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Vor 25 Jahren
Als der Bundestag die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe beschloss

Vergewaltigung in der Ehe – die längste Zeit existierte in Deutschland diese Tat juristisch nicht, ganz egal, was ein Ehemann getan hatte. Erst am 15. Mai 1997 beschloss der Bundestag nach zähem parlamentarischen Ringen, Vergewaltigung in der Ehe fortan als Verbrechen zu bewerten.

Von Monika Köpcke | 15.05.2022
Ein Angeklagter steht im Juli 2020 im Gerichtssaal in der Messe Ulm, während im Vordergrund eine Justizmitarbeiterin steht, deren Justiz-Logo am Ärmel zu sehen ist. Fünf Männer sind im Juli 2020 wegen Vergewaltigung einer 14-Jährigen angeklagt.
Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1997 ein Straftatbestand, zuvor galt sie allenfalls als Nötigung (picture alliance)
"Solange ich seine Ehefrau bin, nimmt er sich das Recht, mit mir zu schlafen, und wie er’s will und ich hab halt mitzuziehen."
„Wenn er es wollte, musste ich mich hinlegen. Und wenn’s gerade überm Tisch war.“
"Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt.“
"Wenn es ihr versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft.“
"„ ... und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu stellen.“
Solchermaßen wurden die Frauen noch 1966 vom Bundesgerichtshof belehrt. Und Paragraf 177 des Strafgesetzbuchs lautete ganz in diesem Geiste:
„Wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.“

Ab 1983 stritt der Bundestag um das Wort "außerehelich"

Vergewaltigung existierte in der Bundesrepublik per Gesetz also nur außerhalb, nicht in der Ehe. Hier konnte sie allenfalls als Nötigung wesentlich geringer bestraft werden.
Und das sollte noch lange so bleiben. Erst 1983 musste sich der Bundestag mit dem Thema auseinandersetzen, weil Grüne und SPD, beide in der Opposition, forderten, das Wort ‚außerehelich‘ endlich zu streichen. Doch die schwarz-gelbe Regierungskoalition sah das anders. Detlev Kleinert von der FDP:

"Der Grundtatbestand ist nach unserer Auffassung der, dass man nicht versuchen kann, mit Mitteln des Rechts in einen höchst persönlichen Raum einzugreifen, weil man dadurch die Dinge immer noch schlimmer macht.“
Erst 1996, 13 Jahre später, kam wieder Bewegung in die Sache: Eine Studie des Bundesfamilienministeriums kam zu dem Ergebnis, dass gut drei Viertel aller Vergewaltigungen in Deutschland in der eigenen Wohnung stattfanden. Nun beschloss die Regierung, noch immer die christlich-liberale Koalition, Vergewaltigung nicht mehr nur ‚außerehelich‘ zu bestrafen.

Zankapfel "Widerspruchsklausel"

Allerdings sollte die Strafverfolgung gestoppt werden können, wenn die Ehefrau ihre Anzeige zurückziehen würde – auch wenn sie dafür unter Druck gesetzt worden wäre. Wegen dieser sogenannten Widerspruchsklausel scheiterte das Gesetz am SPD-geführten Bundesrat. So sah etwa die SPD-Abgeordnete Ulla Schmidt in einer Strafrechtsreform ohne Widerspruchsklausel "ein deutliches Signal an die Gesellschaft, an die Männer und die Frauen.“
Schmidt organisierte gemeinsam mit den Grünen einen überparteilichen Gruppenantrag zur Neufassung des Paragrafen 177. Sein Wortlaut entsprach genau dem im Bundesrat gescheiterten Gesetzentwurf – nur die Passage zur Widerspruchsklausel war gestrichen.
"Es ist ein Signal, dass der Staat Normen setzt, in denen klar zum Ausdruck kommt, Ehefrauen werden vom Gesetzgeber ohne Ausnahme geschützt, Ehemänner haben keine Sonderrechte.“

Warum Kanzler Kohl schließlich die Abstimmung freigab

Die Wirkung der Initiative war enorm. Landfrauenvereine, katholische Frauenverbände, die CDU-Frauenunion – sie alle überschwemmten die CDU-Zentrale mit Briefen, in denen sie eine Zustimmung ohne Wenn und Aber forderten. Und in der Regierungskoalition drohten so viele Frauen damit, gegen den Fraktionszwang zu stimmen, dass Bundeskanzler Helmut Kohl nichts anderes übrig blieb, als die Abstimmung freizugeben.
Damalige Frauenministerin Claudia Nolte (CDU) 1997 auf der Regierungsbank

Alleine sitzt Frauenministerin Claudia Nolte am24. April.1997 während der ersten Lesung über einen Gesetzesentwurf zur Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe im Bonner Bundestag auf der Regierungsbank. In ihrer Rede sprach sie sich für einen Gruppenantrag aus, der eine Strafrechtsänderung ohne das umstrittene Widerspruchsrecht für die Ehefrau vorsieht. dpa
Die damalige Frauenministerin Claudia Nolte 1997 während der Bundestagsdebatte über den Gesetzesentwurf zur Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe (picture-alliance / dpa)
Am 15. Mai 1997 war es so weit – und das Ergebnis war eindeutig: Die große Mehrheit , 471 Abgeordnete, stimmte dafür, die Widerspruchsklausel zu streichen und fortan Vergewaltigung in der Ehe als Verbrechen zu bewerten, das in jedem Fall von Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt werden muss. Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth von der CDU resümierte:
"Lange Zeit ist gesagt worden, das ist ein Kavaliersdelikt und die Frauen haben den Männern zur Verfügung zu stehen. Alles dies abwegigst, und das halte ich für das Verächtlichste, dass wir dazu so lange brauchten, das Selbstverständliche nun zu tun.“

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Die 138 Abgeordneten, die gegen das neue Gesetz gestimmt hatten, waren fast(*) ausschließlich Männer der schwarz-gelben Regierungskoalition, unter ihnen Horst Seehofer und Friedrich Merz.

(*) Anmerkung der Redaktion: Wir haben an dieser Stelle den Satz korrigiert: Es haben auch einige wenige Frauen im Bundestag gegen das Gesetz gestimmt.