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Großbritannien
Parlament übernimmt Kontrolle über Brexit-Prozess

Es ist eine weitere bittere Pleite für Premierministerin Theresa May: Per Abstimmung hat sich das britische Unterhaus größeren Einfluss auf den Brexit verschafft. Am Mittwoch werden die Parlamentarier nun über Optionen zum bisher glücklosen Brexit-Deal von May abstimmen.

Friedbert Meurer | 26.03.2019
Das britische Parlament
Das britische Unterhaus hat mit der Abstimmung am Montagabend die Kontrolle über das parlamentarische Verfahren im Brexit-Prozess übernommen (dpa-Bildfunk / House Of Commons / PA Wire)
329:302 – die Niederlage für Premierministerin Theresa May fiel deutlich aus. Das Unterhaus kann jetzt am Mittwoch eine ganze Reihe von Abstimmungen ansetzen, die den Parlamentariern bislang verwehrt wurden.
Labour-Chef Jeremy Corbyn drückte seine Genugtuung aus: "Wir wissen nicht, was dieses Haus am Mittwoch beschließen wird. Aber etliche Abgeordnete arbeiten schon lange an alternativen Lösungen und über die müssen wir debattieren, um zu einem Konsens zu gelangen. Wir stimmen auch darüber ab, dass ein Vertrag mit der EU der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt wird."
Unterhaus gestärkt
Ein zweites Referendum also, aber viele glauben, dass es dafür am Mittwoch keine Mehrheit geben wird. Die Frage lautet eher, ob andere Vorschläge eine Mehrheit finden können, zum Beispiel ob man das Modell Norwegens übernehmen will. Das Land ist nicht in der EU, faktisch aber im Binnenmarkt.
Premierministerin May behielt sich allerdings vor, Beschlüsse des Unterhauses nicht unbedingt zu übernehmen. Parlament und Regierung befinden sich also mitten in einem Machtkampf, mit offenem Ausgang. Das Votum von gestern Abend hat aber das Unterhaus gestärkt und einen weichen Brexit wahrscheinlicher gemacht.
Weiter keine Mehrheit für Mays Deal
Theresa May musste zudem zuvor einräumen, dass sie weiterhin keine Mehrheit für den von ihr ausgehandelten Vertrag mit der EU erwartet. "Es ist richtig, die EU mit einem Vertrag zu verlassen. Aber bedauerlicherweise, so wie die Dinge stehen, gibt es nicht genügend Unterstützung, um eine dritte Abstimmung anzusetzen."
Zweimal wurde Mays Vertrag schon abgelehnt. Gerade das ermunterte das Unterhaus, das Verfahren an sich zu reißen. Und die Brexiteers und die nordirische DUP bleiben auch weiterhin dabei, Mays Vertrag nicht zu billigen - auch auf die Gefahr hin nicht, dass der Brexit mindestens bis Ende des Jahres verschoben wird.
Brexiteers hoffen auf harten Brexit
Andrew Bridgen von den Konservativen: "Wir würden in zehn Jahren noch nicht die EU verlassen haben, weil wir im Backstop festhängen. Und wir hätten 39 Milliarden Pfund bezahlt. Die EU will verzweifelt, dass wir den Vertrag billigen. Ich glaube, dass wir am 12. April da sind, wo wir am 29. März gewesen wären. Aus dem Vertrag wird nichts."
Bis zum 12. April muss Großbritannien sich entscheiden, ob es den Vertrag billigt, ohne Vertrag die EU verlässt oder eine lange Verschiebung beantragt. Die Brexiteers hoffen natürlich auf einen "no deal".
Spät abends kam es noch zu Tumulten um den Speaker. Er habe einen Tory-Abgeordneten beleidigt. John Bercow entschuldigte sich. Nicholas Soames hatte zuvor schon geklagt, wie tief die politische Kultur in Großbritannien gesunken sei. Der konservative Abgeordnete ist ein Enkel von Winston Churchill. "Was ist nur aus unserem Pragmatismus und unserem gesunden Menschenverstand geworden. Ich bin betrübt, wie sehr unser Ansehen im In- und Ausland gesunken ist."