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Gemeinsame Kanzlerkandidatin von CDU und CSU
"Es handelt sich um eine Zweckehe"

CDU und CSU sind wieder näher zusammengerückt: Angela Merkel ist offiziell die gemeinsame Kanzlerkandidatin. Bei den Unions-Parteien handele es sich nicht um eine Schein-, sondern eine Zweckehe, sagte der Politologe Uwe Jun im DLF. Beide Parteien verfolgten zum Teil unterschiedliche Ansichten und das Wahlprogramm diene dazu, diese Gegensätze zu übertünchen.

Uwe Jun im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der Politikwissenschaftler Uwe Jun sitzt in Trier an seinem Schreibtisch in seinem Büro.
    Eine gewisse Lust auf Provokation komme bei Horst Seehofer immer wieder durch, so der Politologe Uwe Jun. (dpa-Bildfunk / Birgit Reichert)
    Dirk Müller: Wir gehen nach München. Wir schauen auf Angela Merkel und auf Horst Seehofer. Da fragen sich viele interne Kenner und Beobachter, wie dies noch zusammengehen kann, wie dies noch zusammenpassen kann, die Demütigung der Kanzlerin auf dem vorletzten Parteitag der CSU, die Ausladung der Kanzlerin beim letzten Parteitag der CSU, die anhaltende Forderung nach der Obergrenze, die Zweifel an einem gemeinsamen Wahlkampf, an einer gemeinsamen Wahlkandidatin. Seit gut einer Stunde ist das zumindest formal geklärt. Angela Merkel ist jetzt die offizielle gemeinsame Kanzlerkandidatin. CDU und CSU, seit gestern, spätestens seit heute Vormittag offiziell wieder befreundet miteinander. Darüber reden wir mit dem Politikwissenschaftler und Parteienkenner Professor Uwe Jun von der Universität in Trier. Guten Tag.
    Uwe Jun: Guten Tag, Herr Müller.
    Müller: Herr Jun, hätten die beiden sich nicht besser getrennt?
    Jun: Nein! Ich glaube, damit hätten beide ihre Ziele am Ende nicht erreicht. Für die CSU ist immer das wichtigste, die alleinige Macht in Bayern zu halten, und da hätte es zu viele CDU-Wähler in Bayern gegeben. Und für die Union insgesamt ist es wichtig, nach der nächsten Bundestagswahl den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin zu stellen, und das schafft man gemeinsam auch leichter als getrennt.
    Müller: Und ist das glaubwürdig, wenn die beiden wieder zusammenrücken?
    Jun: Wir dürfen nicht vergessen, es handelt sich hier nicht um eine Scheinehe, sondern um eine Zweckehe, und diese Zwecke sind zu offensichtlich, als dass man nun nicht gemeinsam versuchen müsste, die Ziele, die dahinter stehen, zu erreichen.
    Müller: Und die Wähler sind mit Scheinehen und Zweckehen zufrieden?
    Jun: Sie müssen an der Stelle natürlich erkennen, dass die beiden Unions-Parteien an der einen oder anderen Stelle einfach unterschiedliche Ansichten verfolgen und dass das Wahlprogramm dem Zweck jetzt dient, diese Gegensätze zu übertünchen. Klar ist das keine einfache Situation für die Union und daher ist es jetzt auch für den Wähler durchaus so, dass er entscheiden muss, inwieweit ihm diese Unterschiede behagen, oder ob er aufgrund dieser Unterschiede, die es dazu gibt, einer anderen Partei den Vorzug gibt.
    Müller: Müssen die Obergrenzenwähler jetzt zur AfD gehen?
    Jun: Sie haben es auf jeden Fall nicht mehr so leicht, für die Union zu stimmen. In der Tat haben Sie Recht, dass damit hier wieder die Wähler, die in der Migrationspolitik eher der Seehofer-Position zugeneigt haben und eine eher skeptische oder kritische Haltung haben, hier nun wieder von der Union etwas enttäuscht werden.
