Donnerstag, 25. April 2024

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Vor 275 Jahren geboren
Das lustvolle Leben des "Münchhausen"-Erzählers Gottfried August Bürger

Mit dem Namen Gottfried August Bürger verbinden wir heute vor allem die „Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen“. Zu seiner Zeit war der am 31. Dezember 1747 geborene Dichter aber mehr für Balladen und sein Aufsehen erregendes Privatleben bekannt.

Von Christoph Schmitz-Scholemann | 31.12.2022
Berühmt wurde Gottfried August Bürger auch mit seiner unheimlichen Ballade "Lenore", hier illustriert vom französischen Maler Horace Vernet
"Die Ballade von Lenore": Öl-Gemälde von Horace Vernet (1789-1863), nach einer Ballade des Dichters Gottfried August Bürger (1747-1794). (Imago / Heritage Images)
Gottfried August Bürgers „Lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen“ sind ohne Zweifel eines der fröhlichsten Bücher, das die deutsche Literatur hervorgebracht hat. Die Hauptfigur des Romans reitet auf Kanonenkugeln, tanzt mit dem Pferd auf Teetischen und zieht sich notfalls am eigenen Schopf aus dem Schlamassel.
Für Bürger, der die Geschichten aus dem Englischen übersetzt und weitergesponnen hat, war dieses bis heute bestens verkaufte Buch eher ein Nebenprodukt. Zu seinen Lebzeiten, im späten 18. Jahrhundert, war er für seine gefühlvollen und volkstümlichen Gedichte berühmt, die sogar in Dorfgaststätten vorgetragen wurden.
„Ich rühme mir
Mein Dörfchen hier!
Denn schön‘re Auen,
Als rings umher
Die Blicke schauen,
Blüh'n nirgends mehr …

Schön ist die Flur;
Allein Elise
Macht sie mir nur
Zum Paradiese.“
Dass Gottfried August Bürger die in der deutschen Lyrik so seltene Gabe hatte, für das Volk zu schreiben, war ihm womöglich in die Wiege gelegt: Als der Pfarrerssohn in der Silvesternacht des Jahres 1747 in dem kleinen Harzdorf Molmerswende zur Welt kam, soll ein bäuerlicher Chor vom Kirchturm frohe Lieder geschmettert haben.
Sein Vater zeigte allerdings wenig Interesse an der Bildung seines Sohnes, und die Mutter war für ihren Jähzorn bekannt. So erbarmte sich der Großvater des Knaben, schickte ihn zur Schule und dann auf die Universität nach Halle, wo der Student sich widerwillig mit Theologie, gerne mit lateinischer Dichtkunst und leidenschaftlich mit der Liebe befasste.
„Wann das Laub ihr Nest umschattet,
Paaren alle Vögel sich.
Was da lebet, das begattet
Um die Zeit der Blüthe sich.“
Als er 20 war, wechselte Bürger nach Göttingen, damals ein Zentrum des intellektuellen und literarischen Lebens, um Jura zu studieren. Sein poetisches Talent sprach sich rasch herum, seine Balladen wurden gedruckt, er verdiente viel Geld damit. Mit 25 schloss er sein Jura-Studium ab, ergatterte eine Stelle bei einem ländlichen Amtsgericht und verliebte sich in die Tochter eines Kollegen.
„Wie selig, wer sein Liebchen hat,
Wie selig lebt der Mann!
Er lebt, wie in der Kaiserstadt
Kein Graf und Fürst es kann.“
Dorette, so hieß die Geliebte, wurde bald schwanger - und man heiratete: Doch schon vor der Geburt des Kindes verliebte Bürger sich erneut – in Molly, die 16-jährige Schwester seiner Frau. Er schreibt ihr:
„Es ist ein Aufruhr aller Lebens-Geister in mir … Oft möchte ich in der finstersten … Mitternacht … dir zueilen (und) … in das ganze Meer der Wonne stürzen und – sterben.“
Nach drei Jahren zog Molly in den ehelichen Haushalt. Weitere sieben Jahre später, Bürgers wirtschaftliche Lage war während der Ménage-à-trois reichlich prekär geworden, starb seine Frau. Kurz darauf heiratete er Molly, die schon sechs Monate nach der Hochzeit im Kindbett starb. Sein Liebesleid ging aber noch weiter. In einer Literaturzeitschrift entdeckte er ein Gedicht einer gewissen Frau Y aus Schwaben, in dem sie ihn unverblümt anhimmelte. Bürger antwortete der Unbekannten:
„Du Schwabenmädchen, lieblich schallen
Zwar deine Töne mir in's Ohr,
Doch, auch dem Auge zu gefallen,
Tritt nun aus deiner Nacht hervor!“
Das Schwabenmädchen entpuppte sich als die Schriftstellerin Elise Hahn, die beiden heirateten Hals über Kopf, und fortan betrog sie ihren gut 20 Jahre älteren Mann nach Strich und Faden. Die Ehe wurde geschieden.
Kurz darauf erkrankte Bürger an der Schwindsucht, was damals einem Todesurteil gleichkam: Der immer wieder von Unglück verdüsterte Lebenslauf dieses Dichters erinnert nicht wenig an seine berühmteste Ballade, in der die junge „Lenore“ auf der Suche nach dem Liebesglück mit der grausigen Logik einer antiken Tragödie dem Tod in die Arme läuft.
"Hin ist hin!
Verloren ist verloren!
Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!
O wär ich nie geboren!“
Am 8. Juni 1794 starb Gottfried August Bürger friedlich im Kreis mehrerer Freunde, mit einem leise gehauchten „Ja“ auf den Lippen.