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Urteile wegen NS-Zwangsarbeit
Der "Flick-Prozess" und die Folgen

Vor 75 Jahren wurde in einem Nürnberger Nachfolgeprozess das Urteil gegen den deutschen Großindustriellen Friedrich Flick und fünf seiner engsten Mitarbeiter gesprochen. Sie hatten sich vor allem der Ausbeutung von Zwangsarbeitern schuldig gemacht.

Von Bernd Ulrich |
Der Industrielle Friedrich Flick wartet am 22. Dezember 1947 auf das Urteil des Kriegsverbrecher-Tribunals in Nürnberg
Der Industrielle Friedrich Flick wartet am 22. Dezember 1947 auf das Urteil des Kriegsverbrecher-Tribunals in Nürnberg (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / AP)
„In Nürnberg findet vor einem amerikanischen Militärgerichtshof der erste Prozess gegen nationalsozialistische Großindustrielle statt. Angeklagt sind die Leiter des ehemaligen Flick-Konzerns. Friedrich Flick galt bei Kriegsende als der reichste Mann Deutschlands.“ So schilderte am 19. April 1947 der Rundfunk den Beginn des Prozesses gegen Friedrich Flick. Er und fünf seiner Manager wurden im fünften von insgesamt zwölf sogenannten Nürnberger Nachfolgeprozessen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
Kaum überraschend erklärte Flick als Hauptangeklagter zu Beginn der Verhandlungen: „Ich bin unschuldig!“ Deutlicher noch vermerkt das Gerichtsprotokoll: „Ich protestiere gegen die Tatsache, dass in meiner Person Deutschlands Industrielle vor der ganzen Welt als Sklavenausbeuter und Räuber verleumdet werden.“

Vom Terror-Regime der Nazis profitiert

Tatsächlich konnte Friedrich Flick von einem Terror-Regime profitieren, das jedes Menschenrecht systematisch verletzte, den Völkermord plante und einen rassistischen Eroberungskrieg vom Zaun brach. Um diesen Krieg führen zu können, mussten Menschen aus den okkupierten Ländern in Deutschland Zwangsarbeit verrichten.
Christiane Glauning, Leiterin im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide: „Wir schätzen, dass rund 13 Millionen Menschen aus den besetzten Gebieten Europas im deutschen Reich zur Arbeit eingesetzt wurden, das heißt, Männer, Frauen und im Verlauf des Krieges auch viele Jugendliche und Kinder. Die waren in Deutschland überall zur Zwangsarbeit eingesetzt bei den großen Rüstungsbetrieben, aber auch den Kirchen, den Kommunen, kleineren Handwerksbetrieben, Bäckereien, Gärtnereien und auch in Privathaushalten.“

Es fehlte jedes Unrechts- und Schuldbewusstsein

Zu den geschätzten 13 Millionen Menschen zählten auch Jüdinnen und Juden aus den Konzentrationslagern und über eine Million sowjetische Kriegsgefangene. Annährend drei Millionen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter starben. Die Qualität und die Steigerung der Produktion standen im Vordergrund, ein Menschenleben zählte wenig oder nichts. Und es fehlte auf Seiten der deutschen Bevölkerung jedes Unrechts- und Schuldbewusstsein. Glauning: „Zwangsarbeit und Zwangsarbeiterinnen waren so allgegenwärtig, dass sie als normale Begleiterscheinung des Krieges angesehen wurden.“
Vor diesem Hintergrund gelang es Friedrich Flick - wie allen in Nürnberg angeklagten Industriellen -, sich als unwilligen, gar widerständigen Unternehmer zu präsentieren. Angeblich wurde von den Nazis Druck auf ihn ausgeübt, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu beschäftigen.
Robert Kempner, stellvertretender Chefankläger bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, gab 1985 in einem Interview zu Protokoll: „Der Kommandant Höß, der hat immer gesagt, in Nürnberg und anderwärts, die haben ja gebettelt, dass sie möglichst viele Zwangsarbeiter bekommen. Also so ist die wahre Sachlage.“

Flick starb (einfluss)reich

Und zur wahren Sachlage gehört auch, dass Flick und seine Mitangeklagten am 22. Dezember 1947 nicht etwa wegen der Ausbeutung der Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagern und aus den besetzten Gebieten verurteilt wurden. Vielmehr basierten die Urteile darauf, dass der Flick-Konzern auch sowjetische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter missbraucht hatte. Die aber schienen in der Hierarchie der Zwangsarbeit ganz unten zu stehen. Geringe Gefängnisstrafen und Freisprüche waren die Folge.
Flick selbst bedrohten die gegen ihn verhängten sieben Jahre Gefängnis wenig: Nach nur zwei Jahren kam er Anfang 1950 wieder auf freien Fuß, offenbar war er zu wichtig für den erwünschten Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft. Eine von einem Autorenteam 2008 vorgelegte Untersuchung zum „Flick-Konzern im Dritten Reich“ bilanziert nüchtern: „Innerhalb weniger Jahre nach Kriegsbeginn erreichte der Anteil ausländischer Arbeitskräfte in nahezu allen Produktionsstätten Flicks etwa 50 Prozent der Gesamtbelegschaft, überschritt im Einzelfall diese Marke aber noch bei weitem. Dabei herrschte in zahlreichen konzerneigenen Betrieben ein Unterdrückungsregime, das die ohnehin menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen zusätzlich verschärfte.“
80.000 bis 100.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sollen in Flicks Betrieben gearbeitet haben. Auf eine Entschädigung warteten die Überlebenden lange Jahre vergebens. Erst auf Druck vor allem der USA waren Flicks Nachkommen zu Zahlungen bereit. An Friedrich Flick aber waren alle Entschädigungsappelle wirkungslos abgeprallt. Er starb 1972 als einflussreicher Industrieller und reichster Bürger der Bundesrepublik Deutschland.