    "Eine gewisse Lust auf Provokation, die bei Horst Seehofer immer wieder durchkommt"
    Müller: Wie kommt das denn, Herr Jun, dass Horst Seehofer immer martial verbal vor sich geht, und wenn es dann darauf ankommt, immer diesen Rückzieher macht zum Wohle, wie Sie es vielleicht auch beschrieben haben, der Unions-Parteien insgesamt, aber dann - und das ist ja der Vorwurf, der immer häufiger drastischer formuliert wird - zunehmend die Glaubwürdigkeit auch der CSU aufs Spiel setzt?
    Jun: Erst mal kann man natürlich sagen, das ist eine gewisse Lust auf Provokation, die bei Horst Seehofer immer wieder durchkommt. Er erreicht dadurch große Aufmerksamkeit und diese Lust auf Provokation scheint, auch in ihm stark vorhanden zu sein. Die lebt er dann aus. Da muss man auch sagen, dass er damit rechnet oder glaubt, dass das in Bayern gut ankommt, und das ist für ihn das Zentrale, dass es in Bayern gut ankommt. Und man darf nicht vergessen: Er hat den einen oder anderen Erfolg ja auch einfahren können. Denken Sie etwa an die Pkw-Maut, da haben ja viele gezweifelt, ob das jemals nun Programm werden wird der Regierungspolitik, und nun soll eine kommen. Seehofer hat ja mit dem einen oder anderen Punkt dann auch durchaus Erfolg und kann Punkte für sich machen.
    Müller: Die Maut, wenn die so wichtig ist, wie es in der Diskussion häufig dargestellt wird - Alexander Dobrindt war federführend zumindest dafür verantwortlich; er soll jetzt auch der Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahlen aus Münchener Sicht jedenfalls werden. Reden wir einmal über die Kanzlerin, das haben wir bisher noch nicht getan. Ich hatte unseren Korrespondenten nach dem Eindruck gefragt, wie ist Horst Seehofer aufgetreten. Wie ist denn nach Ihrem Eindruck die Kanzlerin in München jetzt aufgetreten?
    Jun: Die Kanzlerin ist natürlich auch darauf bedacht, dass nun eine gewisse Eintracht oder eine Einheit vorherrscht, und daher war sie auch sehr vorsichtig, hat keine große Kritik an Seehofer geäußert, hat sich nun als diejenige präsentiert, die in diesen gemeinsamen Wahlkampf mit Erfolg ziehen möchte, und man darf gespannt sein - und sie war ja ohnehin nie die Provokateurin -, wie lange Seehofer an dieser Einheit festhält.
    "Persönliche Narben" bei Angela Merkel
    Müller: Wie tief ist das Zerwürfnis?
    Jun: Ich denke schon, dass es da persönliche Narben gibt, vonseiten Angela Merkels besonders, denn die Behandlung Seehofers etwa - wir erinnern uns noch an einen Parteitag der CSU -, die war sicherlich nicht sehr freundlich und das hat sie sich gemerkt. Angela Merkel gehört ja auch zu denen, die dann solche persönlichen Wunden durchaus nicht einfach wegstecken und vergessen. Bei Philipp Rösler damals bei der FDP erinnern wir uns daran, dass sie dann zu Rösler kein gutes Verhältnis mehr hatte.
    Müller: Ist die Kanzlerin nachtragend?
    Jun: Ich weiß nicht, ob man nachtragend sagen kann, aber sie gehört zu denen, die persönliche Verletzungen als solche nicht einfach wegstecken.
    Müller: Dann war das jetzt in München so ein bisschen ein Gang nach Kanossa?
    Jun: Es war für sie nicht einfach, das ist klar, aber sie hat jetzt den Zweck und sie hat die Sache über das Persönliche gestellt.
    Müller: Hat sie jetzt einen starken Gegner bekommen in Martin Schulz?
    Jun: Im Moment erleben wir das, was ich einen Hype nennen würde. Die Benennung von Schulz hat die Öffentlichkeit positiv beeinflusst, hat auch die Medien positiv beeinflusst, und das führt dann in der Gesamtschau dazu, weil es ja auch was Neues ist und weil es damit spannender wird, jedenfalls scheint es spannender zu werden, dazu dass hier Schulz im Moment als ernsthafter Kandidat erscheint, ja.
