Montag, 29. April 2024

Kirche und Sport
Ist Fußball eine Religion?

Ist Fußball eine Religion? Treue Fans im Ruhrgebiet scheinen fast eine religiöse Verbindung zu ihrem Verein zu haben. Aber ist die Liebe zum Fußball wirklich vergleichbar mit dem religiösen Glauben?

Sarah Rautert, Leonid Chraga, Karsten Haug und Klaus Pfeffer im Gespräch mit Matthias Friebe | 31.03.2024
Zu sehen sind zwei Personen in Fankleidung von Schalke 04. Sie stehen vor einer Reihe an blau-weißen Teelichtern in einer Kirche.
An den Heimspieltagen von Schalke 04 kommen Fans in die Pfarrkirche St.Joseph, das Ritual wird verbunden mit einem guten Spielergebnis für Schalke. (IMAGO / Norbert Schmidt / IMAGO / Norbert SCHMIDT)
Ist Fußball eine Religion? Das diskutierte im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund Dlf-Moderator Matthias Friebe zusammen mit seinen Gästen Leonid Chraga, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Dortmund und Vorsitzender von Makkabi Bochum, Karsten Haug, Pastoralreferent an der BVB-Gründerkirche, mit Klaus Pfeffer, Bischöflicher Generalvikar im Bistum Essen und Fan des FC Schalke und Sarah Rautert, Religionswissenschaftlerin am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Uni Bochum.
Auf die Einstiegsfrage, ob es denn einen Fußballgott gebe, antwortet Bischöflicher Generalvikar Klaus Pfeffer, dass es durchaus Parallelen zwischen Fußball und Religion gäbe, aber: "Fußball ist ein Spiel, es ist mehr als ein Spiel, es ist auch ein Geschäft. Aber es ist jetzt nichts, wo der liebe Gott insofern mitspielt, dass er jetzt sagt, er hat jetzt mehr ein Herz für die Schwarz-Gelben.“

Metaphern zeigen Relevanz des Fußballs

Aus wissenschaftlicher Sicht zeigen die Fußball-Metaphern wie "zum Stadion pilgern", "Fußballgott" oder das Stadion als "Fußballtempel" aber, wie viel Relevanz der Fußball in der Gesellschaft habe, erklärt Religionswissenschaftlerin Sarah Rautert. Die Zugehörigkeit zum Verein sei wichtiger als die Zugehörigkeit zur Religion geworden.
Solche Metaphern kennt Leonid Chrag aus seiner Muttersprache nicht, aber: „Wir versuchen schon manches auf den Rabbiner zu schieben, wenn es nicht so richtig läuft. Da wird schon gefragt, ob er richtig gebetet hat. Also die Wortspiele gibt es schon.“
Leonid Chraga ist Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Dortmund und Vorsitzender von Makkabi Bochum. Der Trainingsplan orientiere sich streng an den jüdischen Feiertagen. Ist ein hoher Feiertag, fällt das Training aus. Da aber viele Vereinsmitglieder nicht dem jüdischen Glauben angehören, sind das oft Gelegenheiten, um über die Religion ins Gespräch zu kommen.

Gemeinschaft, Symbole und Rituale

"Das Gespür für das Transzendente oder Göttliche gibt es auch im Stadion manchmal", erinnert sich Karsten Haug, Pastoralreferent an der BVB-Gründerkirche. Als zum Beispiel bei einem Bundesliga-Spiel zwischen Dortmund und Mainz ein Fan verstorben ist, habe das ganze Stadion "You'll never walk alone" gesungen.
Gerade die gemeinsamen Erlebnisse, die Mythen, die auch daraus erwachsen, gemeinsame Symbole und Rituale seien das, was der Fußball genauso wie die Religion geben kann, zählt Rautert auf. Auch werde man wie in einen Glauben, gerade im Ruhrgebiet, auch in die Vereinszugehörigkeit hineingeboren.

