Von einem "D-Day" und einer "offenen Feldschlacht" ist die Rede in einem Strategiepapier der FDP, in dem Szenarien zum Ausstieg aus der Ampelkoalition durchgespielt wurden. Nach der Veröffentlichung des Dokuments sind FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und FDP-Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann zurückgetreten.
Djir-Sarai sagte, er habe "unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert". Er entschuldige sich dafür und übernehme politische Verantwortung, um Schaden von seiner Glaubwürdigkeit und der FDP abzuwenden. Unterdessen gerät Parteichef Christian Linder wegen der Affäre auch in den eigenen Reihen zunehmend in die Kritik. Doch der Ex-Finanzminister macht weiter.
Für die Politologin Ursula Münch hat durch die Affäre vor allem das Vertrauen in die Politik im Allgemeinen Schaden genommen. "Für die normal bis wenig interessierte Wählerschaft bleibt hängen: Es ist, wie es ist - Politiker lügen. Das ist unschön", so Münch. Die FDP hingegen könne fast nicht noch mehr an Vertrauen verlieren, glaubt die Politologin. Die Partei sei allerhöchstens noch bei ihrer Stammwählerschaft angesehen. Derzeit kommt die FDP in Umfragen auf drei bis vier Prozent, muss also um einen Einzug in den Bundestag bangen.
Münch kritisiert auch die Bezeichnung "D-Day". Die Wortwahl sei "extrem unpassend" und zeuge von fehlender historisch-politischer Bildung. Mit dem Begriff wird die Landung der Alliierten in der Normandie während des Zweiten Weltkriegs am 6. Juni 1944 bezeichnet.
Kubicki: Aufregung weitgehend parteipolitisch motiviert
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki fordert unterdessen eine ehrliche Aufarbeitung von Fehlern der Partei im Umgang mit dem "D-Day-Papier". Zugleich kritisiert er die Aufregung über das interne Strategiepapier zum gezielten Austritt der FDP aus der Ampelkoalition.
Diese Aufregung "halte ich für weitgehend parteipolitisch motiviert und für die ersten Schatten eines sehr schmutzigen Wahlkampfes", so Kubicki. "Diese Koalition war in weiten Teilen der Bevölkerung unten durch, wer für das Ende verantwortlich gemacht wird, hat demnach keine Verantwortungslosigkeit, sondern Verantwortung bewiesen."
Viel Zeit, um bis zur Wahl aufzuholen
Im Wahlkampf ist die Affäre für die Partei aktuell ein Rückschlag, glauben politische Beobachter. Ursula Münch: "Die FDP wollte eigentlich in diese neue Bundestagswahl hineingehen mit inhaltlichen Themen. Das ist also gründlich misslungen."
Doch meint die Politikwissenschaftlerin, dass die Liberalen bis zur Bundestagswahl noch eine Chance haben, ihre Umfragewerte zu verbessern und über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Die derzeitige Debatte „interessiert einen nennenswerten Teil der Wählerschaft nicht allzu stark“, so Münch.
Bis zur Bundestagswahl im Februar würden wieder andere Themen in den Vordergrund rücken. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit fange der Wahlkampf frühestens Ende Januar an, sagt die Politologin. Bis dahin könne die FDP sich erholen und versuchen, ihre Themen zu besetzen, wie wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Offenheit für Technologien.
Politologe: Lindner ist „angezählt“
Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas denkt dagegen, dass die Affäre auch bei der Bundestagswahl schaden könnte. Es gebe eine große Gefahr, dass die FDP nicht mehr Herr der Debatte werde, so der Politologe. Auch bestätige der Vorfall mehr und mehr die Vorwürfe gegen die FDP, man könne der Partei nicht vertrauen, es habe ständige Provokationen gegeben.
Vor allem das Ansehen von Parteichef Christian Lindner dürfte durch die Affäre gelitten haben, vermutet Faas: „Man hat doch an verschiedenen Stellen jetzt gesehen und gelernt, dass Christian Lindner kein verlässlicher Partner für alle anderen ist – zumindest nicht automatisch. Und sowas setzt sich dann durchaus auch fest.“
Lindner ist nach Ansicht von Faas durch den Vorfall zudem innerparteilich „angezählt“. Dem Parteichef spiele allerdings in die Hände, dass die Bundestagswahl schon im Februar stattfinde. Für einen Wechsel an der Parteispitze sei da eigentlich keine Zeit mehr.
Der Parteichef hingegen wehrt sich und teilt gegen seiner Kritiker aus. Den Gegnern gehe es um die "Zerstörung" der FDP und darum, "die Machtoptionen von SPD und Grünen zu verbessern", so Lindner.
Parteichef macht mit neuem Generalsekretär weiter
In Interviews betont Lindner, angesichts der Krise der Liberalen noch einmal in sich zu gehen: „Natürlich musste und muss ich mich prüfen“, so Lindner. Er sei aber weiterhin von seiner Entscheidung überzeugt, dass der Ausstieg aus der Ampelkoalition richtig gewesen sei. Auf die Frage nach einem möglichen Rücktritt erwidert Lindner, er mache der Partei „das Angebot, sie in die Bundestagswahl zu führen“.
Als neuer Generalsekretär soll der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann den FDP-Bundestagswahlkampf organisieren. Das Verhalten der Partei in der "D-Day"-Affäre will der Nachfolger von Djir-Sarai "aufarbeiten".
Zugleich stellt sich der Lindner-Vertraute, der auch aus dem NRW-Landesverband kommt, hinter den Parteichef: "Aus tiefster und fester Überzeugung glaube ich: Wir haben den besten Spitzenkandidaten, den wir haben können." Ob genügend Wählerinnen und Wähler das ähnlich sehen, wird der Ausgang der Bundestagswahl - wahrscheinlich am 23. Februar 2025 - zeigen.
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