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Hazy Osterwald vor 100 Jahren geboren
Ein Popstar aus dem Reich des Jazz

Aus erstklassigen Jazz-Musikern bildete Bandleader Hazy Osterwald 1949 ein Sextett - und feierte mit Können und Show-Talent ganz eigene Erfolge auf dem deutschen Schlagermarkt: Allein sein "Kriminal-Tango" verkaufte sich 800.000 Mal. Vor hundert Jahren wurde er als Rolf Erich Osterwalder geboren.

Von Beatrix Novy | 18.02.2022
Hazy Osterwald (vorn Mitte) mit seinem Sextett: Kurt Prima, John Ward, Sunni Lang, Dennis Alrintage (vorn links) und Werner Dies (vorn rechts)
Bandleader, Trompeter, Komponist, und Texter: Hazy Osterwald (vorn Mitte) mit seinem Sextett um 1960 (picture alliance / Konkursamt Luzern)
"Ich hatte schon sehr früh das Gefühl, ich muss was Eigenes machen, Kapellmeister zu werden und selbst eine Band zu machen."
1941 bestand Rolf Osterwalder, geboren am 18. Februar 1922, sein Abitur, wenn auch glanzlos. Es blieb eben nicht folgenlos, dass er gleichzeitig Konservatoriumschüler war und Trompete und Klavier in einer Jazzband spielte. 1944 gründete er seine eigene Combo und wurde gleich engagiert - am Club "Dancing Chiquito" in Bern.

Karriere im "Wunderland" Schweiz

Während Europa in Trümmer ging, während Jazzmusik in Nazi-Deutschland verboten war und Osterwalders Jahrgang an der Front dezimiert wurde, konnte er in der neutralen Schweiz Karriere machen - und, anders als deutsche Musiker, im Ausland auf Sympathie rechnen:
„Gleich nach dem Krieg, da war für uns Deutsche die Schweiz das Wunderland. 1946, 47 hab‘ ich mir schon gewünscht, beim Hazy als Klarinettist zu spielen.“ Das bekannte viele Jahre später ein anderer "Gentleman des deutschen Swing", Hugo Strasser, seinem Schweizer Kollegen, der sich inzwischen Hazy - mit z - Osterwald nannte. "Osterhasi" war der Spitzname seines Vaters gewesen, der nicht nur Geschäftsmann, sondern auch ein bekannter Fußballer war. Beinahe wäre sein Sohn auch einer geworden. Aber nur beinahe: "Weil die Musik mir an einem Samstagabend 15 Franken zahlte und beim Fußball ich die Reise selbst bezahlen musste, bin ich Musiker geworden."

Auf derselben Bühne wie Charlie Parker und Miles Davis

1949 gründete Hazy Osterwald, weil das Geld für eine teure Bigband nicht reichte, sein berühmtes Sextett. Schon kurz darauf stand die swingende Band, in der jeder mehrere Instrumente beherrschte, in Paris beim Internationalen Jazzfestival auf derselben Bühne wie Charlie Parker, Kenny Clarke, Miles Davis.
Dann installierte sich das Sextett sich mit Show und Gesang auch auf dem Schlagermarkt. Nicht unumstritten, erinnerte sich Hazy Osterwald : "Es gab Jazzbegeisterte, die mir vorgeworfen haben, ich hätte den Jazz betrogen mit meinen Schlagern, aber die normal denkenden Leute haben sich da nicht gestört.“

Wie das "Lied vom Wirtschaftswunder" auf Konjunktur ging

"Und sie tanzen einen Tango": Dieser ursprünglich italienische Song, der so schwungvoll die Klischees ironisierte, katapultierte das Osterwald-Sextett in die bundesdeutsche Hitparade. Wo der Nachkriegs-Zerfall deutscher Schlagerkultur voll im Gange war, konnte das Osterwald-Sextett nur besser sein. Auch mit sanfter Gesellschaftskritik à la: "Geh'n Sie mit der Konjunktur / geh'n Sie mit auf diese Tour …".
Das Osterwald-Sextett war überall gefragt: auf der Bühne und im Fernsehen, unter anderem mit Michael Pfleghars "Lieben Sie Show?" sowie im extrem harmlosen Nachkriegskino, etwa mit dem "Lied vom Wirtschaftswunder". Aber auch da gab es Wunder, wie die Zusammenarbeit mit dem bissigen Kabarettisten Wolfgang Neuss. Sechs Musikanten, ordentlich gekämmt und gekleidet - noch fern vom schrillen Selbstdarstellungs-Aufwand späterer Rockstars. Schwiegersohntypen, könnte man meinen. "Ich habe Ordnung und Disziplin verlangt", unterstrich Osterwald später.

Bis die Beatles kamen

Lange oder kurze Haare, Jazz oder Rock 'n' Roll: Alkohol, Groupies, Affären, Geldstreitigkeiten gehörten traditionell zum Tournee-Alltag. Auch in Hazy Osterwalds katastrophal endender erster Ehe spielte das Verhältnis mit einer Band-Sängerin, seiner späteren zweiten Frau, eine Rolle. Das private Drama erwischte ihn ausgerechnet, als sein Stern sank. Zeitlebens umriss Hazy Osterwald diesen Epochenbruch mit einem Namen:
"Und dann hieß es: Da sind die ‚Beatles'." Der Bandleader sah sich "aufs zweite Gleis verschoben". Sein Verhältnis zur Beatmusik und ihren Folgen blieb zwiespältig: "Ich bin heute noch der Meinung, dass moderne, gute Musik aus dem Jazz kommen muss, weil es die Freiheit des Musizierens gibt und weil man über den Harmonien steht." Hazy Osterwald trat vor seinem Tod im Jahr 2012 noch oft auf die Bühne. Und immer verlangte das Publikum irgendwann nach dem "Kriminal-Tango".