Fußball-Bundesliga der Frauen
Ex-Profi Lehmann: Warum der VfL Wolfsburg jetzt Innovationen braucht

Das Abonnement auf den DFB-Pokalsieg haben die Frauen des VfL Wolfsburg noch - auf die deutsche Meisterschaft aber nicht mehr. Bayern München heißt der neue Favorit in der Liga. Und international sind andere Klubs nun die Top-Adressen für die Stars. Fußball-Expertin Kathrin Lehmann analysiert die Veränderungen.

Kathrin Lehmann im Gespräch mit Christian von Stülpnagel | 25.05.2024
Im DFB-Pokalfinale der Frauen kämpfen Bayern Münchens Sarah Zadrazil und Wolfsburgs Kapitänin Alexandra Popp um den Ball.
In den letzten fünf Jahren gingen drei deutsche Meistertitel in der Fußball-Bundesliga der Frauen an den FC Bayern München. Die Dominanz des VfL Wolfsburg um Alexandra Popp bröckelt. (picture alliance / Laci Perenyi / Laci Perenyi)
Es ist etwas in Bewegung in der Fußball-Bundesliga der Frauen. Der VfL Wolfsburg war seit 2012 über viele Jahre hinweg das Nonplusultra, hielt auch den aufstrebenden FC Bayern München meistens auf Distanz. Zwar gewannen die Wolfsburgerinnen seit 2015 jedes Jahr den DFB-Pokal, die Serie hält. Aber das Monopol auf Titel und Trophäen bröckelt. In den vergangenen fünf Spielzeiten sicherten sich die Bayern-Frauen drei der fünf möglichen Meisterschaften in der Liga, zuletzt zweimal in Folge.
Vor allem im europäischen Kräftemessen ruckelt es zunehmend. Als Vorjahresfinalist verpasste der VfL nun die Gruppenphase der Champions League, unterlag im Oktober dem FC Paris. Kapitänin Alexandra Popp sieht in Wolfsburg Entwicklungsbedarf, vor allem bei Infrastruktur und Trainingsbedingungen. Der "Wolfsburger Allgemeinen" sagte sie: "National sind wir sehr gut aufgestellt, aber wenn wir uns international mit den Top-Klubs vergleichen, dann muss sich schon noch einiges tun. Es muss sowohl Volkswagen als auch dem VfL klar sein, dass es mit dem, was wir jetzt haben, irgendwann nicht mehr reicht."

Abgänge von Oberdorf, Pajor und Trainer Stroot kein "Ausverkauf"

Auch personell gibt es Veränderungen beim VfL Wolfsburg. Auf der Abgangsliste stehen viele Leistungsträgerinnen, etwa Nationalspielerin Lena Oberdorf. Sie zieht es ausgerechnet zum FC Bayern. Auch Torschützenkönigin Ewa Pajor verlässt jetzt den Verein – genau wie Dominique Janssen. Außerdem wird Trainer Tommy Stroot im Sommer 2025 Wolfsburg den Rücken kehren.
Fußball-Expertin Kathrin Lehmann, die einst selbst für die FCB-Frauen das Tor hütete, wertet dies als einen branchenüblichen Umbruch. Im Dlf-Interview erklärt sie: "Oberdorf ist auch schon vier Jahre da, Pajor neun Jahre, Janssen fünf Jahre, Tommy Stroot dann vier Jahre, was eine sehr lange Zeit ist. Man muss sehen, bevor man über den VfL Wolfsburg urteilt: Woher kommen die eigentlich und wie haben die es geschafft, so viele Jahre so gute Spielerinnen zu binden?"
Lehmann betont: "Dass irgendwann nach einer erfolgreichen Zeit einige das Boot verlassen, weil sie etwas Neues erleben müssen, ist normal. Ich sehe es nicht als einen Ausverkauf. Es ist ein Umbruch, der ansteht."

