Die erste Ampelkoalition auf Bundesebene ist Geschichte.* Aber wer für das Scheitern verantwortlich ist, bleibt ein Streitthema. Die "D-Day"-Affäre, ausgelöst durch Medienrecherchen und weiter angeheizt durch ein internes Strategiepapier, stellt die Glaubwürdigkeit der Partei infrage: Die Liberalen haben offenbar systematisch ihren Ausstieg aus der Bundesregierung geplant.
Wie die Liberalen nun mit der schweren Krise umgehen, wird wohl mit darüber entscheiden, ob die FDP nach der vorgezogenen Bundestagswahl wieder im Parlament sitzt.
Wer führt die FDP in die Bundestagswahl?
Das Gesicht der FDP ist und bleibt Parteichef Christian Lindner. Er will die Liberalen als Spitzenkandidat erneut in den Bundestag führen und wieder Finanzminister werden. Die Rückendeckung seiner Partei scheint ihm sicher, trotz kritischer Stimmen zur "D-Day"-Affäre.
Lindner ist seit Ende 2013 FDP-Chef. 2017 ließ er Koalitionsverhandlungen mit der Union und den Grünen platzen. Damals sagte er: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."
Lindners Mitstreiter im Wahlkampf sind alte Bekannte. Wolfgang Kubicki ist von der FDP in Schleswig-Holstein auf Listenplatz eins und damit zum Spitzenkandidaten für den Deutschen Bundestag gewählt worden. Die ehemalige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger will die Hessen-FDP in den Bundestagswahlkampf führen.
Eine wichtige Aufgabe im Wahlkampf kommt auch dem neuen Generalsekretär, Ex-Justizminister Marco Buschmann, zu. Er kommt wie Lindner aus dem Landesverband NRW.
Mit welchen Inhalten geht die FDP in den Wahlkampf?
FDP-Chef Christian Lindner denkt wirtschaftsliberal. Er distanziert sich immer wieder deutlich von politischen Ideen aus dem linken Lager. Die Menschen könnten bei der Bundestagswahl darüber entscheiden, "ob wir das Erwirtschaften wieder wichtiger nehmen als das Verteilen" und "ob wir Klimaschutz nicht besser mit Technologie und realistischen Zielen vorantreiben", so Lindners Botschaft.
Der Parteichef findet lobende Worte für den libertär-rechtspopulistischen argentinischen Präsidenten Javier Milei sowie für den Trump-Unterstützer und Tech-Oligarch Elon Musk: "Was mich beeindruckt ist dort die Kraft zur Disruption. Eine Wende herbeizuführen, wenn ein Abstieg droht", so Lindner.
In der Migrations- und der Finanzpolitik müssten „Richtungsentscheidungen“ getroffen werden. Außerdem verteidigte er die Schuldenbremse. Sie trage erheblich zur Generationengerechtigkeit bei.
Lindner plädiert für eine „Wirtschaftswende“, die ohne Steuererhöhungen auskommen soll und die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags beinhaltet. Subventionen sollen reduziert, Innovationen und Spitzenforschung gefördert werden. Zudem will er, dass mehr Menschen arbeiten und bei den Ausgaben für Migranten und Bürgergeldbezieher gespart wird.
Mit welchen Problemen kämpft die FDP gerade?
Hauptproblem der FDP beim Start in den Bundestagswahlkampf ist der Umgang mit der sogenannten D-Day-Affäre. Im Wahlkampf geht es nicht mehr nur darum, wer hauptverantwortlich für den Bruch der Ampelkoalition ist, sondern auch um grundlegende Werte wie Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit.
Die Führung der FDP soll unter dem Projektnamen „D-Day“ auf einen Bruch der Koalition hingearbeitet haben. Ein öffentlich gewordenes Strategiepapier führte zum Rücktritt des FDP-Generalsekretärs Bijan Djir-Sarai und des Bundesgeschäftsführers Carsten Reymann.