    "Schulz würde ich auch als eine Art Projektionsfläche für vieles bezeichnen"
    Müller: Liegt das, Herr Jun, an Martin Schulz oder an dem Phänomen?
    Jun: Mehr an dem Phänomen als an Schulz selbst. Schulz würde ich auch als eine Art Projektionsfläche für vieles bezeichnen: für neue Hoffnungen, für mehr Spannung, für Menschen, die vielleicht auch jetzt hier eine gewisse Zuversicht gewinnen wollen. Es wird viel in Schulz im Moment hineinprojiziert. Ob er das alles erfüllen kann, wird sich in den kommenden acht Monaten zeigen.
    Müller: Weil die Kanzlerin auch - meine Frage jetzt an Sie - nicht mehr so ankommt, wie sie das vor Jahren noch getan hat?
    Jun: Absolut! Das ist der Unterschied zu den Bundestagswahlkämpfen 2009 und 2013. Die Kanzlerin hat an Ansehen verloren in den letzten Jahren, insbesondere im Zuge der Flüchtlingspolitik. Ihre Werte sind nach unten gegangen und es herrscht auch bei dem einen oder anderen der Eindruck vor, dass nun - sie ist ja immerhin schon zwölf Jahre Kanzlerin - hier ein neues Gesicht vielleicht auch mal frischen Wind bringen kann.
    Müller: Demnach ist das auch schon der Kohl-Effekt?
    Jun: Er setzt so langsam ein vielleicht. Man wird sehen, ob Schulz auch das gelingt. Jedenfalls Schulz versucht ja, genau das nun mit hervorzurufen, und man kann schon erste Anzeichen dafür erkennen, ja.
    "Martin Schulz muss sich positionieren"
    Müller: Ich möchte Sie auch bei der Gelegenheit noch einmal fragen, weil viele jetzt gesagt haben, jetzt ist der Schulz auf den Thron gehoben worden und das ist ein Hype, wie Sie es gerade auch formuliert haben - dieser Kommentierung, dieser Sicht haben sich ja viele angeschlossen. Aber jetzt müssen wir darauf achten, welche Inhalte kommen. Ist das tatsächlich so beim Wahlkampf 2017, dass das noch von entscheidender Bedeutung ist, was die SPD wie auch die Union, aber bleiben wir bei der SPD, was die SPD konkret auf den Tisch legt?
    Jun: Es wird insofern wichtig sein, als Martin Schulz sich positionieren muss, ob er stärker in eine Sozialstaats-Debatte führt und damit die Partei stark nach links rückt. Sie hat sich ja ein wenig schon in der Regierungstätigkeit, aber auch in der Zeit davor. Also ob er sich tatsächlich auf ein solches Linksbündnis einlässt, oder ob es ihm gelingt, ein solches Linksbündnis von sich zu weisen und es offenzuhalten. Je nachdem wie er sich verhält, wird die eine oder andere Hoffnung oder die eine oder andere Projektion in sich zusammenfallen.
    Müller: Aber wäre es nicht töricht aus SPD-Sicht, die Linksoption zu begraben?
    Jun: Es ist ein strategisches Dilemma, in dem die Partei sich befindet, weil die Linksoption, wie Sie dann schon andeuten in Ihrer Frage, ja ihr die einzige Möglichkeit unter Umständen bietet, den Kanzler zu stellen. Aber es wäre ja durchaus nicht aussichtslos für die Partei möglicherweise, das ist zwar ganz, ganz schwer zu erreichen, aber doch in das Wählerlager der Union hineinzugehen und dort versuchen, die Stimmen zu gewinnen. Schulz stand in der Vergangenheit eher eigentlich für Letzteres, nämlich für eine Große Koalition, für moderatere Positionen, aber Sie sagen es: Die machtstrategische Option eines Linksbündnisses kann er, auch schon allein um die derzeitige Euphorie, die in der Partei herrscht, nicht abzubrechen, nicht fallen lassen.
    Müller: Heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Professor Uwe Jun von der Universität in Trier. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Auf Wiederhören.
    Jun: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.