Donnerstag, 18. April 2024

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Glosse zum Sportjahr 2020
Von den Rummelknigges (und anderen Topüberlegern)

Jürgen Roth blickt auf das Sportjahr 2020 zurück - das frühzeitig von Corona ausgebremst wurde und in dem doch alles weiterlief wie immer, besonders im Fußball. Was bedeutet das für 2021?

Von Jürgen Roth | 01.01.2021
Die leere Mercedes-Benz-Arena in Stuttgart bei starkem Regen und im Flutlicht.
Ein leeres Stadion - sinnbildlich für das Fußballjahr 2020. (mago images / Michael Weber)
Das Sportjahr 2020 vermochte uns aufs neue, Indianerehrenwort!, durch Glanz und Gloria zu betören, diesmal gar auf wahrlich geniale Art und Weise, nämlich dadurch, dass es, tja, äh, hm, pfff … Wie flennte Spiegel Online am 24. März unter der Überschrift "Das war das Sportjahr 2020"? "Schon jetzt kann man das Sportjahr 2020 im Grunde abhaken." Nicht mehr an Radeln sei zu denken, nicht mehr an Eishockey, nicht mehr an Hand- oder Basketball, nicht mehr an Bumm-bumm-Tennis, nicht mehr an Rasenballgeschiebe, an nix mehr, ois erledigt, das Sportjahr 2020, annonciert als Anhäufung absolut brutal geiler "Events" und "Moments": a dead parrot. Eine "Zäsur", tönte es aus Hamburg zu uns herunter, eine bitterliche, und wir machten die Becker-Faust. Leider verfrüht.
In die Gänge gekommen war das denkwürdige, das heißt wie stets zügig zu vergessende Sportjahr 2020 im Januar sehr überzeugend mit Plänen zu einer von der UEFA ins Rund geschmetterten "Champions League on Tour" in den zumal auf Fußball erpichten USA – um Gianni Infantinos bockwurstbeknacktes Konzept einer FIFA-Super-League auszuknocken.
Kurz darauf trat der Wahlamerikaner Klinsmann, noch nicht allzu lange nebenbei multifunktional in der big Bumsfallerabundeshauptstadt tätig, als Trainer von Hertha BSC zurück, drehte ein an verwegener Blödheit und Selbstgerechtigkeit nicht zu überbietendes Facebook-Video und schickte ein von der Sport Bild publiziertes "Tagebuch" hinterdrein, "das einem den Atem raubt", so die Stuttgarter Zeitung, "und den Ruf des früheren Bundestrainers vollends ruiniert"; in dem nämlich dieser Schamane des Mammons in Sachen Humankapitalisierung reihum die Leute niederstreckte: "satte Spieler, die keinerlei Power haben" und deshalb auf den Schrott gehören; im Verein "keine Leistungskultur, nur Besitzdenken" – und: "eine Lügenkultur"; die Geschäftsleitung "muss sofort komplett ausgetauscht werden". Kurzum: alles Arschgeigen außer Klinsi – psychologielehrbuchartige Projektionen eines infantilen Allmachtsfanatikers.
Schmähplakate gegen Dietmar Hopp
Der Sportjahresauftakt mithin: saudumm und schamlos wie erhofft. Und noch um den Monatswechsel Februar/März herum marschierte die gesamte Angelegenheit wünschenswert weiter, als Ultras bundesweit in den Stadien Schmähplakate hochhielten, auf denen der Geldfetischist Hopp, c/o Hoffenheim, der die TSG mit seinen miesen Milliarden, da Penunzen eben doch Tore erzielen, über die Jahre in die Bundesliga-Beletage gehievt hatte, unter Rückgriff auf ikonographische Elemente des Westerns zum Teufel gewünscht wurde – stellvertretend für die ganze Clique von Rummenigge bis zum Grüßaugust Fritz Keller vom – wie es auf anderen Bannern in den Kurven hieß – "Scheiß DFB", von der "Fußball-Mafia DFB", der als bis dato medial gutbeleumundeter Kulissenkasper den Fußball nun "am Tiefpunkt" wähnte, weil ein für den Kapitalanhäufungsbetrieb unverzichtbarer Monetenguru und angeblicher Sozialgroßwohltäter, der von Fans, die er "Idioten" nennt und die er gerne überwachen und gerichtlich verfolgen lässt, neuerlich mit "Hass und Hetze" überschüttet worden war, was all die heuchlerischen Rummelknigges zu schleunigen und schleimigen "Solidaritätsbekundungen" aufstachelte.
