Montag, 06. Mai 2024

Dopingverdacht in China
Journalist Seppelt: "Die Welt-Anti-Doping-Agentur steht mit dem Rücken zur Wand"

Der Dopingverdacht gegen zahlreiche Top-Schwimmer Chinas, aufgedeckt von der ARD-Dopinredaktion um Hajo Seppelt, erschüttert den Olympischen Sport. Dass die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA nicht einschritt, sehe wie eine mögliche Vertuschung aus, sagte Seppelt im Dlf.

Hajo Seppelt im Gespräch mit Marina Schweizer | 20.04.2024
ARD-Journalist Hajo Seppelt in der Talksendung "Maischberger"
ARD-Journalist Hajo Seppelt recherchiert zum Massendoping-Verdacht in Chinas Spitzensport (IMAGO / Horst Galuschka)
Der internationale Spitzensport wird von einem Verdacht auf systematisches Doping in China erschüttert. 23 chinesische Top-Schwimmerinnen und Schwimmer sollen nach einer Recherche der ARD-Dopingredaktion und der New York Times trotz positiver Dopingtests unbestraft geblieben sein. Demnach sollen die Schwimmerinnen und Schwimmer bei einem nationalen Wettkampf inin Shijiazhuang Anfang 2021 positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestet worden sein. Die Recherche legt den Verdacht der mutmaßlichen Vertuschung der positiven Dopingproben nahe.
13 der 23 positiv Getesteten sollen bei den anschließenden Olympischen Spielen in Tokio im Sommer 2021 gestartet sein, unter ihnen die Doppel-Olympiasiegerin Zhang Yufei und Qin Haiyang, der Weltschwimmer des Jahres 2023. Auch bei drei damals minderjährigen Athleten soll es den Recherchen zufolge Positivbefunde gegeben haben.

Positive Tests auf Trimetazidin bei Chinas Top-Schwimmern - ohne Konsequenzen

Die positiven Tests wurden von der chinesischen Anti-Doping Agentur CHINADA offiziell der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) gemeldet, doch den Recherchen zufolge erst zwei Monate nach den Schwimm-Wettbewerben. Die Sportler seien aber weder vorläufig suspendiert worden, noch habe man einen sogenannten Anti-Doping-Verstoß gemeldet, wie es üblicherweise nach einem positiven Test der Fall sei, sagte Hajo Seppelt von der ARD-Dopingredaktion und Teil des internationalen Rechercheteams.
"Es wurden weder die Substanz, noch die Namen der Sportler bekanntgegeben. Noch dazu wurden die Wettkampfergebnisse nicht annulliert, das ist natürlich schon eigenartig", sagte Seppelt im Interview mit dem Deutschlandfunk. Dass die positiv Getesteten im Anschluss bei den Olympia-Ausscheidungen an den Start gingen und sich ein Großteil von ihnen auch für die Spiele in Tokio qualifizierte, dies hätte eigentlich nicht der Fall sein dürfen, sagte Seppelt.
Als Erklärung für den Dopingbefund bei zahlreichen chinesischen Schwimmstars habe Chinas Anti-Doping-Organisation eine Untersuchung präsentiert, in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für öffentliche Sicherheit, ein Teil des nationalen Polizei-Apparats mit Geheimdienst-Befugnissen. Nach chinesischen Angaben sollen die positiven Fälle durch Kontamination des Essens in einer Küche des Athletenhotels in Shijiazhuang zustande gekommen sein, dort seien Spuren des Dopingmittels Trimetazidin gefunden worden, hieß es von chinesischer Seite.

Chinas Erklärung für Dopingbefunde "abenteuerlich"

Diese Darstellung sei "reichlich abenteuerlich", so Seppelt im Dlf-Interview. "Es gibt keine einzige Erklärung dafür, wie Spuren eines Dopingmittels, und zwar eines auch in China verschreibungspflichtigen Herzmedikamentes, plötzlich in der Küche eines Hotels in irgendwelche Gefäße gelangen kann? Und es wird auch keine verantwortliche Person als Ursprung dafür genannt, ein Koch oder Personal, die ein solches Herzmedikament mit sich geführt haben soll - und davon soll dann offensichtlich etwas in einem Suppentopf gelandet sein."
Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA teilte auf Anfrage des ARD-Teams um Seppelt mit, sie sei auf Basis der aus China gelieferten Analysedaten, "gestützt durch die niedrigen Konzentrationen und durch die schwankenden Werte in den Dopingproben", zur Auffassung gelangt, dass man keinen Einspruch einlegen müsse. Deshalb, so die WADA, sei man auch nicht dagegen vorgegangen.

Keine unabhängige Prüfung der WADA vor Ort in China

Die Rolle der WADA werfe Fragen auf, kritisierte Sappelt im Dlf. "Sie hätte unabhängig, auf eigene Faust vor Ort überprüfen können, ob die Chinesen mit ihrer Erklärung Recht haben oder nicht. Und ob das alles wirklich plausibel ist. Davon hat sie keinen Gebrauch gemacht."
Eigene Recherchen in den Ländern seien ohne weiteres möglich, wie Seppelt betonte. Stattdessen habe die WADA seit Jahren geschwiegen - und bis heute auch noch nicht erklärt, warum dieses Szenario in der Hotelküche ihrer Ansicht nach realistisch oder glaubwürdig sein soll. Dazu, so Seppelt, gebe es "in der Erklärung der WADA kein Wort."
"Wir haben den Eindruck, die WADA steht ein Stück weit mit dem Rücken zur Wand", sagte Seppelt angesichts eines möglichen neuen, großen Doping-Skandals und verwies dabei auch auf kritische Äußerungen von Travis Tygart, dem Vorsitzenden der US-Anti-Doping-Agentur. Die Vorgänge sähen aus wie "eine mögliche Vertuschung, bis in die höchsten Stellen und Gremien des Weltsports", so ARD-Journalist Seppelt. "Und damit ist möglicherweise die Welt-Anti-Doping-Agentur gemeint."