weh tut"
    Armbrüster: Wie hoch auf der Sanktionsskala ist das denn jetzt, wenn man 23 Agenten aus Großbritannien ausweist?
    Techau: Ja, die Zahl 23 ist schon relativ groß. Das hat es seit Jahrzehnten so in dieser Form nicht gegeben. Das ist auf der diplomatischen Skala schon ziemlich hoch. Aber das ist natürlich nichts, was Russland wirklich weh tut. Das ist auch eine Maßnahme, die einen hohen symbolischen diplomatischen Charakter hat, aber richtig schmerzhafte Sanktionen sind das nicht und deswegen hat sich die britische Regierung ja auch eine Reihe weiterer Maßnahmen noch vorbehalten, unter anderem das Einfrieren von russischen Geldbeträgen und so weiter. Dann geht es schon eher ans Eingemachte, aber das ist jetzt in der ersten Welle noch nicht geschehen.
    Armbrüster: Muss Theresa May hier Stärke zeigen, weil sie gerade politisch unter Druck steht?
    Techau: Ja, das ist ihr Dilemma auch. Sie selber hat eigentlich nicht viel Zeit, um in dieser Sache die Luft ein bisschen rauszunehmen und die Eskalation zu vermeiden. Sie muss selber sehr stark auf diese Aufklärung pochen. Sie kann nicht dastehen als schwache Anführerin des Landes.
    Dieser Ruf hängt ihr ohnehin schon an und sie muss eigentlich jetzt jede Baustelle, die sich ihr bietet, um es mal so auszudrücken, dazu zu nutzen, um ihre Stärke zu zeigen.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Jan Techau, Leiter des Europa-Programms beim German Marshall Fund in Berlin (Deutschlandradio / Matthias Dreier)
    "Die Kanzlerin hat sich mit Großbritannien solidarisch gezeigt, aber doch auf sehr verhaltene Weise"
    Armbrüster: Aber kann sie denn als Großbritannien, als britische Premierministerin allein irgendetwas ausrichten, oder ist sie nicht eigentlich darauf angewiesen, dass ihr jetzt die europäischen Partner, zumindest die folgen bei ihrem Sanktionskurs?
    Techau: Das ist ein bisschen ein zweischneidiges Schwert, denn einerseits ist es so, dass bei solchen Krisen, gerade bei solchen Krisen, bei denen es im Kern um Spionage geht, die ungeschriebenen internationalen Regeln vorsehen, dass das als bilaterale Frage behandelt bleibt. Jetzt haben einige andere europäische Spitzenpolitiker, darunter auch die Kanzlerin sich natürlich mit Großbritannien solidarisch gezeigt, aber doch auf sehr verhaltene Weise. Das heißt, das wird zunächst mal betrachtet als britisch-russische Angelegenheit.
    Die Kanzlerin hat zwar angekündigt, dass man auf europäischer Ebene Einigkeit erzielen wird, aber das ist hier nur mit sehr geringem Nachdruck geschehen. Das ist eine Art und Weise, den Fall Out, den Schaden, den dieser Vorfall anrichten kann, in einem gewissen Rahmen zu halten. Wenn sich aber herausstellt und wenn man härtere Beweise hier findet, dann kann das natürlich Kreise ziehen, und dann wird man sehen, inwieweit das noch internationale Folgen hat.
    "Großbritannien wird eigentlich hier von Russland gar nicht richtig ernst genommen"
    Armbrüster: Ich habe mal eine sehr spekulative Frage, Herr Techau. Mal angenommen, es würde hier nicht um das Brexit-Land Großbritannien gehen, sondern um ein anderes EU-Mitgliedsland, sagen wir mal Frankreich oder Italien, wären dann die Solidaritätsbekundungen vollmundiger ausgefallen?
    Techau: Nein, das glaube ich nicht. Hier einen Zusammenhang herzustellen, der unterstellen würde, dass man jetzt etwas weniger solidarisch mit Großbritannien ist, weil es sich aus der EU verabschiedet, das kann in einem solchen Fall keine Rolle spielen und das spielt es auch nicht. Die Sorge über russisches Maddling, wie man sagt, russische Einmischung, und diese russischen Aggressionen, die sich hier auf einer ganzen Reihe von Ebenen abspielen, ist ja überall sehr groß, auch unabhängig von EU-Zugehörigkeit. Das würde ich hier nicht sagen.
    Ich würde eher den Spieß umdrehen. Was man hier sehen kann ist, dass eigentlich Russland, wenn es tatsächlich hinter diesen Anschlägen steckt, und vor dem Hintergrund, dass 2006 ja schon einmal so ein Anschlag in Großbritannien, damals auch sehr skandalumwölbt stattgefunden hat, dann kann man erkennen, dass Großbritannien eigentlich hier von Russland gar nicht richtig ernst genommen wird, und das ist höchste Alarmstufe auch für alle anderen Europäer, die ja tendenziell eher schwächer als Großbritannien sind als Staat selbst. Hier so offen von Russland durch die Hintertür nachgewiesen zu bekommen, dass man als Macht eigentlich gar nicht mehr richtig existiert, das ist natürlich auch zutiefst beschämend und ein Warnsignal, wie stark sich Russland im Moment im Verhältnis zum Westen fühlt.
    Armbrüster: Hier bei uns im "Journal vor Mitternacht" war das Jan Techau, der Leiter des Europa-Programms beim German Marshall Fund in Berlin. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Techau: Ich danke Ihnen sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.