Expertin Lehmann misst Bayern an der Champions League

Dabei macht Lehmann auch darauf aufmerksam, dass als namhafter Zugang die deutsche Nationalspielerin Janina Minge (SC Freiburg) kommt. Und einige wichtige Stützen bleiben den Wolfsburgerinnen schließlich auch erhalten: "Svenja Huth hat ein Jahr verlängert, Marina Hegering hat ein Jahr verlängert, Alexandra Popp ist noch da, Vivien Endemann wird immer besser. Ich glaube, wenn sie es schaffen, in diesem Jahr ein, zwei Jüngere noch mehr in das internationale Geschäft reinzuziehen, mit diesen altgedienten Spielerinnen, ist da nach wie vor eine sehr große Schlagkraft."
Das Rennen um die deutsche Meisterschaft sei deshalb offen, wenngleich die Münchnerinnen nun die Favoritenrolle innehaben. Lehmann, die auch als TV-Expertin für das "ZDF" und "MagentaSport" unterwegs ist, unterstreicht allerdings: "Aber auch Wolfsburg wird gejagt werden. Und Bayern muss erst einmal beweisen, dass sie da oben angekommen sind. Ich messe Bayern München nächstes Jahr an der Champions League. Sie müssen es einfach schaffen, ins Halbfinale zu kommen."

Frauen-Bundesliga: Lehmann lobt Entwicklungen kleinerer Klubs

Seit zwölf Saisons geht zumindest die deutsche Meisterschale entweder nach Wolfsburg oder München. Spannung an der Spitze ist was anderes – aber Lehmann stellt den kleineren Klubs der Frauen-Bundesliga in Sachen Weiterentwicklung ein gutes Zeugnis aus. Sie befürchtet keine Langeweile: "Es waren gute Spiele, vor allem die erste Halbzeit von vielen sogenannten Kleinen wie der SGS Essen. Jetzt ist es so, dass sich alle an Bayern München orientieren und versuchen, ihnen den Schneid abzukaufen. Man darf auch nicht vergessen: Es kommen noch die Olympischen Spiele. Gefühlt 90 Prozent des [Bayern-]Teams werden da für irgendwelche Nationen am Start sein. Die werden müde in die Saison starten."
Die Frauen-Bundesliga sei in der Breite gut aufgestellt. Lehmann wies auf den geringen Abstand der Teams ab Platz vier hin: "Da kann man sich auf eine sehr ausgeglichene Liga freuen." In der vergangenen Saison trennten etwa die SGS Essen (Platz vier, 35 Punkte) und den SC Freiburg (Rang neun, 24 Punkte) elf Zähler.

Geld ist nicht mehr Lockmittel Nummer eins im Frauenfußball

Doch worauf kommt es in der kommenden Spielzeit nun speziell beim VfL Wolfsburg an, um mittelfristig den Anschluss an die Bayern und auch international – etwa an den FC Barcelona oder den FC Chelsea – nicht zu verlieren?
Lehmanns stellt fest: "Wolfsburg muss sich überlegen: Was ist die nächste Innovation, die sie bringen können? Schaffen sie es, ganz junge Spielerinnen international an die Spitze zu führen? Haben sie tatsächlich die neueste Infrastruktur? Nutzen sie alle Synergien zwischen Herren- und Frauenfußball?"
Der Frauenfußball habe sich "unglaublich verändert", so Lehmann. Inzwischen gehe es auch um Infrastrukturen, die Spielerinnen von einem Verein überzeugen können. "Das Geld ist nicht mehr das, was die Spielerinnen lockt", bilanziert Lehmann: "Und auch der Standort: Es ist ein bisschen mehr Glamour drin, wenn ich in München, London, Paris, Barcelona spielen kann, als in Wolfsburg." Am Ende stehe die Frage: "Was kann Wolfsburg in die Waagschale schmeißen, dass sie zwar vielleicht keinen städtischen Glamour haben, aber eben einen fußballerischen Mehrwert für eine Spielerin?"

jti