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Geschichte aktuell - 25 Jahre Ozonalarm
Im Kampf gegen das bodennahe Ozon

Am 26. Juli 1994 verkündete der hessische Staatssekretär Rainer Baake Tempolimits im Bundesland: Die Maßnahmen waren umstritten – und das Ergebnis nicht so, wie erhofft. Doch es war der Auftakt zum Kampf gegen ein Phänomen, das den Menschen damals im wahrsten Sinne die Tränen in die Augen trieb.

Von Dagmar Röhrlich | 26.07.2019
Ozonalarm auf der A5: Am Vorabend war in Hessen an sieben Meßstellen der Wert von 215 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen worden
Ozonalarm auf der A5: Am Vorabend war in Hessen an sieben Meßstellen der Wert von 215 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen worden (dpa)
"Ozonrekordwerte bis zu 300 Mikrogramm meldeten die hessischen Messstationen seit den Mittagsstunden. Und der Deutsche Wetterdienst sprach von einer austauscharmen Wetterlage, die keine Besserung verspricht. Um Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung abzuwehren entschied sich die Landesregierung, den Autofahrern im Alleingang Beschränkungen abzuverlangen."
26. Juli 1994, 17.30 Uhr. Die hessische Regierung löste Ozonalarm aus. Den ersten in Deutschland.
"Das zuständige Verkehrsministerium hat für die Straßen in Hessen folgende Geschwindigkeitsbeschränkungen angeordnet. Auf den Autobahnen nicht schneller als 90 Kilometer pro Stunde, auf den übrigen Straßen außer Orts nicht schneller als 80 Kilometer pro Stunde."
Als im Sommer 1994 während einer Hitzewelle die Messwerte für bodennahes Ozon in Süd- und Ostdeutschland stiegen und stiegen, verhängte Hessens Regierung ein Tempolimit.
"In den ersten zwei Stunden des Tempolimits hat die hessische Landesregierung vor allem ein Kommunikationsproblem. Die Durchsagen im Radio werden ignoriert. Die meisten Warnschilder sind noch nicht entrollt."
Ozon. Anfang der 1990er Jahre macht das Reizgas Schlagzeilen, so wie heute Feinstaub oder Stickoxide. Damals ist das Bewusstsein für Umweltprobleme durch das Ozonloch in der hohen Atmosphäre über der Antarktis, durch Waldsterben und sauren Regen geschärft.
"Gerade in den 90er Jahren war das Thema Sommersmog, Ozon, bodennahes Ozon, Ozon-Information, Ozon-Warnungen, Fahrverbote, Ozon-Gesetze in aller Munde, weil es uns dort auch sehr beschäftigt hat. Also, wir haben sehr hohe Ozon-Spitzenwerte in dieser Zeit beobachten können, die zum Teil weit über die 300 Mikrogramm pro Kubikmeter als Stundenwert hinausgingen."
Ozon: ein Wort in aller Munde
Erinnert sich Ute Dauert. Sie leitet beim Umweltbundesamt das Fachgebiet "Beurteilung der Luftqualität". Seit 1991 ist sie dabei und hat die Entwicklung über die Jahre hinweg verfolgt. Ozon ruft ab ungefähr 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft Symptome hervor wie tränende Augen, Schleimhautreizungen, Kopfschmerzen und Hustenreiz. Bei empfindlichen Personen wie Kindern, Senioren oder Asthmatikern treten negative Folgen schon viel früher auf, ab etwa 100 Mikrogramm.
"Ozon ist kein Schadstoff, der wie viele andere, wie Stickoxide oder Feinstaub, direkt freigesetzt wird, sondern Ozon ist ein so genannter sekundärer Schadstoff, der sich in der Atmosphäre erst bildet, und dafür braucht es so genannte Ozonvorläuferstoffe. Das sind überwiegend Stickstoffoxide und flüchtige organische Verbindungen. Stickoxide überwiegend aus dem Verkehrsbereich, organische Verbindungen überwiegend aus der Anwendung von Lösemitteln oder Produktion lösemittelhaltiger Produkte. Das Ganze zusammen mit intensiver Sonnenstrahlung, UV-Strahlung, dann bildet sich aus diesen beiden Vorläuferstoffen das Ozon."
Ein Globus im schwarzen All, der an unterschiedlich bunt eingefärbt ist und in der Mitte eine graue Fläche zeigt: das Ozonloch über der Antarktis.
