Hawala
Das Vertrauenssystem, dem Ermittler misstrauen

Geld in ein Kriegsland zu überweisen, ist manchmal unmöglich. Doch das inoffizielle Hawala-System macht es möglich. Für viele Migranten ist es unverzichtbar. Doch nicht nur weil es anonym ist, haben es auch Ermittler im Blick.

    Marktszene in der Altstadt von Asmara in Eritrea: Hände zählen Geldscheine aus einem Bündel heraus.
    Alternative zur Überweisung: Um Geld nach Eritrea zu transferieren, ist das Hawala-System eine schnelle und günstige Möglichkeit (picture alliance / photothek / Ute Grabowsky)
    Hawala ist ein System für Geldtransfers. Damit lässt sich – auf Vertrauensbasis – schnell und unkompliziert Geld ins Ausland schicken. Vor allem dorthin, wo das Bankensystem wegen Kriegen zerrüttet ist. Dabei wird kein Geld physisch übertragen, sondern lokale Vermittler verrechnen die Beträge untereinander. Dadurch ist das System schwer nachzuvollziehen – Behörden befürchten Missbrauch und versuchen, sich Einblick zu verschaffen.

    Inhalt

    Was ist Hawala?

    Hawala ist eine der ältesten bekannten Methoden für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen und entstand im frühen Mittelalter im Vorderen und Mittleren Orient. Der Begriff „Hawala“ kommt aus dem Arabischen und bedeutet „Vertrauen“. Dieses Prinzip ist zentral für das System. Es ist in ethnische oder religiöse Gemeinschaften eingebettet. Hawala-Geldtransfers funktionieren ohne Banken oder Konten. Heute wird es weltweit genutzt.
    Die Vorteile von Hawala sind Schnelligkeit, niedrige Kosten im Vergleich zu Banküberweisungen, Zugänglichkeit ohne Bankkonto sowie Anonymität und Vertraulichkeit. Vor allem Migranten verwenden das Hawala-System. Es ist oft die einzige praktische Möglichkeit, Geld an Familienmitglieder in Krisengebieten oder Ländern mit eingeschränktem Bankensystem zu senden.
    Obwohl Hawala meist wohl für legale Zwecke genutzt wird, kann es auch für illegale Aktivitäten missbraucht werden.

    Wie funktioniert Hawala?

    Das Hawala-System funktioniert in vier Schritten:
    1. Kontaktaufnahme: Der Absender kontaktiert einen Hawaladar, einen Agenten, der in dieses System eingebunden ist. Das können lokale Hawaladare in der Nähe des Absenders sein.
    2. Geldübergabe: Der Absender übergibt dem Hawaladar den zu überweisenden Geldbetrag in bar und teilt ihm Details zum Empfänger sowie eventuell ein Codewort mit.
    3. Transfer: Der Hawaladar des Absenders kontaktiert seinen Partner, einen anderen Hawaladar, am Zielort. Er übermittelt die Daten des Empfängers – Name und/oder Code – und den auszuzahlenden Betrag.
    4. Auszahlung: Der Hawaladar am Zielort zahlt den Betrag in bar an den Empfänger aus, nachdem dieser sich ausgewiesen oder den Code genannt hat. Dies geschieht oft sehr schnell, manchmal sogar innerhalb von Minuten.
    Das Besondere am Hawala-System ist, dass das Geld selbst nicht physisch über Grenzen transportiert wird. Der Betrag, den der Absender einzahlt, bleibt zunächst beim Hawaladar am Senderort. Die Hawaladare verrechnen sich untereinander, um ihre Schulden auszugleichen. Hawaladare betreiben oft Geschäfte wie Import-Export, Juwelierläden, Wechselstuben, Teppich- oder Gebrauchtwagenhandel. Ein Hawaladar, der gegen das Vertrauensprinzip verstößt, riskiert ein Berufsverbot und den Verlust von Ansehen und Geschäft.

