Donnerstag, 25. April 2024

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Friedensnobelpreis
"Es wäre besser, ihn retrospektiv zu verleihen"

Eine aktuelle Leistung für den Frieden auszuzeichnen, sei immer ein Risiko, sagte Historiker Sven Felix Kellerhoff im Dlf. Besser wäre es, den Friedensnobelpreis für ein Lebenswerk zu verleihen. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die in diesem Jahr nominiert ist, halte er nicht für geeignet.

Sven Felix Kellerhoff im Gespräch mit Änne Seidel | 06.10.2019
Porträt der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg, die lächelt
Die Klimaktivistin Greta Thunberg sei keine geeignete Preisträgerin für den Friedensnobelpreis, sagte Kellerhoff im Dlf (imago/Peter Wixtröm/Aftonbladet )
Am kommenden Freitag wird der Friedensnobelpreis vergeben. Unter den Nominierten ist auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Eine bedauernswerte Jugendliche, die bei ihrer Rede in Tränen ausbreche und bisher nur für Unfrieden sorge, wäre kein Fortschritt für den Friedensnobelpreis, sagte der Historiker Sven Felix Kellerhoff im Dlf.
Der Friedensnobelpreis ist ein politischer Preis, der nach dem Prinzip Nobels eine Leistung auszeichnen soll, die im vergangenen Jahr zum Frieden beigetragen hat. Das sei natürlich immer ein Risiko. Die naturwissenschaftlichen Nobelpreise hätten nicht zuletzt deswegen den Charakter von Lebenswerk-Preisen bekommen. Fast immer liegen die Entwicklungen und Entdeckungen Jahre oder sogar Jahrzehnte zurück.
Eine Demonstrantin hält ein Bild von der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete mit der Aufschrift "#FREECAROLA!" in der Hand.
Braucht Demokratie Heldinnen und Helden?
Helden kennen wir aus der Antike, aus dem Kino und der Comicliteratur. In unserer aufgeklärten, demokratischen Gesellschaft sind sie fehl am Platz. Oder vielleicht doch nicht? Könnten Helden helfen, die Krise der Demokratie zu überwinden? Darüber diskutieren Franziska Martinsen und Ulrich Bröckling.
Friedensnobelpreis kann nach hinten losgehen
Doch gerade aktuelle Auszeichnungen könnten auch nach hinten losgehen - so wie bei Michael Gorbatschow, der große Verdienste an der Beendigung des Kalten Krieges gehabt habe, kurz danach habe er aber Panzer in Vilnius auffahren lassen, um die dortige Freiheitsbewegung zu unterdrücken. "Das war nicht angemessen für einen Friedensnobelpreisträger." Oder auch der Friedensnobelpreis für Jassir Arafat und Schimon Peres, der nach hinten losgegangen sei. Wir seien heute im Friedensprozess in Nahost nicht weiter, sondern wahrscheinlich sogar zurückgefallen.
Sehr viele Preisträger hätten es sehr verdient, beispielsweise Muhāmmad Iunus aus Bangladesh, der die Mikrokredite erfunden hat, der Finne Martti Ahtisaari, der sich stark über Jahrzehnte für die Gewinnung von Frieden eingesetzt habe. Oder auch der chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo oder Frauenrechtlerinnen wie Leymah Roberta Gbowee, die ihn verdient gehabt hätten und keine hochranginge politischen Akteure gewesen seien.
Kellerhoff: "Kohl hätte Friedensnobelpreis verdient"
Eine Person, die den Preis für ihre Verdienste um Europa wirklich verdient gehabt hätte, sei Helmut Kohl. Es sei keine kluge Wahl gewesen, diesen wesentlichen Politiker auszulassen und anstelle dessen die EU auszuzeichnen.
Dem Konstruktionsfehler des Friedensnobelpreises könne man dadurch entgehen, dass man ihn an einem aus dem Amt geschiedenen Politiker vergibt, so Kellerhoff. Das würde allerdings dazu führen, dass immer nur Preise an Menschen verliehen würden, deren Beitrag zur Friedensschaffung schon Jahre oder Jahrzehnte zurückliegt. Aus diesem Dilemma komme man nicht heraus.
Eine Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel.
Nobelpreisvergabe: Männliche Machtstrukturen bremsen Frauen aus
Nobelpreise in der Naturwissenschaft gehen traditionell hauptsächlich an Männer – obwohl nicht weniger Frauen diese Fächer studieren. Studien legen nahe, dass Fehleinschätzungen der Leistungen von Frauen und mangelnde Aufstiegschancen dafür verantwortlich sind.
Preise an Institutionen zu vergeben sei auch nicht die Lösung, weil man die nur einmalig auszeichnen könne. Besser wäre es doch, den Preis an Menschen zu vergeben, und dafür den Mut zu haben, auch einmal keinen der Nominierten mit dem Preis auszuzeichnen: "Wir haben dieses Jahr keinen." Das sei bereits 19-mal passiert, das letzte mal in den 1970er-Jahren.
Das Renommeé des Preises würde dann gefährdet, wenn man wenig würdige Preisträger auszeichnen würde, etwa jemanden wie Donald Trump. Dann könnte man den Preis sofort einstellen.