Das Ozonloch über der Antarktis am 2.10.2015. (dpa/DLR)
Und es gibt noch eine Besonderheit: Die Ozonkonzentration ist nicht unbedingt in den Städten am höchsten, sondern in ländlichen Bereichen. Der Wind schafft die Verbindungen in vermeintliche Reinluftgebiete, und während in den Städten Abgase auch wieder zum Ozonabbau beitragen, steigen auf dem Land die Konzentrationen immer weiter an.
Fahrer: "Ja, Gott, die sind alle langsamer gefahren, die Leute kommen mir vor. Die halten sich scheinbar doch ein bisschen daran."
Michael Brand: "Halten Sie es für eine vernünftige Sache?"
Fahrer: "Sicherlich, auf jeden Fall, ist ja klar, wir machen eh schon genug Dreck."
Am 27. Juli, am Tag, nachdem die hessische Regierung den Ozonalarm ausgerufen hatte, zeigten sich viele Autofahrer einsichtig.
Fahrerin: "Die Autos fahren alle langsamer, es ist sehr viel ruhiger. Also, es wundert mich, es sind wirklich viele, die sich an diese Geschwindigkeitsbeschränkung halten."
Michael Brand: "Finden Sie das gut?"
Fahrerin: "Das finde ich sehr gut, ja."
Bei den Kontrollen hielten sich 85 bis 90 Prozent der Fahrer mehr oder weniger an die Geschwindigkeitsbegrenzung, obwohl ihnen bei Überschreiten kein Bußgeld drohte. Dazu fehlte nämlich noch die bundesgesetzliche Grundlage.
Fahrer. "Also, es wird ziemlich gut eingehalten."
Michael Brand: "Finden Sie das ist eine gute Sache?".
Fahrer: "Gut, ich meine, was sein muss, muss sein. Mich stört es nicht, ich bin Rentner. Ich habe sowieso Zeit."
Wachsender Verkehr, steigende Ozonkonzentration
"Es war ja tatsächlich so, dass die Kinder nicht rauskommen konnten, weil das Ozongas einfach sehr reizt und natürlich krebserregend ist und sensibilisierend ist, Kreislaufschäden verursacht, das Immunsystem angreift, also tatsächlich wirklich richtig starke Auswirkungen hatte."
So beschreibt Monika Griefahn, SPD, die Situation. Sie war damals niedersächsische Umweltministerin. Dass die Ozonkonzentrationen in den 1980er und 90er Jahren kontinuierlich stiegen, hatte einerseits mit dem wachsenden Verkehr zu tun, andererseits aber auch mit Umweltschutzmaßnahmen:
"Wir haben tatsächlich in den Jahren zuvor Maßnahmen ergriffen, um zum Beispiel den Staub zu reduzieren, den Schwefel zu reduzieren. Kraftwerke sind mit Filtern versehen worden. Das hat aber dazu geführt, dass der Staub bzw. der Kohlestaub von den Kohlekraftwerken, der vorher immer ein bisschen das Stickoxid gefiltert hat, dann nicht mehr diese Filterwirkung hatte und dadurch ein Reizreaktionsmechanismus entstand. Und deswegen musste man auch handeln."
Ein Lastwagen fährt an einem Transparent mit der Aufschrift "Ozonalarm" vorbei
Ozonalarm wurde 1998 in vier Bundesländern ausgerufen: Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden Württemberg (picture-alliance / dpa)
Der erste Ozonalarm dauerte nur ein paar Tage: Am 30. Juli 1994[*] ziehen Wolken auf, die Werte fielen. Der Alarm wurde aufgehoben.
"Tempo 90 auf der Autobahn, Tempo 80 auf den Landstraßen, genau 71 und eine halbe Stunde lang mussten die Autofahrer in Hessen den Fuß vom Gaspedal nehmen und mehr als zwei Drittel hielten sich daran, obwohl die Polizei bei Verstößen keine Bußgelder verhängte."
Allerdings hatten mit zunehmender Dauer die Verstöße gegen die Geschwindigkeitsbeschränkung zugenommen.
"Durch das Tempolimit sank der Schadstoffausstoß um fast ein Drittel. Rund 26 Tonnen Kohlenwasserstoffe und Stickoxide, die Vorläufer des Ozons, wurden vermieden. Die genauen Folgen für die Ozonkonzentration müssen noch ermittelt werden. Aufziehende Wolken senkten heute die Werte."
