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Vor 125 Jahren
Beginn des Hamburger Hafenarbeiterstreiks

Am 21. November 1896 begann einer der größten Arbeitskämpfe des 19. Jahrhunderts: Der Hamburger Hafenarbeiterstreik. Elf Wochen war der Betriebn im Hafen lahmgelegt. Es ging um höhere Löhne, vor allem aber um bessere Arbeitsbedingungen und das Ende der völlig willkürlichen Arbeitsvermittlung.

Von Bernd Ulrich | 21.11.2021
Der Dampfer "Gouverneur" im Hamburger Hafen. Historische Aufnahme von ca. 1899
Der Dampfer "Gouverneur" im Hamburger Hafen. Historische Aufnahme von ca. 1899 (imago/imagebroker)
 „Genossen! 1. Wir verlangen bessere Bezahlung. 2. Wir verlangen höhere Zulagen für besonders schwere und für schmutzige Arbeit. 3. Viele Genossen sind bei der Arbeitszuteilung auf das Wohlwollen der Schankwirte angewiesen. Schluss damit! Wir verlangen eine amtliche Arbeitsvermittlung!“
In einem historischen Hörspiel aus den frühen 1960er-Jahren fasst ein Gewerkschafter die Forderungen zusammen, mit denen der Hamburger Hafenarbeiterstreik am 21. November 1896 begann. Es ging ersichtlich nicht nur um Lohnerhöhungen.

Kluft zwischen Arbeitgebern und Hafenarbeitern

Dabei hätten die als Streikgrund gereicht: Ganze 34 Pfennige brutto verdiente ein Hafenarbeiter durchschnittlich in der Stunde, zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Ein Brot allein kostete bereits fast eine Mark. Die Kluft zwischen Arbeitgebern und Hafenarbeitern, forciert durch eine bessere Wirtschaftslage und hohe Profite, vertiefte sich stetig.
Bereits im Frühjahr 1896 begann die Unruhe zu wachsen. Polizeispitzel berichteten:
„In den Arbeiterkneipen kann man vollständige Vorträge hören, die an Schärfe des Ausdrucks und in ihrem aufreizenden Inhalte nichts zu wünschen übrig lassen.“

Tagelang unbeschäftigt, dann schuften ohne Unterbrechung

Vor allem die Schauerleute, verantwortlich für das Be- und Entladen von Schiffen, waren mit teils geradezu unmenschlichen Arbeitszeiten konfrontiert. Der Hamburger Historiker Hans-Joachim Bieber, der grundlegende Untersuchungen zum Streik vorgelegt hat, formuliert es so: „Es kam keineswegs selten vor, dass ein Schauermann tagelang unbeschäftigt blieb, dann aber ohne Unterbrechung schuftete, bis ein Schiff gelöscht oder beladen war – 24, 36, 48 oder gar 72 Stunden hintereinander.“
Hinzu kam eine völlig willkürliche Arbeitsvermittlung. Allein die Beschäftigung der Maschinisten war von gewisser Beständigkeit. Ebenso wie die der sogenannten Ewerführer. Mit ihren Lastkähnen, Ewer genannt, übernahmen sie nicht nur den Transport der Schiffsladungen bis zu den Speichern, sie waren auch verantwortlich für den Schutz der Waren und die Abrechnungen. Eine Arbeit, die schwerlich durch ungelernte Tagelöhner ausgeübt werden konnte.

Anwerbung zumeist in den Hafenkneipen

Als solche aber galten die Schauerleute, die Kessel- und Schiffsreiniger, die Kohlen-, Kai- und Speicher- und die Getreidearbeiter, auch Kornumstecher genannt. Sie mussten sich Tag für Tag, meist ab 3 oder 4 Uhr früh, immer wieder neu um Arbeit bemühen. Ihre Anwerbung ging zumeist in den Hafenkneipen über die Bühne oder besser: über die Theke – wobei Arbeitgeber und Wirte zusammen arbeiteten. Hans-Joachim Bieber: „Oft fungierte der Wirt selbst als Anwerber. Wer von den Arbeitern als ‚Hartleibiger‘ galt, nämlich ungern einen ‚Lütt und Lütt‘ ausgab – ein kleines Gläschen Bier und ein noch kleineres Gläschen Kümmelschnaps -, konnte oft tagelang vom frühesten Morgen bis mittags vergeblich warten und unbeschäftigt wieder nach Hause gehen.“
Bei den Seeleuten vollzog sich die Arbeitsvermittlung auf noch üblere Weise. Bis zu
zehn Prozent ihrer Heuer ging an dubiose Arbeitsvermittler. Die oft prekären Wohnverhältnisse der Arbeiterfamilien und die stetig steigenden Lebenshaltungskosten taten ein Übriges, um entschlossen den Streik zu beginnen.

Arbeitgeber bleiben hart

Schnell legte er den gesamten Hafen lahm, Ende Dezember 1896 befanden sich über 16.000 Hafenarbeiter im Ausstand. Doch ebenso schnell zeigte sich, dass die Arbeitgeber sich kaum bewegten. Vor jeder Verhandlung mit den Arbeitervertretern, so lautete ihr eisernes Motto, müsste der Streik abgebrochen und die Arbeit bedingungslos wieder aufgenommen werden. Zugleich verstärkten Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Repressionen gegen die Streikenden. Im Januar 1897 kam es gar zur vollständigen Abriegelung des Hafengebiets. Schließlich lenkte die Streikleitung nach elf harten Wochen ein und verkündete:
„Wir wollen nicht, dass dieser große Kampf zum Gaudium unserer Gegner in Uneinigkeit, gegenseitiger Erbitterung und Feindschaft der Arbeiter endet.“
Am 6. Februar 1897 war einer der größten politischen Arbeitskämpfe im 19. Jahrhundert zu Ende. Zwar erhielten die Schauerleute ihren Lohn fortan nicht mehr von den Schankwirten, sondern an Bord der Schiffe. Aber erst 1912, 15 Jahre nach der Unterdrückung des Streiks, wurde der neunstündige Arbeitstag eingeführt. Freilich blieb er noch lange Zeit eher ein Versprechen als die Realität im Hafen.