Heinar Kipphardt ist zusammen mit Peter Weiss einer der großen Namen des deutschen Dokumentartheaters. Das Stück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ bedeutete 1964 seinen Durchbruch und später machte er mit seiner Figur des Psychiatriepatienten Alexander März Furore.
Geboren am 8. März 1922 in Schlesien, erlebte Kipphardt schnell die Repressionen der Nationalsozialisten. Sein Vater war als überzeugter Kommunist im KZ Buchenwald inhaftiert. Dem Sohn gelang es, unterzutauchen und nach dem Krieg in Düsseldorf ein Medizinstudium abzuschließen. Die weiter gärende nationalsozialistische Ideologie führte ihn 1950 dazu, in die DDR überzusiedeln: Kipphardt begeisterte sich vor allem für das epische Theater von Bertolt Brecht, und das merkt man auch noch in den letzten Interviews, die er vor seinem Tod 1982 gab: "Vielleicht braucht man dazu eine gewisse Distanz, um kalt und klar und mit einer gewissen Objektivität und ohne bloße Emotionalität die Sache beschreiben zu können.“
Das Brecht-Theater radikalisiert
Kipphardts satirisches Stück „Shakespeare dringend gesucht“ nahm die stalinistischen Praktiken der DDR-Kulturbürokratie ins Visier. Es erlebte seine Uraufführung nur elf Tage nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953, als sich die Parteifunktionäre in ihrer Verunsicherung einen Anstrich von Liberalität gaben. Doch nach dem Ungarn-Aufstand 1956 verschärfte sich der Ton wieder und 1959 beschloss Heinar Kipphardt, mit einem Autorenvertrag am Düsseldorfer Schauspielhaus in den Westen zurückzukehren. 1964 setzte er mit dem „szenischen Bericht“ „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ seine Vorstellungen des Brecht-Theaters um, die damals von den DDR-Oberen als zu radikal empfunden worden waren.
Die reale Person Oppenheimer war in den USA verantwortlich für den Bau der Atombombe gewesen und musste sich 1954 in einem Untersuchungsausschuss dem Vorwurf stellen, er hätte die Entwicklung verzögert. Das Stück behandelt Oppenheimers Konflikt zwischen individuellen Skrupeln und der Loyalität gegenüber dem Staat. Es fragt danach, so Kipphardt: Wo ist der Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit – wo kann man aus Notwendigkeit und aus Zwängen herausspringen."
In die "Antipsychiatrie“-Debatte eingemischt
Heinar Kipphardt wurde zu einem Wortführer in der linken Künstlerszene. Ein zentraler Moment für seine Selbstdefinition als Schriftsteller wurde die Begegnung mit Gedichten eines schizophrenen Dichters, die der Psychiater Leo Navratil veröffentlichte. Mit seiner Figur des Alexander März, die daran anschloss, nahm Kipphardt 1975 durch einen Fernsehfilm und anschließend durch einen Roman die damals aktuellen Diskussionen um eine „Antipsychiatrie“ auf:
„In bestimmter Weise ist das ein sehr verstümmelter, trümmerhafter Künstlerroman, und Künstlerproblematik kann man in ihm auch finden. Es gibt also bestimmt ziemliche Identifikationspunkte, also mehr von mir mit März als mit der Normalität.“
"Bruder Eichmann" - erst posthum uraufgeführt
Heinar Kipphardts Vertrag als Chefdramaturg bei den Münchner Kammerspielen wurde 1971 nach nur einem Jahr gekündigt, weil er in einem Programmheft zu Wolf Biermanns "Der Dra-Dra" Größen aus Politik und Wirtschaft in die Nähe zu Adolf Hitler rückte. Kipphardt war ein radikaldemokratischer Dramatiker, der auch in der Bundesrepublik oft aneckte. Sein letztes vollendetes Werk „Bruder Eichmann“ wurde erst nach seinem Tod uraufgeführt. Das Stück analysiert die Figur des Adolf Eichmann, der im NS-Regime für die Organisation des Massenmords an den europäischen Juden verantwortlich war. Kipphardt interessierte die Aktualität des Typus Eichmann in der unmittelbaren Gegenwart:
„Wie entsteht so ein Mann, eigentlich der Gegentypus eines Verbrechers, nämlich ein Überkonformist, der mit seiner Gesellschaft übereinstimmen will, der eigentlich einem sehr verhunzten kategorischen Imperativ folgt?“
Der Einzelne und seine Verantwortung in der vermeintlichen gesellschaftlichen Normalität – das war Heinar Kipphardts großes Thema, und er hat es in der DDR wie in der alten Bundesrepublik unbeirrbar bearbeitet.