Was Kirche vom Fußball lernen kann

„Sicherlich lernt Religion vom Fußball Verbindungen miteinander zu haben, dass Nationen vereint werden sollen und dass es über Generationen geht. Und damit ist auch gemeint, dass Religiösität eigentlich keine Rolle spielen sollte im Fußball, das sehen wir ja auch auf dem Platz.“
Dadurch könnten viele ihre eigene Religion ungehindert auf dem Platz ausleben, das Gebet vor dem Anpfiff oder dem Freistoß zum Beispiel.
Fußball und Religion seien auf jeden Fall miteinander verknüpft, sagt die Wissenschaftlerin Rautert, aber sie würden auch in einem Konkurrenzkampf um zeitliche Ressourcen stehen: "Je mehr ein Fan im Fantum verankert ist, desto weniger Religiösität herrscht auch vor.“
Dennoch: Wieso begeistert ein Stadionbesuch mehr als ein Gottesdienst in der Kirche?
Für Pfeffer habe die Kirche seit Jahrzehnten versäumt, die Menschen weiterhin mitzunehmen: „Wir stehen in der Religion von den Inhalten her oft noch auf einem Stand, der liegt noch weit weg in der Vergangenheit und von daher finden viele Leute da keinen Zugang oder machen nicht die Erfahrungen, dass das was mit ihrem Leben zu tun hat.“
Pfeffer fehlt an dieser Stelle eine selbstkritische Sicht. Haug ergänzt aber, dass es im Stadion unter den Fans eine Spontaneität und auch Emotionalität gebe, die der Kirche in den Gottesdiensten fehle. Gottesdienste hielten dafür zu stark und starr an ihren alten Ritualen fest.

Fußball - eine Ersatzreligion?

Dass Fußball eine Ersatzreligion sein kann, davon hält Haug aber nichts. Für ihn bleibt Religion der Glaube an einen Gott. Er ist Pastoralreferent an der BVB-Gründerkirche, wo auch die Wurzeln von Borussia Dortmund liegen. Deshalb muss wohl auch jeder Spieler die Kirche einmal besuchen. Aber vor allem Fans würden in die Gründerkirche kommen. Sie sei ein Anknüpfungspunkt für die Fans, ein Ort, wo „Fans mit ihrem Leben, mit ihrem Fan-Dasein vor Gott stehen können.“
Für Klaus Pfeffer gehört die Kirche dorthin, wo auch die Menschen sind, sie sollte sich aber nicht "beim Fußball einschleichen". Die Kapelle in der Arena von Schalke ist zum Beispiel bewusst kein Fußball-Tempel mit Schalke-Symbolen für die Verehrung eines Fußballgotts , sondern eine christliche Kapelle.
„Wir tun da einen Dienst, nicht mehr und nicht weniger und wollen nicht irgendwas für uns vereinnahmen“, bekräftigt Pfeffer. Zwar würden in der Gesellschaft immer mehr die klassischen Religionen verschwinden, aber nicht die Religiösität. Die Menschen würden mittlerweile an viel Verschiedenes glauben, zum Beispiel auch an Verschwörungstheorien. Von daher sieht er den Fußball schon auch als Ersatzreligion.
Dazu Wissenschaftlerin Reutert: „Ich denke, es ist wichtig, da keinen analogischen Fehlschluss zu leisten und zu sagen, Fußball ist Religion, denn Fußball ist eigentlich deutlich mehr Entertainment.“
Leonid Chraga sieht es als Religionsvertreter deutlich strenger, denn sein Glaube schreibt ihm vor: Es gibt nur einen Gott. „Und dann quasi begehen wir an einem bestimmten Punkt auch Götzendienst, was keine Pillepalle-Sünde ist und das gilt für alle abrahamitischen Religionen.“

Fußballer als Vorbilder

Auch dass Fußballer zu Vorbildern werden, sieht Chraga kritisch. Denn oft ist ihr Lebenstil und ihr Handeln eigentlich nicht vorbildhaft für Kinder: „Was bedeutet Ehrlichkeit? Geld regiert die Welt, das wird alles vorgelebt!“
Haug von der BVB-Gründerkirche identifiziert sich nicht mehr mit ausgewählten Spielern, seine Fanidentifikation ist eher wie das Dortmunder Sprichwort: "Spieler kommen, Spieler gehen, der Verein bleibt."
"Fansein bedeutet nicht unbedingt zu der Vereinsführung zu stehen und zu der finanziellen Macht", ergänzt Sarah Rautert: "Sondern zu sagen, die Tradition bleibt, aber die Kommerzialisierung wollen wir nicht unterstützen.“