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Gauck in Chile
"Die Opfer einer Gewaltherrschaft dürfen nicht ungehört bleiben"

Auf den ersten Blick ist der Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck in Chile ein klassischer Staatsbesuch. Doch schon am ersten Tag wird klar, dass das eigentliche Thema der Umgang mit der Vergangenheit ist. Denn über 20 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur gibt es noch viele offenen Wunden - für die auch die Deutschen zum Teil Verantwortung tragen.

Von Volker Finthammer | 13.07.2016
    Die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet während einer Rede des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck in Chile.
    Die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet während einer Rede des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck in Chile. (dpa / picture alliance / Elvis Gonzalez)
    Es ist auf der einen Seite zwar ein klassischer Staatsbesuch, der voll und ganz den Anforderungen des Protokolls genügt. Und natürlich beschwören die chilenische Präsidentin Michele Bachelet und Bundespräsident Joachim Gauck die Bedeutung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und die gemeinsame internationale Verantwortung von Deutschland und Chile in Zeiten, in denen die Demokratie stärker in Frage gestellt wird. So weit so gut. Aber das eigentliche Thema des ersten Tages ist der Umgang mit der Vergangenheit und da gibt es bei diesen Gesprächen mehrere Perspektiven die zusammengebracht werden wollen.
    Über 20 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur gibt es in Chile noch viele offenen Wunden. Menschen, die immer noch nicht wissen, wo ihre Angehörigen geblieben sind, die Opfer der Militärdiktatur wurden. Nach wie vor hat das Militär über den Umweg weiterhin gültigen alten und vom Militär diktierten Verfassung einen großen Einfluss und das Bestreben, durch einfaches Schweigen die Vergangenheit vergessen zu machen, ist stark ausgeprägt.
    Die amtierende Präsidentin Michele Bachelet, deren Vater selbst Opfer der Militärdiktatur wurde und die einige Jahre in der DDR im Exil gelebt hat, versucht derzeit mit einer Verfassungsreform, die demokratischen Strukturen Chiles auf eine neue, breitere Grundlage zu stellen, was kein leichtes Unterfangen ist. Bundespräsident Joachim Gauck versuchte sie in seiner programmatischen Rede auf dem deutsch-chilenischen Forum im Nationalkongress von Santiago darin zu bestärken.
    "Wir haben es in Deutschland erfahren: Die Erfahrungen und Prägungen einer Diktatur wirken lange nach. In Einstellungen, in Denkmustern und auch in Haltungen. Jenen, die einst unterdrückt wurden, fällt es manchmal schwerer, von ihren Rechten Gebrauch zu machen, weil sie die Angst eben nie verlassen hat. Auch deshalb ist es wichtig, eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte zu führen. Die Erfahrungen der Opfer einer Gewaltherrschaft dürfen nicht ungehört bleiben."
    Auf dem Weg zu einer umfassenden Verfassungsreform
    Der Bundespräsident appellierte an die chilenische Regierung, den Zugang zu den Akten der Opfer frei zu geben und dadurch zu einer umfassenden Aufklärung beizutragen. Gauck sprach vom Herrschaftswissen der Diktatur.
    "Und dieses Herrschaftswissen sollte in einer Demokratie in die Hände und Köpfe der Opfer gehören."
    Die Verfassungsreform, die Michele Bachelet im vergangenen Oktober angekündigt hat, soll frühestens im Jahr 2018 abgeschlossen sein und mit einer Volksabstimmung besiegelt werden. Erst Nach den Parlamentswahlen im kommenden Jahr soll das exakte Verfahren festgelegt werden. Bereits begonnen hat jedoch eine umfassende Aufklärungskampagne über Inhalt und Aufgabe einer Verfassung. Seitdem ist eine rege Diskussion über das Für und Wider entstanden. Die rechtskonservative Unión Demócrata Independiente, in deren Reihen noch viele dem Pinochet Regime nachtrauern, lehnt die Verfassungsreform ab. Doch nach wie vor spricht sich eine große Mehrheit der Chilenen für die Reform aus. Die Präsidentin sieht sich dadurch bestärkt.
    "Es ist wichtig, dass wir diesen Schritt gewagt haben und dass wir daran festgalten. Es ist jetzt noch zu früh, um ein Ergebnis abschätzen zu können. Aber eins möchte ich hier festhalten: Wir müssen in diesen Prozess die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft neu definieren, um das Vertrauen aller wieder zu gewinnen."
    Kritiker werfen Bachelet jedoch vor, durch die Verknüpfung mit den kommenden Wahlen für eine unnötige Aufladung des Themas gesorgt zu haben, die dem ganzen Prozess am Ende schaden könnte.
    Die Frage der nach angemessenem Umgang mit er Vergangenheit, trifft in Santiago de Chile aber auch auf den Bundespräsidenten. Denn viele offene Fragen gibt es auch noch zu den Verbrechen in der deutschen Kolonie Colonia Dignidad. In diesem geschlossenen Lager kam es bis zur Inhaftierung des Gründers Paul Schäfer im Jahr 2005 zum systematischen Kindesmissbrauch und während der Militärdiktatur befand sich in der Kolonie ein Folterzentrum der chilenischen Geheimpolizei, was der deutschen Botschaft in Chile bekannt war. Bundesaußenminster Frank Walter Steinmeier hatte jüngst erst die vorzeitige Offenlegung der Akten angekündigt und Joachim Gauck erklärte dazu in Chile:
    "Was wir bedauern und betrauern, ist das deutsche Diplomaten in einer Zeit Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen nicht ernst genug genommen haben."
    Deutschland werde bei dieser Aufarbeitung der Vergangenheit behilflich sein und auch eine psychosoziale Unterstützung für die Opfer leisten. Deutschland werde aber keine Wiedergutmachungsforderungen akzeptieren, den die Sekten-Kolonie sei von der chilenischen Diktatur geduldet und genutzt worden.