Das Wiesbadener Umweltministerium wertete den ersten Ozonalarm als Erfolg und fordert politische Konsequenzen. Der nordrhein-westfälische Umweltminister Klaus Matthiesen von der SPD sah in dem hessischen Tempolimit einen "Schnellschuss". Die hessische CDU nannte die Maßnahme einen "missglückten PR-Gag zur Füllung des Sommerlochs". Für Bundesumweltminister Klaus Töpfer waren Ozonalarme reine "Symbolpolitik".
"Ich hoffe dass die Kollegen, die jetzt auch, und die Kollegin, nachhaltig vorangehen wollen mit Tempolimit, genauso nachhaltig das unterstützen, was ich vorhin dargestellt habe, Verminderung des Benzols im Benzin, Verminderung von Lösemittel bei Lacken und Farben, Umsetzung der Abgasrückführung, Verminderung im Bereich der Stickoxide und vieles mehr."
Geringer Erfolg bei freiwilliger Selbstbeschränkung
Ein Tempolimit allein, so sein Urteil, reiche zur Eindämmung der Ozonbildung nicht aus. Ein gewichtiges Argument für die ablehnende Haltung der Kritiker waren die Ergebnisse eines Versuchs in Baden-Württemberg: 1994 durften in Neckarsulm und Heilbronn vier Tage lang nur Autos mit geregeltem Dreiwegekatalysator oder schadstoffarmen Diesel fahren, die Industrie war zu freiwilliger Selbstbeschränkung angehalten:
"Der Erfolg war nicht so groß, wie man sich das gewünscht hat. In der Summe ist man dann zu der Erkenntnis gekommen, es macht wenig Sinn erst anzusetzen und Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Konzentrationen bereits hoch sind, gerade bei Ozon. Das ist kein kurzfristiger Bildungsprozess, sondern das entwickelt sich erst, das schaukelt sich auf."
Erinnert sich Stefan Jacobi. Er leitet beim Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie das Dezernat Luftreinhaltung Immissionen. Klaus Töpfer wollte mit technischen Entwicklungen die Spitzen beim bodennahen Ozon kappen: mit geregelten Katalysatoren zur Reduktion der Stickstoffemissionen oder mit der Abgasrückführung an Tankstellen, die die Freisetzung organischer Verbindungen an den Zapfsäulen vermindern sollte. Maßnahmen, so beschreibt Monika Griefahn, die bei der Industrie nicht immer auf Gegenliebe stießen:
"Katalysatoren vorzuschreiben war sozusagen auch der Untergang des Abendlandes. Fahrbeschränkungen zu machen war der Untergang des Abendlandes. Die Debatten, die wir heute zu Stickoxid haben, sind wirklich relativ ähnlich zu denen, die wir damals hatten. Und wir hatten natürlich viel weniger Autos, aber dafür natürlich auch einen höheren Verbrauch in vielen Bereichen."
Rainer Baake, bisheriger Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft
Er löste 1994 den Ozonalarm aus: Rainer Baake (imago stock&people)
Im Sommer 1994 zogen angesichts hoher Ozon-Konzentrationen und des öffentlichen Drucks die SPD-geführten Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen mit eigenen Verordnungen nach. In Sachsen hingegen oder auch in Bayern galt weiterhin freie Fahrt. Stefan Jacobi:
"1995 hat der Bund dann durch Änderungen des Bundesimmissionsschutzgesetz ein Ozongesetz erlassen, was im Grunde genommen eine ähnliche Stoßrichtung hatte wie die Verordnung, aber es war eine bundeseinheitliche Regelung, und dadurch ist die Verordnung auch in Hessen damit verschwunden."
"Die große Hitze in Deutschland hat erste Konsequenzen für die Autofahrer. Wegen zu hoher Ozonwerte müssen in Baden-Württemberg, in Hessen und in Rheinland-Pfalz Fahrzeuge ohne Katalysator von morgen früh an stehen bleiben."
Am 11. August 1998, drei Jahre nach Inkrafttreten dieses "Sommersmoggesetzes", gab es den einzigen Ozonalarm nach der bundesweiten Verordnung. An mehreren Messstationen überstieg die Ozonkonzentration 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Ein viel zu lascher Wert, kritisierte Jürgen Trittin, Vorstandssprecher Bündnis90/Die Grünen:
"Die Weltgesundheitsorganisation sagt 120 Mikrogramm sind schon für Kinder gefährlich. Deswegen ist ein Grenzwert von 240 völlig überhöht. Wir wollen, dass dieser Grenzwert deutlich abgesenkt wird."