Die Nürnberger Nachrichten sprachen unironisch von "Klassenkampf", derweil man im TV – beispielhaft hier das ARD-Morgenmagazin – das "perfide Machtspiel der Fankurven mit Dietmar Hopp" geißelte, das, so die Moderatorin Okka Gundel, "unter aller Kanone" sei, alldieweil der prima Didi ja in seiner Biotechnologiefirma einen Impfstoff gegen Corona entwickeln lasse, an und mit dem nichts zu verdienen sein dürfte.
Bachs Terminverschiebungsszenarien
Im nämlichen Viruszusammenhang gab das IOC mit Johann Sebastian August Friedrich Wilhelm Tommy Bach an der Spitze ab März die übliche hoheitliche Bella figura ab und eiertanzte seine "olympische Bewegung" derart grazil in die Grütze, dass man endgültig geneigt war, den Hut zu zücken und die stumpfen Waffen der Kritik final zu strecken. Über Wochen hantierte Bach manisch mit Terminverschiebungsszenarien betreffs Tokio herum, bis ihm jedoch unbotmäßige Athleten, die er vorher gleich einem zaristischen Zensor qua "Protestverbot" (Süddeutsche Zeitung) zur totalen politischen Enthaltsamkeit verpflichtet hatte, und ein paar nationale Verbände so in die Parade rumpelten, daß er den Schmodder abblasen mußte – am Ende halt vermutlich, weil "unter Corona" nicht mal mehr kosmetische Dopingkontrollen und irgend faire Trainingsbedingungen aufrechtzuerhalten waren. "Ein Desaster für Bach", schmunzelte die Süddeutsche Zeitung, insgeheim wissend, dass gemäß Tomasi di Lampedusas Jahrtausendroman `'Der Leopard' alles sich ändern müsse, damit alles bleibe, wie es ist.
Ablösesummen, Spielergehälter - alles bleibt, wie es ist
Hinsichtlich des – im Zuge der von König Söder und Angela "Ich muss erst mal gucken, ob das Faktum stimmt" Merkel im Sinne der Profitgewährleistung abgesegneten Wiederaufnahmemaßnahmen – im Modus von Geisterspielen fortgesetzten Berufsfußballkrampfes – während kein Kind mit seinen Freunden auf einer Wiese einem Ball hinterherrennen durfte – brachte den Unfug der inzwischen ansonsten weitgehend mitwurstelwillige Marcel Reif in der Talkshow Doppelpass auf Sport1 Mitte Juni auf den Punkt: "Gar nichts wird sich ändern", nichts am Geschäftsgebaren, nichts an exorbitanten Spielergehältern, nichts an galaktischen, ja galaktologischen Ablösesummen. Was "der Markt" hergebe, werde weiterhin gemacht.
"Tötet das Virus den Sport?" fragte eine Reportage auf WELT-Fernsehen. Quak, quak. The show went weiter so on. Eine Welt jenseits des Sports wäre ja eine Welt gewesen, die den Namen Welt verdient gehabt hätte. Und so lachte niemand laut, als der DFL-Geschäftsführer Christian Seifert von "Demut" schwallte, von Besinnung und Umkehr, als allenthalben von "Solidarität" die Rede war (meinte: Klüngelei) und als Rummelknigge, der zu Beginn des ralligen Sportjahres 2020 extrem scharfe Einnahmenzuwächse für seinen FC Bayern vermeldet hatte, zu Protokoll gab, die Corona-Krise führe dazu, das "Immer-Mehr, Immer-Weiter, Immer-Schneller zu stoppen".
"Unser Betrieb muss weiterlaufen"
Hatte nicht obendrein der altersedle Jupp Heynckes in der kurzen Phase der Desorientierung angemerkt, der Fußball heute, dieses in perverse Höhen hochgejazzte Produkt, sei "unmoralisch"? Sowie: "So wie bisher kann es nicht weitergehen"? Und Christoph "The Nose" Daum? Hatte der nicht verschnupft zum Besten gegeben: "Wir sitzen auf einem Pulverfass"?
Papperlapapp. Frank Baumann, SV Werder Bremen: "Der Fußball wird ungerecht behandelt. Unser Betrieb muss weiterlaufen." Was sich Manuel Neuer und David Alaba vom Spendensammelverein FC Bayern München während des ersten sogenannten Lockdowns zu Herzen nahmen und bezüglich neuer Arbeitsverträge jeweils kolportierte zwanzig beziehungsweise fünfundzwanzig Millionen Jahresgehalt forderten.
Und genau deshalb schauen wir voller irisierender Erwartung aufs Sportjahr 2021 voraus, in dem alles sein wird, wie es zu sein hat, complete Entertainment round about the European Championship inclusive. Die Macht wird zurück sein, und wir werden auf dem Horchposten sein, darauf können Sie zählen, echt, ey.
Wir haben ja sonst nichts zu tun.