    Nutzen auch Bundesministerien Hawala?

    Bundesministerien nutzen Hawala nicht. Allerdings kann das Auswärtige Amt indirekt mit dem System in Verbindung gebracht werden. Dies hängt mit der Nothilfe für Afghanistan nach dem Zusammenbruch des dortigen Bankensystems im August 2021 zusammen, als die Taliban die Macht übernahmen.
    Legale Überweisungen aus Deutschland nach Afghanistan waren da restriktiven Prüfungen unterworfen, die bis zu zwei Wochen dauern konnten – eine lange Zeit in einer Krisensituation.

    Das Auswärtige Amt und Hawala

    Partner des Auswärtigen Amtes verschickten für Nothilfe in Afghanistan mehr als drei Millionen Euro per Hawala und bezahlten dafür 640.000 Euro Gebühren. Ersmals berichtet der "Spiegel" im Mai 2024 darüber. Die Zustimmung wurde erteilt, obwohl die Nutzung von Hawala aus Deutschland heraus nicht gestattet ist.
    Dabei ist anzumerken, dass das Auswärtige Amt selbst keine Hawala-Transaktionen durchführt oder beauftragt. Allerdings zeigen interne Unterlagen, dass das Ministerium in besonderen Ausnahmefällen („als Ultima Ratio“) der Nutzung von Hawala durch Zuwendungsempfänger und Durchführungsorganisationen zustimmen kann. Dies kann geschehen, wenn es zur Rettung von Menschenleben oder für besonders wichtige Hilfsprojekte zwingend erforderlich ist.
    Andere Ministerien verhielten sich anders. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) knüpfte Unterstützung für ein Projekt in Afghanistan an legale Geldtransfers. Selbst nach dem Kollaps des Bankensystems gab es hier keine Ausnahme für Hawala-Transfers.

    Warum verfolgen die Behörden Hawala?

    Die Wahrnehmung und Verfolgung von Hawala wurde durch die Anschläge am 11. September 2001 beeinflusst, da der damalige US-Präsident George W. Bush dem Transfersystem eine Verantwortung für den Anschlag zuschrieb. Später stellte sich heraus, dass die Attentäter offizielle Bankkonten nutzten. Dennoch behielten die Behörden Hawala im Blick.
    Obwohl in den bisher dokumentierten Fällen vor deutschen Gerichten keine kriminellen Geschäfte oder Terrorismusfinanzierung nachgewiesen wurden, bleibt die theoretische Möglichkeit des Missbrauchs ein wichtiges Argument für die Verfolgung durch Behörden. Zu den potenziellen Missbräuchen gehören Geldwäsche, Terrorfinanzierung, Unterstützung von organisierter Kriminalität, Umgehung von internationalen Sanktionen, Finanzierung von Drogen- und Waffenhändlern sowie Unterstützung von Menschenhändlern und Schleusern.

    Keine Erlaubnis: Ärger mit der BaFin

    Da die Strukturen sehr abgeschottet und schwer zu durchdringen sind, ist es für Behörden schwer, Finanzströme zu überwachen, um kriminellen Aktivitäten auf die Spur zu kommen. Dazu trägt bei, dass Hawala ohne Buchführung, ohne Einschaltung von Banken oder Konten funktioniert. Es gibt zudem keine Dokumentationspflichten darüber, wer sich wie ausgewiesen hat, welche Summe an wen überwiesen wurde oder wie der Überweisungsweg ablief.
    Hinzu kommt, dass der Betrieb von Finanztransferdienstleistungen in Deutschland grundsätzlich eine Erlaubnis durch die Finanzaufsicht BaFin erfordert. Wer solche Geschäfte ohne Genehmigung betreibt, macht sich strafbar – ihm drohen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Die BaFin führt jährlich zwischen 100 und 200 Verfahren gegen Hawaladare.