Djir-Sarai hatte zunächst betont, der Begriff „D-Day“ sei nicht benutzt worden. Das Strategiepapier, in dem Ablaufszenarien und Kommunikationsstrategien zum Ampel-Ausstieg erörtert werden, enthält allerdings Begriffe wie „D-Day“ oder „offene Feldschlacht“. Djir-Sarai sagte bei seinem Rücktritt, er habe keine Kenntnis von dem Papier gehabt. Parteichef Lindner behauptete, er habe das Papier "nicht zur Kenntnis genommen". Ist das glaubwürdig?
Ansehen höchsten noch bei Stammwählern
„Die FDP kann fast nicht noch mehr Vertrauen verlieren“, sagt Politikwissenschaftlerin Ursula Münch: „Sie steht ohnehin sehr schlecht da und ist im Augenblick allerhöchstens noch bei ihrer Stammwählerschaft angesehen.“ Doch bis zur Wahl könne sich die FDP noch erholen.
Lindner hatte vor Bekanntwerden des Papiers darauf verwiesen, dass auch die SPD bereits im Sommer Szenarien zu einem Ende der Ampel durchgespielt habe. Auch andere FDP-Spitzen hatten betont, dass die Liberalen ihren Kurs klar kommuniziert und für einen Fortbestand der Ampel-Koalition auf eine "Wirtschaftswende" bestanden hätten. Lindner hatte ein entsprechendes Papier vorgelegt. Von dem er allerdings wissen musste, dass es nicht kompatibel war mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen von SPD und Grünen.
Wie sind die Umfragen für die FDP?
Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die FDP gut elf Prozent der Stimmen. Die Partei wurde damit viertstärkste Kraft nach der SPD, der Union und den Grünen. Derzeit kommt die FDP laut Umfragen nur noch auf drei bis fünf Prozent. Die Freien Demokraten waren bereits 2013 - nach vier Jahren schwarz-gelber Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) - am Wiedereinzug in den Bundestag gescheitert.
Fünf Prozent würden für den Einzug in den Bundestag reichen, doch die Liberalen wollen mehr. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, hat als Ziel ein zweistelliges Ergebnis ausgegeben. Auch FDP-Chef Lindner hält das für realistisch.
Zu den wichtigsten Themen, die die Bundesbürger zur Zeit beschäftigen, gehören laut einer aktuellen YouGov-Umfrage die Migrations-, die Wirtschafts- und die Umweltpolitik. Da die sogenannte Wirtschaftswende ein zentrales Ziel der FDP ist, könnte sie von der Stimmung im Land profitieren. Punkten könnte die Partei auch bei ihren Stammwählern, die mit der Ampelkoalition unzufrieden waren.
Wie stehen die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung der FDP?
FDP-Chef Lindner will nach der vorgezogenen Bundestagswahl erneut regieren und wirbt für ein Bündnis mit der Union unter Führung von Friedrich Merz. In den jüngsten Umfragen lag die Union mit 32 bis 33 Prozent weit vor allen anderen Parteien. Doch könnten Union und FDP nach derzeitigem Stand keine Mehrheit bilden - dafür müssten die Liberalen deutlich zulegen. Eine erneute Kooperation der FDP mit SPD oder Grünen erscheint angesichts des Zerwürfnisses mit den ehemaligen Koalitionspartnern momentan sehr unwahrscheinlich.
CDU-Chef und Kanzlerkandidat Merz hat sich bislang nicht festgelegt. Eine Koalition mit den Grünen schließt er trotz größerer Differenzen bei gesellschaftspolitischen Themen und in der Wirtschaftspolitik nicht aus. Lindners Vorschläge zur „Wirtschaftswende“ trafen bei Merz auf Zustimmung. Allerdings kann sich Merz inzwischen auch eine Lockerung der Schuldenbremse vorstellen – was der FDP-Chef kategorisch ablehnt.
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* In einer früheren Version haben wir von der ersten Ampelkoalition in der Geschichte der Bundesrepublik gesprochen. Gemeint war die erste auf Bundesebene. Wir haben die Stelle korrigiert.