Archiv


Grippe-Impfung in die Nase

Eine Schutzimpfung gegen ein neues Influenza-Virus zu entwickeln, dauert in der Regel drei bis sechs Monate. US-Forscher wollen diese Zeit drastisch verkürzen. Eine spezielle Gentherapie könnte den Körper recht schnell mit schützenden Antikörpern versorgen.

Von Martin Winkelheide |
    Die neuartige Gentherapie funktioniert wie ein Nasenspray: Ein Sprühstoß – und winzige Partikel verteilen sich auf der Schleimhaut der Nase und der oberen Atemwege. Die Partikel enthalten künstlich veränderte Viren. Sie machen nicht krank. Die umgebauten sogenannten Adeno-assoziierten Viren AAV9 dienen lediglich als Transportmittel. Sie sind beladen mit genetischer Information, die sie in den Schleimhautzellen abliefern und dort in den Zellkern einbauen, sagt James Wilson von der Universität von Pennsylvania in Philadelphia.

    "Wir verfolgen eine bislang einzigartige Strategie: Die zusätzlichen, therapeutischen Gene versetzen die Zellen der Nasenschleimhaut und der oberen Atemwege in die Lage, Abwehrmoleküle zu produzieren. Antikörper, die vor einer großen Palette verschiedener Influenza-Viren gleichzeitig schützen."

    Die Antikörper werden also nicht im ganzen Körper gebildet, sondern nur dort, wo sie wirklich gebraucht werden. Die zusätzlichen therapeutischen Gene müssen auch nicht alle Zellen der Schleimhaut erreichen, betont Wilson. Denn die Schleimhaut ist mit einem dünnen Flüssigkeitsfilm überzogen.

    "Insgesamt müssen nur wenige Zellen Antikörper herstellen. Denn dank des dünnen Feuchtigkeitsfilms verteilen sich die Antikörper gleichmäßig. So erreichen sie auf der gesamten Schleimhaut eine sehr hohe Antikörper-Konzentration."

    Der Schutzfilm sorgt dafür, dass Influenza-Viren früh abgefangen und unschädlich gemacht werden. Sie erreichen gar nicht erst die Schleimhaut, so kommt es weder zu einer Ansteckung noch zu einer Grippe.

    Im Tierversuch an Mäusen und Frettchen hat sich die Gentherapie bewährt. Die Tiere wurden nach der Behandlung hohen Dosen von Influenza-Viren ausgesetzt. Alle Tiere blieben gesund. Tiere aus der Vergleichsgruppe, die keine Gentherapie erhalten hatten, überlebten den Versuch nicht. Bei den Experimenten kamen das Vogelgrippe-Virus H5N1 und das H1N1-Virus von 1918 zum Einsatz. Ob die Antikörper auch vor dem sich aktuell in China ausbreitenden H7N9-Virus schützen, ist noch unklar.

    "Wir wollen die Transport-Viren künftig ohnehin mit den Bauanleitungen für zwei breit wirksame Antikörper ausrüsten. Um ganz sicher zu sein, dass wirklich alle potenziellen Pandemie-Viren neutralisiert werden können. Wobei der aktuelle Antikörper schon sehr gut funktioniert. Und wie gut er vor H7N9 schützt, das wissen wir hoffentlich auch bald schon."

    Ob die Gentherapie nicht nur Mäuse und Frettchen, sondern auch Menschen vor einer Ansteckung mit Influenza-Viren schützen kann, muss sich ebenfalls noch erweisen. James Wilson bereitet mit seinen Kollegen bereits erste klinische Tests vor.

    Selbst wenn diese Versuche erfolgreich sein werden: Werden Menschen die potenziellen Nebenwirkungen einer Gentherapie auf sich nehmen, um sich so vor einer Virus-Grippe zu schützen? James Wilson ist optimistisch. Sein Argument: Die Gentherapie ist schneller verfügbar als eine Schutzimpfung gegen ein Pandemie-Virus. Und sie wirkt auch schneller: nicht erst nach zwei Wochen, sondern innerhalb von zwei Tagen. Außerdem hält die Schutzwirkung der Antikörper mindestens ein halbes Jahr.

    "Wenn die Situation wirklich bedrohlich ist und ein gefährliches Virus eine Pandemie auslöst, dann haben die Menschen Angst. Sie wägen Nutzen und Risiken ab. Und der Nutzen, gesund zu bleiben, könnte ein starkes Argument sein für eine solche Behandlung."

    Die Gentherapie gegen Influenza könnte Vorbild sein für eine Vielzahl weiterer Anwendungen, glaubt James Wilson. Er selbst entwickelt mit seinem Team eine Behandlung gegen das RS-Virus, das schwere Lungenentzündungen bei Kleinkindern verursacht. Und auch das US-Militär hat bereits Interesse angemeldet an Gentherapien gegen potenzielle Biowaffen.