    Welche Hawala-Fälle landeten bereits vor Gericht?

    In Deutschland sind bereits mehrere Hawala-Fälle vor Gericht gelandet, insbesondere im Zuständigkeitsbereich von Staatsanwalt Richard Schwens in Frankfurt am Main. Er hat allein auf seinem Schreibtisch 20 derartige Fälle. Die meisten Angeklagten sind nach seinen Angaben keine wohlhabenden Gangster, sondern Menschen mit eher geringem Einkommen, wie Lebensmittelhändler, Altenpflegerinnen oder Lieferdienstfahrer.
    Schwens kennt keinen Fall, in dem kriminelle Geschäfte oder Terrorismusfinanzierung nachgewiesen wurden. Oftmals enden die Verfahren in Deutschland mit Bewährungsstrafen. Die niedrigen Urteile deuten darauf hin, dass in diesen Fällen keine tiefergehenden kriminellen Strukturen oder Geldwäsche nachgewiesen wurden. Die meisten Hawala-Geschäfte laufen wohl mit legalen Geldern und die weitaus überwiegende Zahl der Nutzer sind legale Nutzer.

    Wie schätzen Experten Hawala ein?

    Das Hawala-System steht aber im Spannungsfeld zwischen legaler Nutzung und krimineller Anwendung. Während Experten die Vorteile eines flexiblen Überweisungssystems betonen, halten Strafverfolgungsbehörden an einer Kriminalisierung fest und stellen die Risiken in den Vordergrund.
    Federico Varese, Kriminologe an der Universität Oxford, plädiert für eine differenzierte Betrachtung des Hawala-Systems. Er weist darauf hin, dass die allermeisten Transaktionen nichts mit Kriminalität oder Terrorismus zu tun haben. Der Kriminologe hält es für falsch, das gesamte System zu kriminalisieren, da es weniger Schaden anrichte als andere illegale Aktivitäten.
    Varese empfiehlt, sich auf die gezielte Verfolgung krimineller Akteure zu konzentrieren, anstatt den gesamten Sektor zu durchleuchten. Außerdem steige mit zunehmender Migration die Nachfrage nach Hawala.

    Behörden verfolgen, Wissenschaftler beschwichtigen

    Petra Hoekstra, Staatsanwältin im niederländischen Zwolle, sieht Hawala hingegen als Sicherheitsrisiko. In einem Fall von Menschenhandel in Libyen stellte sie fest, dass erpresste Lösegelder für in Lagern festgehaltene Flüchtlinge über Hawala nach Libyen geschickt wurden. Kriminelle Banden hätten Mitglieder in den Niederlanden, die das Geld für die Anführer in Libyen eintreiben. Für Hoekstra ist die fehlende Kontrolle des Systems gefährlich, vor allem im Zusammenhang mit Menschenhandel und organisierten Verbrechen.
    Auch der deutsche Staatsanwalt Schwens hält eine strikte Strafverfolgung für unabdingbar. Er betont, dass die fehlende staatliche Kontrolle und die hohe Anonymität das System für organisierte Kriminalität attraktiv machen. Schwens weist aber auch darauf hin, dass die meisten Menschen, die Geld über Hawala transferieren, dies aus legitimen, humanitären Gründen tun.
    Das unterstreichen auch Rut Bahta und ihr Kollege Kibrom von der Gruppe „United4Eritrea“. Sie betonen die zentrale Bedeutung von Hawala für Migranten aus Ländern wie Eritrea. Banküberweisungen dorthin sind entweder unmöglich oder zu teuer. Obwohl das System rechtlich problematisch ist, bleibt es für viele die einzige Möglichkeit, Angehörige zu unterstützen. Bahta und Kibrom fordern eine Entkriminalisierung legaler Überweisungen über Hawala, da ein Verbot die Existenzsicherung vieler Migranten gefährden würde.

    rzr, mit Material von Paul Hildebrandt und Marc Thörner