80 Prozent der Wagen durften weiterfahren
Bundesumweltministerin Angela Merkel wies die Kritik zurück:
"Erstens möchte ich sagen, dass Deutschland das einzige Land ist, das solche Fahrbeschränkungen kennt bei solchen Ozonwerten wie wir sie jetzt haben. Wir sind da Vorreiter."
Fahrverbote traten in Kraft, allerdings nicht für schadstoffarme Autos und für solche mit geregeltem Katalysator. 80 Prozent der Wagen durften also weiterfahren. Ausgenommen vom Verbot waren auch Ärzte im Einsatz, Taxis, Pendler, Urlauber. Und wer ohne Plakette illegal unterwegs war, hatte eine Ausrede:
"Ich bin am Umziehen, deswegen muss ich leider fahren. Es tut mir echt leid."
"Die Arbeit ruft."
"Wir fahren zur Oma in den Garten und das ist wichtig."
Angela Merkel, 1998
Bundeskanzlerin Angela Merkel war damals Umweltministerin (imago / Jürgen Eis)
Im März 1999 legte Jürgen Trittin, nun selbst Bundesumweltminister, einen Entwurf zur Novellierung des "Sommersmoggesetzes" vor. Er wollte es verschärfen. Doch auch die Auswertung des 1998er Alarms bestätigte die Erfahrungen: Die Ozonkonzentrationen gingen nicht so stark zurück wie erhofft. Und so verschwand das Ozongesetz sang- und klanglos am 31. Dezember 1999. Stattdessen verständigte sich die rot-grüne Bundesregierung auf ein Bündel von Maßnahmen. Es ging nicht mehr um Fahrverbote und Tempolimits, sondern darum, wie von Klaus Töpfer geplant, mit Technik die Ozon-Vorläuferstoffe zu reduzieren durch Rauchgasentstickungsanlagen, lösemittelfreie Lacke und Farben, geregelte Katalysatoren, beschreibt Stefan Jacobi.
"All diese kleinen Bausteine helfen dazu letztendlich dem Ozon den Bildungsprozess ein Stück weit zu entziehen."
Die Ozonspitzenwerte früherer Jahre treten heute nicht mehr auf. In Deutschland gelten die europäischen Vorschriften. Danach soll das Ozon in der Luft 120 Mikrogramm nicht überschreiten. Das sind immer noch 20 Mikrogramm mehr als die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt. Doch vor allem ist es kein Grenzwert.
"Bei der Überschreitung von Grenzwerten ist es verpflichtend Luftreinhaltepläne aufzustellen, gezielte Maßnahmen zu vereinbaren et cetera. Ein Zielwert ist quasi, ich nenne es jetzt mal ein zahnloser Tiger. Und das ist vielleicht ein bisschen der Grund, dass das Ozon auch nicht ganz so im Fokus steht."
Derzeit werde die europäische Richtlinie zur Luftqualität überarbeitet, erklärt Ute Dauert, und man werde sich dafür einsetzen, dass es darin auch für Ozon verbindliche Grenzwerte gebe. Denn vom Tisch sind die Schwierigkeiten mit dem bodennahen Ozon keineswegs:
"Es gibt ein hartnäckiges Problem: Die Hintergrundwerte, die gehen nicht wirklich runter."
Ozonbelastung steigt stetig an
Jos Lelieveld ist Direktor der Abteilung für Atmosphärenchemie am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Auch wenn die Spitzen fehlen, steigt die durchschnittliche Ozonbelastung stetig an. Das bedeutet, dass die Ozonvorläuferstoffe weiter reduziert werden müssen: immer noch im Verkehrsbereich, bei Anlagen wie Druckereien, Reinigungen, Lackierbetrieben. Ein weiterer Faktor beim Anstieg der Grundbelastung lässt sich nicht innerhalb der Grenzen kontrollieren: Wie andere Luftschadstoffe kennt auch das bodennahe Ozon keine Grenzen:
"Die Lebensdauer von Ozon ist so lange, mehrere Wochen, dass, wenn die Emissionen in China oder in anderen Teilen der Welt ansteigen, dann beeinflusst das die Ozonbildung eigentlich über die ganze Hemisphäre."
Innerhalb der EU gilt eine Richtlinie, die alle Mitgliedsstaaten verpflichtet ihre Emissionen zu reduzieren – auch die der Ozonvorläuferstoffe.
"Es gibt darüber hinaus dann eben auch Bestrebungen in der Nordhemisphäre durch Protokolle et cetera eben auch solche Emissionsverpflichtungen durchzusetzen."
