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Homo floresiensis
10 Jahre Streit um Hobbits

Paläoanthropologie. - Das Jahr 2004 markiert in der Paläoanthropologie einen der größten Einschnitte, die es je in dieser Disziplin gegeben hat. Forscher hatten die Knochen einer neuen Menschenart präsentiert, die sie Homo floresiensis nannten. Die Überraschung bestand darin, dass diese Spezies in keine der gängigen Stammbaumtheorien passte. So zweifelten schnell viele, dass es sich um eine eigene Menschenart handelt. Daran hat sich auch zehn Jahre später nicht viel geändert.

Von Michael Stang | 23.10.2014
    Peter Brown, einer der Entdecker des Homo floresiensis, fotografiert den Schädel des Fossils.
    Peter Brown, einer der Entdecker des Homo floresiensis, und der Schädel des Fossils. (Nature)
    Vor zehn Jahren berichtete der australische Archäologe Peter Brown von der Universität von New England im Fachmagazin "Nature" über die Gebeine einer winzigen, bis dato unbekannten Menschenform, die noch bis vor 12.000 Jahren auf der indonesischen Insel Flores gelebt hat. Der Fund war damals eine Sensation. Doch der Streit um seine Interpretation hält bis heute an.
    "Man kann nie alle Kritiker überzeugen. Fast jeder hat seine eigene Theorie, was die Evolution des Menschen angeht. Manche glauben, dass es eine direkte Entwicklung gab, wohingegen der Großteil der Forscher heute davon ausgeht, dass es einfach sehr viele Experimente in der Evolution gab: Einige Arten waren erfolgreich und überlebten, andere starben aus. Und wir haben mit Homo floresiensis eine Art gefunden, die nicht überlebte und ausstarb."
    Einige Monate vor der Veröffentlichung im Jahr 2004 hatte Peter Brown dem britischen Paläoanthropologen Chris Stringer eine E-Mail mit Bildern eines Schädels geschickt - mit der Frage an den international geschätzten Experten für Humanevolution, um was es sich hier seiner Meinung nach handelt.
    "Als erstes hat mich das sehr an einen berühmten Schädel aus Ostafrika erinnert, der eine geringe Hirnkapazität aufweist und knapp zwei Millionen Jahre alt ist. Wobei man sagen muss, dass Peter Brown mir in der ersten Mail weder verraten hat, woher der Schädel stammt, noch wie alt er war."
    Zahl der Skeptiker weiterhin groß
    Der Fund schockierte die Fachwelt, denn die Knochen aus Flores waren der Beweis für etwas, mit dem niemand gerechnet hatte. Noch vor ein paar tausend Jahren lebte eine weitere Menschenform - und diese war ungewöhnlicher als alles, was die Forscher bis dahin aus der Evolution des Menschen kannten: ein menschliches Wesen, gerade einmal einen Meter groß, das Gehirn nur so groß wie das eines Schimpansen, und dennoch – das zeigten spätere Studien – haben diese Menschen bereits Werkzeuge hergestellt. Weil das gängiges Lehrbuchwissen über den Haufen wirft, ist die Zahl der Skeptiker bis heute groß, so Chris Stringer.
    "Es gibt Kritiker, die schon fast ideologisch argumentieren, weil sie die Idee von mehreren Menschenarten, die gleichzeitig lebten, nicht akzeptieren können. Ihnen zufolge gibt es nur eine Menschenart und die heißt Homo sapiens."
    Andere Kritiker gingen davon aus, dass es sich bei den Flores-Menschen, die aufgrund ihrer geringen Körpergröße auch als Hobbits bezeichnet werden, um krankhafte veränderte Frühmenschen handelt, deren Skelette etwa durch eine Entwicklungsstörung wie Kretinismus deformiert wurden, die bei Kindern durch einen Mangel an Schilddrüsenhormonen entsteht. Dieser Theorie widersprachen seither einige Studien. Der südafrikanische Paläoanthropologe Lee Berger, der an der Universität von Witwatersrand in Johannesburg forscht, hält sie für wenig überzeugend.
    "Ich denke, dass ein Großteil der Experten mittlerweile akzeptiert, dass es sich hier tatsächlich um eine eigene Menschenart handelt. Natürlich würden weitere Fossilienfunde die Sache einfacher machen. Es muss kein ganzes Skelett sein, ein Fuß, eine Hand oder ein Schädel würden schon reichen, um auch jene zu überzeugen, die noch zweifeln."
    Platz im menschlichen Stammbaum bleibt unklar
    Weitere Funde, vielleicht auch von benachbarten Inseln, wären großartig, sagt auch Chris Stringer. Bis dahin müsse man mit den Knochen vorliebnehmen, die der Wissenschaft bekannt sind, auch wenn die Interpretation schwerfällt. Dem britischen Experten scheinen zwei Szenarien plausibel, um was es sich bei den Hobbits gehandelt haben könnte:
    1. Die Hobbits waren tatsächlich Vertreter der Spezies Homo floresiensis und haben sich aus Homo erectus entwickelt, so wie dies Peter Brown bereits 2004 vermutet hatte
    2. Die Hobbits gehören zu einer ganz alten menschlichen Linie, wobei unklar ist, ob sie dann noch zur Gattung Homo gehören oder zu einer noch älteren Form, nämlich zu einer Linie, die aus der Gattung Australopithecus hervorgegangen ist.
    Klar sei derzeit nur eines, betont Chris Stringer: die Funde aus Flores hätten ihn und seine Kollegen Demut gelehrt, dass man mit voreiligen Interpretationen vorsichtig sein sollte. Selbst die Möglichkeit, dass noch vor 12.000 Jahren ein menschlicher Vertreter gelebt hat, der nicht zur Gattung Homo gehört, lässt sich nicht ganz ausschließen.
    "Nein, wissen sie, ich bin mir bei gar nichts mehr sicher und ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass man hinsichtlich Homo floresiensis mit irgendetwas sicher sein kann."
    Die Hoffnung bleibt, dass weitere Knochenfunde das Rätsel eines Tages doch noch lösen können, vermutlich aber nicht in den kommenden Jahren, sagt Chris Stringer.
    "That would be very optimistic, wouldn't it?"