Das Bild zeigt eine Spühdose
FCKW-Gase: Fluorchlorkohlenwasserstoffe hatten einen großen Anteil am Ozonloch (imago)
1994 war Ozon ein Stoff, der sehr präsent war im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Dabei spielte das Ozonloch über der Antarktis eine zentrale Rolle. Als Folge des breiten Einsatzes von Fluorchlorkohlenwasserstoffen – den FCKW – riss in jedem Winter hoch über der Antarktis ein immer größeres Loch im Ozonschutzschild der Erde auf. Die harte UV-Strahlung der Sonne drang ungehindert durch. Eine lebensbedrohliche Entwicklung. Die Gefahr war so klar, dass sich die Staaten der Welt überraschend schnell mit dem Montrealer Protokoll auf das Verbot der Stoffe einigten: auf technische Lösungen und auf finanzielle Hilfen für die Entwicklungs- und Schwellenländer, denn der Ersatz war teurer als die billigen FCKW. Das war der Hintergrund, vor dem in Europa in den 1980er und 90er Jahren die bodennahen Ozonwerte stiegen und den Bürgern im wahrsten Sinne des Wortes die Tränen in die Augen trieben.
"Dieser Ozonalarm hat bei vielen nicht eine Differenzierung - 'das ist unten, das ist oben' gebracht, sondern es wurde deutlich: Da gibt es etwas, auf das wir bisher nicht geachtet haben. Das ist eigentlich ein Beleg dafür, dass wir immer erst aus den nicht bedachten Folgen vorangegangener technologischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung heraus aufmerksam werden auf die Ursächlichkeiten. Man kann etwas böswillig sagen: Wir wachsen nur noch an der Beseitigung der negativen Folgen vorangegangenen Wachstums."
Das bodennahe Ozon macht heute keine Schlagzeilen mehr. Dafür sorgen stattdessen Stickoxide, Feinstaub und – seit einigen Monaten wieder sehr intensiv – der Klimawandel. Der nimmt in einer Welt, auf der bald acht Milliarden Menschen leben werden, spürbar Fahrt auf. Die Forderungen nach einem schnellen Umsteuern sind laut und drängend geworden. Klaus Töpfer hat für unbesonnene Schnellschüsse wenig übrig.
Eine Warnung an heutige und künftige Entscheider
"Ich bin ein großer Anhänger von einem, wie man so schön sagt, piecemeal engineering, kleine Schritte machen, die man ändern kann. Ich habe vor großen Transformationen einen Horror. Das ist immer so etwas Gesamtes, nicht Veränderbares. Wir müssen darauf achten, gerade bei der Schnelligkeit des wissenschaftlichen Fortschritts, den wir ja glücklicherweise haben, der auch technischer Fortschritt wird, müssen wir darauf sehen, dass wir dieses auch tatsächlich aufgreifen können, dass wir nicht so festgelegt sind, dass wir gar nicht handeln können."
Jeder "Große Wurf", jede "disruptive Veränderung" birgt das Risiko, etwas zu übersehen oder nicht zu erkennen, dass ungeahnte Folgen nach sich ziehen kann. Das Ozon - ob das Zuviel bodennah oder der Mangel in der Stratosphäre – liefert ein anschauliches Beispiel dafür. Ebenso der menschengemachte Klimawandel – die, wenn man so will, unbeabsichtigte Nebenwirkung der Erfindung der Dampfmaschine und der industriellen Revolution. Klaus Töpfer hat eine Warnung an heutige und künftige Entscheider:
"Bitte nicht die großen Würfe. Nicht diese big transformation, die ja auch immer gerne gebracht wird. Ja, wir müssen uns verdammt ändern, aber bitte so, dass der Änderungsprozess nicht wieder zu einem zwanghaften Weiterdenken kommt, sondern dass er Öffnung bringt für andere Möglichkeiten, fürs Mitwirken."
Demokratie lebe davon, sich zwischen Alternativen entscheiden zu können. Die Weichenstellungen der Moderne haben diese Entscheidungsfreiheit zunehmend eingeengt:
"Wir sind ja Gefangene unserer vorangegangenen Entscheidung. Dass das Wachstum resultiert aus den negativen Konsequenzen vorangehenden Wachstums heißt ja, dass ich alternativlos das zu machen habe, dass wir sehr, sehr schnell in einer Situation sind, wo ein Parlament gar nicht mehr entscheiden kann, weil durch das Vorangegangene das zu einer alternativlosen Maßnahme ist. Unwort des Jahres 2011: Alternativlos."

[*] Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle haben wir in der Textfassung eine falsche Jahreszahl korrigiert.